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# taz.de -- Syrien und das System Assad: Unberechenbare Freiheit
> Das syrische Regime setzt das Militär gegen die Bevölkerung ein. Die
> Stadt Daraa ist völlig abgeriegelt, es wird geschossen. Doch kann sich
> Assad auf seine Armee verlassen?
Bild: Bild aus einem Amateurvideo, das Demonstranten am Wochenende in Damaskus …
KAIRO taz | Elf Jahre lang hat der syrische Diktator Baschar al-Assad
politische Reformen versprochen. Elf Jahre lang ist nichts geschehen. Die
regierende Baath-Partei besitzt weiterhin das ihr von der Verfassung
garantierte Monopol, und allein 17 verschiedene Staatssicherheitsdienste
sind dazu da, das Regime Assad zu schützen.
Dass sie angesichts der wachsenden Demokratiebewegung im Land nicht mehr
ausreichend dazu in der Lage sind, zeigt der Einsatz der Armee in Daraa
seit Anfang dieser Woche. Laut Augenzeugenberichten schossen Soldaten
weiter unvermindert auf Demonstranten, die Armee bekam Verstärkung.
Der Konflikt zwischen Regime und Volk hat damit eine neue Qualität
erreicht. Die Armee als ultimative Waffe einzusetzen, birgt für das Regime
ein enormes Risiko. Auf die Einheiten der Republikanergarde dürfte Verlass
sein, ebenso auf die von Assads Bruder Maher und von dessen Schwager Assef
Schauqat kommandierten Truppen. Aber was ist mit dem Rest der Armee?
Alle Einheiten werden von strammen Baathisten und meist auch Offizieren aus
Assads Alawiten-Clan geführt. Doch die unteren Rängen bestehen aus
Wehrpflichtigen, und da steckt das Regime in einem Dilemma - zu ähnlich
sind sich die Wehrpflichtigen auf der einen und die Demonstranten auf der
anderen Seite. Die hohen Offiziere mögen ihre vom Regime geschenkten
Privilegien verteidigen, die Soldaten haben nichts zu verteidigen.
## Desertierte Soldaten angeblich exekutiert
Schon kursieren auf YouTube die ersten Amateurvideos, die angeblich
Soldaten zeigen, die wegen Befehlsverweigerung exekutiert worden sein
sollen. Schon kommen die ersten Berichte, dass einzelne Armeeeinheiten
angeblich den Vorstoß anderer Kollegen auf Daraa stoppen wollten.
Nachprüfen lässt sich im Moment beides nicht.
Ausländischen Journalisten ist der Zugang nach Syrien versperrt. Anders als
Gaddafi bettet Assad keine ausgewählten Journalisten im Fünf-Sterne-Hotel
unter Aufsicht seiner Schergen ein, um die Illusion einer Berichterstattung
aufrechtzuerhalten. Und selbst lokalen Journalisten wird der Zugang zu den
Operationsgebieten der Armee und der Sicherheitskräfte untersagt. Was
bleibt, sind YouTube-Videos und Augenzeugenberichte am Telefon von Syrern,
die sich nicht einschüchtern lassen. Wirklich verlässlich ist beides nicht.
Die Aufständischen haben keine politische Führung, das macht ihre Stärke
aus, weil es sie weniger verwundbar macht. Das ist längerfristig aber auch
ihre Schwäche, denn so ist die Zeit nach Assad nicht berechenbar.
## Slogans der nationalen Einheit
Anders als Ägypten, Tunesien oder Libyen besteht Syrien aus einer
explosiven Mischung konfessioneller Gruppen und Ethnien. Im Moment malt das
Regime diese Gefahr an die Wand, um sich als einzige Alternative zu einem
irakischen Szenario anzupreisen. Und noch vergeht keine Demonstration, in
der nicht neben der Forderung nach dem Sturz des Regimes auch Slogans der
nationalen Einheit hochgehalten werden, so als wolle man den Gegenbeweis zu
den Vorwürfen des Regimes antreten. Aber das muss nicht so bleiben, wenn
das Regime weg ist.
Gerade im Süden des Landes und in Daraa spielen Stämme eine Rolle, die gute
Verbindungen zu jordanischen Clans haben. Es wäre einfach für sie, sich zu
bewaffnen. Doch noch haben die Aufständischen offensichtlich die bewusste
Entscheidung getroffen, dass sie mit friedlichen Demonstrationen das Regime
mehr in die Ecke treiben können.
Unklar ist, was Veränderungen in Syrien langfristig bedeuten, wenn etwa das
Regime mit Hilfe von Panzern an der Macht bleibt und damit politisch
isoliert ist, international, aber auch gegenüber anderen arabischen
Ländern, in denen die Revolutionäre ihre Diktatoren verjagt haben. Oder
wenn die Aufständischen es schaffen, welches politische System folgt dann?
Wie das Ganze ausgeht, wird enorm regionale Auswirkungen haben, auf den
Nachbarn Israel und die Frage der israelisch besetzten Golanhöhen, auf die
Verbündeten Syriens: die Achse Hisbollah, Hamas und Iran sowie auf das
instabile Nachbarland und die durchlässige Grenze zum Irak. Auch das
libanesische Gefüge wird mit einem neuen Syrien auseinandergeraten. Wenn
Syrien nicht mehr so ist wie bisher, dann werden die regionalen Karten
völlig neu gemischt.
Syriens Regime ist undemokratisch, autokratisch, verletzt täglich die
Menschenrechte. Aber es war all die Assad-Jahre auch etwas anderes: Es war
für Freund und Feind berechenbar. Das ist unumkehrbar vorbei.
26 Apr 2011
## AUTOREN
Karim Gawhary
Karim El-Gawhary
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