# taz.de -- Klimawandel in der Politik: An Überheblichkeit verhoben | |
> Die Deutschen haben sich gegen die Arroganz der Macht ein Stück | |
> Demokratie zurückerobert. Immer war es knapp, aber immer hat es sich | |
> gelohnt. | |
Bild: Das Volk will nicht mehr: Auf der Demonstration gegen die deutsche Atompo… | |
Es ist eher ein Gefühl als eine kühle Analyse: Was für eine Erleichterung! | |
In den vergangenen Wochen war in der deutschen Politik gleich mehrmals zu | |
beobachten, wie die konservative Machtelite dieses Landes durch | |
demokratisches, zivilgesellschaftliches Engagement in die Schranken | |
gewiesen werden konnte. Gegen alle Widerstände. Und es war stets sehr | |
knapp. | |
Mit der Verlängerung der AKW-Laufzeiten fing es an: Diese Politik, die laut | |
Umfragen nur eine kleine Minderheit der Bevölkerung befürwortet, wurde von | |
der schwarz-gelben Koalition auf Bundesebene im vergangenen Herbst | |
brutalstmöglich exekutiert - mit Rückendeckung und nach sehr | |
wahrscheinlichen Einflüsterungen der großen Energiekonzerne natürlich. Und | |
das in einem zentralen Politikfeld. | |
Proteste dagegen, gegen dieses Regieren gegen die klare Mehrheit des | |
eigenen Volkes, auf den Straßen und Plätzen der Republik schienen zwecklos. | |
Alles prallte ab an der Arroganz einer demokratisch nicht legitimierten | |
Clique von Profiteuren der Laufzeitverlängerung, vor allem in der | |
Industrie. Wie kaum jemand anders verkörperte der nun abgewählte | |
Ministerpräsident Baden-Württembergs, der Atomkraftfan Stefan Mappus (CDU), | |
diese Überheblichkeit der Macht, die ja am Ende nur ein Kotau der Exekutive | |
vor wirtschaftlichen Interessen war. | |
Ähnliches schien sich beim Fall des früheren Verteidigungsministers (Dr.) | |
Karl-Theodor zu Guttenberg zu wiederholen: Fast wochenlang schien der | |
falsche Doktor mit seinen miesen Ausflüchten, seiner | |
adlig-gutsherrschaftlichen Unangreifbarkeit durchzukommen. Hätte es nicht | |
einen Aufschrei der machtfernen, bürgerlich-technischen Elite in Form von | |
Internetmassenprotesten echter Doktoren gegeben - auch diese Empörung hätte | |
die konservative Machtelite wohl wider besseres Wissen und trotz des | |
Verstoßes gegen ihre Grundwerte ausgesessen. | |
Das war ganz knapp: Wäre die Reaktorkatastrophe in Japan nur drei Wochen | |
früher gekommen, hätte zu Guttenberg aller Voraussicht nach politisch | |
überlebt, dieses Thema wäre an den Rand gedrängt worden. So aber wurde sein | |
Rücktritt der erstaunliche Sieg einer gesellschaftlichen Gegenkraft, die | |
die Regierung Merkel/Westerwelle offenbar kaum beachtenswert findet. Hier | |
überwog ebenfalls Erleichterung, dass scheinbar eher harmlose Proteste im | |
Netz und auf der Straße doch etwas bringen. | |
Nun mag Angela Merkel als Physikerin wirklich aus eher technischen und | |
sicherlich wahltaktischen Gründen plötzlich ein bisschen gegen die | |
Atomkraft sein, nachdem im japanischen Fukushima de facto ein zweites | |
Tschernobyl entsteht. Ihr plötzlich durchgesetztes Moratorium für die | |
Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke und die (zeitweise?) Abschaltung | |
von sieben deutschen Meilern wäre aber nicht denkbar gewesen, wenn die | |
Antiatomkraftbewegung nicht seit Jahrzehnten so stark in die Gesellschaft | |
gewirkt, das Feld bestellt hätte. | |
Wieder der gleiche Eindruck: Es bedurfte schon einer | |
Menschheitskatastrophe, um Teile einer offenbar abgehobenen Elite in | |
Politik und Industrie zu einem Umdenken zu bringen. Zumal die angeblich | |
falsch zitierten Bemerkungen von Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle | |
(FDP) bei der Spitze der deutschen Industrie zeigten, wie wenig ernst der | |
schnellere Abschied von der Atomenergie in der Bundesregierung und bei den | |
Wirtschaftsbossen gemeint war. Der Kairos, um zu Guttenberg zu zitieren, | |
der geschichtliche Moment war ganz kurz auf Seiten der Zivilgesellschaft. | |
Auch das war knapp. | |
Schließlich die Wahl in Baden-Württemberg am Sonntag: Da hatte sich die CDU | |
in Jahrzehnten durch ein nur halb demokratisches Wahlrecht und den | |
geschickten Zuschnitt von Wahlkreisen eine Machtbasis geschaffen, die kaum | |
zu knacken schien. Nur zwei Direktmandate mehr für die CDU - und die | |
Mehrheit der Bevölkerung wäre erneut in der Regierung nicht repräsentiert | |
worden. Das war ebenfalls, wie der Wahlabend zeigte, eine hauchdünne | |
Entscheidung. Was für eine Erleichterung, dass es anders kam, auch hier. | |
Der Landesvater Baden-Württembergs in spe, Winfried Kretschmann (Grüne), | |
zitierte am Wahlabend Max Webers Bild von der Politik als Bohren dicker | |
Bretter. Das Volk hat sich in den vergangenen Wochen ähnlich mühsam ein | |
Stück Demokratie zurückerobert. Die Arroganz der Macht wurde gestraft. | |
Deutschland ist ein anderes Land geworden. Glück war auch dabei. Welche | |
Erleichterung! Widerstand lohnt sich. Demokratie auch. | |
29 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
Philipp Gessler | |
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