# taz.de -- Die Grünen nach den Wahlen: "Offenes Ohr für alle" | |
> Ihre Wahlerfolge in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz bringen die | |
> Grünen an ihre Grenzen. Deshalb setzt sie jetzt bundesweit auf Konsens. | |
Bild: Jetzt wird alles anders: Cem Oezdemir (r.), Winfried Kretschmann, Eveline… | |
BERLIN taz | Euphorie klingt anders. Als der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir | |
am Tag nach der Wahl in Berlin vor die Journalisten tritt, beeilt er sich | |
zu sagen: "Es ist völlig klar, dass die Wählerinnen und Wähler uns eine | |
andere Rolle zuschreiben als in der Vergangenheit." Und Wahlsieger Winfried | |
Kretschmann, der neben ihm steht, erklärt: "Wir sind uns der hohen | |
Erwartungen und des Vertrauensvorschusses bewusst." Die Grünen geben sich | |
besonders nüchtern und verantwortungsbewusst nach einem der größten Erfolge | |
ihrer Geschichte. Aus gutem Grund: Von nun an ist für sie alles anders. | |
Die Partei verkörperte im Wahlkampf die Hoffnung auf Wandel. Nun muss sie | |
hoffen, dass sie diesen Wandel auch durchsetzen kann. Noch ist ungewiss, ob | |
die Grünen die Kraft dazu haben - in Baden-Württemberg, in anderen | |
Bundesländern und im Bund. | |
Denn ihr Triumph verdeckt die Tatsache, dass die Grünen weiterhin eine | |
kleine Partei sind. Zwar gewannen sie in Baden-Württemberg | |
erstaunlicherweise neun Direktmandate. Alle übrigen - mit einer | |
SPD-Ausnahme - aber behält die mächtige Oppositionspartei CDU. Die Union | |
bleibt mit 73.000 Mitgliedern die bestimmende Macht im Südwesten. Die | |
Grünen kommen nur auf 7.800. Im Bund ist es ähnlich: 505.000 Mitglieder | |
gegen 54.000. | |
Das ist entscheidend. Die Grünen sind sich ihrer Position noch unsicher. | |
Sie sind in Baden-Württemberg auf Bewährung gewählt. Konfrontationen, egal | |
mit welcher Konkurrenzpartei, können sie sich nicht leisten. Auch deshalb | |
erklärt Kretschmann, als "Lehre aus dem Konflikt um Stuttgart 21" werde er | |
"versuchen, für alle ein offenes Ohr zu haben". Dasselbe meint Parteichefin | |
Claudia Roth, als sie sagt, die Grünen stünden für einen "Politikstil, der | |
Menschen einbezieht", und für "Teilhabegerechtigkeit". | |
Das Motto lautet: Bloß niemanden vor den Kopf stoßen. Man könnte ihn ja | |
noch brauchen. Mit ähnlichen Worten versucht die rot-grüne | |
Minderheitsregierung in Nordrhein-Westfalen, gesellschaftliche Mehrheiten | |
zu gewinnen, die ihr im Parlament fehlen. | |
Ein weiterer, bislang unbekannter Konflikt tut sich auf bei den Grünen. | |
"Wir werden die Interessen unseres Bundeslandes zu wahren wissen", erklärt | |
Kretschmann. Das heißt auch: Das wohlhabende Geberland im | |
Länderfinanzausgleich wird alles daran setzen, seine Zahlungen an ärmere | |
Bundesländer zu begrenzen. Das bringt Grün-Rot in Konflikt mit den rot-grün | |
regierten Nehmerländern Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Bremen. | |
Im September könnte auch das Hauptnehmerland Berlin eine rot-grüne | |
Koalition erhalten. Gäbe es dort Grün-Rot, käme es zu einem besonders | |
interessanten Konflikt: der reiche Grüne aus dem Südwesten gegen die arme | |
Parteifreundin Renate Künast im Nordosten. | |
Doch am Tag nach der Wahl wollen die Grünen daran nicht denken. Vielmehr | |
betonen sie, welchen Segen ihre Regierungsbeteiligungen in | |
Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz auch der Bundesebene bringen. "Dort | |
wollen wir die Auswüchse schwarz-gelber Lobbypolitik verhindern", sagt der | |
Grünen-Haushaltspolitiker Sven-Christian Kindler der taz. "Das ist eine | |
ganz große Chance für uns." | |
Die Wahl in Baden-Württemberg verändert die Machtverhältnisse noch auf eine | |
weitere Weise. Baden-württembergische Grüne erklären am Montag: Mit der | |
Rücknahme der Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke sei ja das Hindernis | |
für schwarz-grüne Bündnisse überraschend gefallen. Koalitionen von Union | |
und Grünen seien deshalb wieder möglich. | |
Zum Ende seines Berliner Auftritts erklärt Kretschmann: "Ich bin in erster | |
Linie meinem Land verpflichtet", erst dann der Partei, und danach komme | |
erst er selbst. "Das habe ich von Ministerpräsident Teufel", einem | |
CDU-Mann. | |
28 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
Matthias Lohre | |
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