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# taz.de -- Kommentar Grüne Modernisierung: Aufbruch der Mutbürger
> Ausgerechnet der früheren Bürgerschreckpartei wird zugetraut, das
> bürgerliche System zu modernisieren. Auf Union und FDP setzt man dagegen
> keine Hoffnungen mehr. Zu recht.
Dass in Baden-Württemberg bald der erste grüne Ministerpräsident regieren
wird, zeigt das Maß der Erschütterung des deutschen Parteiensystems. Nicht,
weil die Grünen das System in Frage stellen würden, Gott bewahre - doch
nicht mit einem Winfried Kretschmann als Chef. Die Erschütterung besteht
vielmehr darin, dass die Grünen als einzige Partei übrig geblieben sind,
der man noch zutraut, die gesellschaftliche Modernisierung voran zu
treiben.
Die Grünen sprechen heute ein breites Spektrum an Wählern an, quer durch
alle Alters- und viele Milieugrenzen hinweg. All diese Menschen eint der
Wunsch, das deutsche Wohlstandsmodell zu erhalten, indem es reformiert
wird. Für den Einzelnen soll sich dabei nicht allzu viel ändern - mit
diesem Modell sind die Menschen im Südwesten ja seit Jahrzehnten
hervorragend gefahren. Mit anderen Worten: ausgerechnet der früheren
Bürgerschreckpartei wird zugetraut, das bürgerliche System zu
modernisieren.
Auf Union und FDP setzt man dagegen keine Hoffnungen mehr. Zu recht. Nicht
nur wegen deren Festhalten an der Atomkraft oder dem Wegbetonieren von
Steuermilliarden wie bei Stuttgart 21. Auch, weil die Mischung aus
Gerechtigkeit, Geld und Zukunft nicht mehr stimmt: Da gibt es eine
Bankenkrise - und was passiert? Die Steuerzahler zahlen die Schuldigen aus.
Da gehen die Kommunen pleite - und Vermögende sollen trotzdem weniger
Steuern zahlen. Da sollen Frauen Prämien erhalten, wenn sie ihre Kinder
nicht in die teuer geschaffenen Kita-Plätze geben - und all das verkaufen
Union und FDP allen Ernstes als zukunftsweisende Politik.
Die so genannten "Wutbürger" sind zur neuen, wahlentscheidenden Schicht
geworden. Indem sie sehr konkrete Forderungen erheben, zwingen sie die
Politik zu klaren Aussagen. Und durch ihr Engagement schaffen sie ein neues
Mitmachklima im Lande. Für diese neuen Mitbestimmungs-Bürger sind nur die
Grünen glaubhaft, schließlich sind diese selbst aus Bürger-Initiativen
entstanden.
Nun haben die Grünen erstmals die Chance, in einem großen Bundesland
Politik zu gestalten. Die Risiken sind klar: Das Beispiel der gescheiterten
SPD-Kandidatin Andrea Ypsilanti in Hessen hat gezeigt, welcher Widerstand
vom Wirtschaftsflügel der SPD zu erwarten ist, will man die
Energiewirtschaft in ihrer jetzigen Form ernsthaft angehen. Die
konservative Mehrheit der Bevölkerung in Baden-Württemberg muss von Schul-
und Gemeindereformen ebenso überzeugt werden wie von Windrädern auf ihren
Hausbergen. Und spannend bleibt, wie lange der finanzkräftige schwäbische
Mittelstand das Ganze unterstützt - oder zumindest nicht bekämpft.
Der Wutbürger hat seinen Willen gehabt. Nun ist der Mutbürger gefragt. Wenn
der grüne Ministerpräsident seine Ziele umsetzen will, müssen ihm die
aktiven Bürger sowohl auf die Finger sehen als auch gegen die Blockierer
unterstützen. Da bleibt noch viel Raum für positiven Erschütterungen.
28 Mar 2011
## AUTOREN
Reiner Metzger
## TAGS
Schwerpunkt Stuttgart 21
Schwerpunkt Landtagswahl in Baden-Württemberg
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