# taz.de -- Debatte Arabische Revolutionen und Iran: Poker am Persischen Golf | |
> Die Haltung des Iran zu den arabischen Revolten ist ambivalent. Das | |
> Regime hofft aber darauf, seinen Einfluss in der Region auszubauen. | |
Bild: Heidegger im Billy-Regal: Bahman Nirumand in seiner Wohnung in Steglitz. | |
Die Aufstände in den arabischen Staaten haben Iran in eine Zwickmühle | |
gebracht. Hatten die Proteste in Tunesien und Ägypten in Teheran anfänglich | |
noch Jubel ausgelöst und die "Islamische Republik" dazu verlasst, von einem | |
"Erwachen des Islam" in der arabischen Welt zu sprechen, bremsten die | |
Unruhen in Jemen und Bahrain die Euphorie merklich ab, seit dem Ausbruch | |
der Proteste in Syrien ist die Freude völlig verflogen. Hier sei eine | |
Verschwörung der USA und Israels am Werk, heißt es nun in den offiziellen | |
Verlautbarungen des Iran. | |
Schon der anfängliche Jubel über den Fall der säkularen arabischen Despoten | |
Ben Ali und Mubarak war von Misstönen begleitet. Die Solidarität mit den | |
Massen in Ägypten und Tunesien, die sich gegen Diktatur, Korruption und | |
Misswirtschaft erhoben hatten, wollte nicht so recht passen zu der | |
gewaltsamen Niederschlagung der Opposition im eigenen Land, die 2009 aus | |
denselben Gründen über Monate auf Irans Straßen gegangen war. | |
## Furcht vor der Kettenreaktion | |
Aus Furcht, die Kettenreaktion der Aufstände in der arabischen Welt könnte | |
auch den Iran erreichen und die "grüne" Protestbewegung von Neuem | |
entflammen, wurden Nachrichten und Bilder stark zensiert, ausländische | |
Fernseh- und Rundfunkprogramme in persischer Sprache gestört und | |
Internetverbindungen nach außen so weit wie möglich unterbunden. Über die | |
Ereignisse in Syrien herrscht nun eine nahezu vollständige | |
Nachrichtensperre. Die Berichterstattung der staatlichen Medien folgt der | |
offiziellen Linie, dass sich die Proteste in der arabischen Welt lediglich | |
gegen den imperialistischen Westen und seine lokalen Lakaien richten und | |
einen "islamischen Staat" zum Ziel haben. | |
Zugleich wittert das Regime in Teheran auch eine Chance, seinen Einfluss | |
insbesondere in den Staaten am Persischen Golf auszuweiten und der | |
angestrebten Rolle einer regionalen Großmacht näher zu kommen. In einer | |
internen Studie des iranischen Parlaments heißt es, die Volkserhebungen im | |
Nahen Ostens und Nordafrika, vor allem aber in Staaten wie Bahrain, seien | |
wie ein "Damoklesschwert", könnten also als Bedrohung, aber auch als Chance | |
betrachtet werden. Zwar sei der Westen gemeinsam mit Saudi-Arabien dabei, | |
eine Front gegen Iran aufzubauen. Durch kluges Handeln könnten derlei | |
Versuche aber zu Gunsten Irans gewendet werden. | |
Aus der Sicht Teherans lassen sich die arabischen Staaten nicht über einen | |
Kamm scheren. Staaten wie Bahrain, die sich in unmittelbarer Nachbarschaft | |
befinden, haben einen anderen Stellenwert als fern liegende Staaten wie | |
Libyen. An engen Beziehungen zu Ägypten ist Iran schon lange interessiert, | |
trotz Mubarak und des Friedensvertrags mit Israel. Das verlangt die | |
Rivalität zu Saudi-Arabien, das ebenfalls eine Führungsrolle in der | |
islamischen Welt für sich beansprucht. Doch Kairo ging, vermutlich nicht | |
zuletzt auf Wunsch der USA, auch nach Mubaraks Sturz nicht auf das Werben | |
aus Teheran ein. Iranische Medien meldeten kürzlich die Wiederaufnahme der | |
seit dreißig Jahren abgebrochenen diplomatischen Beziehungen, doch ein | |
Dementi aus Kairo machte die Hoffnungen erst einmal zunichte. | |
Noch schwieriger sind Irans Beziehungen zu den Staaten am Persischen Golf. | |
Zu Kuwait liegen die diplomatischen Beziehungen derzeit auf Eis: Das Emirat | |
hat kürzlich zwei Iraner unter dem Vorwurf der Spionage zum Tode verurteilt | |
und drei Diplomaten ausgewiesen, im Gegenzug wies Teheran mehrere | |
kuwaitische Diplomaten aus. | |
## Alte Rivalität mit Saudi-Arabien | |
Feindliche Stimmung herrscht traditionell auch zwischen Saudi-Arabien und | |
dem Iran - noch mehr aber, seit die Saudis den Herrschern in Bahrain bei | |
der Niederschlagung der Aufständischen zur Hilfe geeilt sind. Dagegen hat | |
Iran scharf protestiert. | |
Die Situation in Bahrain ist besonders sensibel, weil dessen Bewohner zu 70 | |
Prozent Schiiten sind, das Land aber von Sunniten regiert wird. Iran hat | |
über Jahrzehnte Bahrain als eigenes Territorium beansprucht und erst in den | |
Siebzigerjahren als selbständigen Staat anerkannt. Doch unter Irans | |
Konservativen gibt es immer noch Strömungen, die nach wie vor | |
Besitzansprüche stellen. Die Araber befürchten, dass Iran die | |
benachteiligten Schiiten in Bahrain und anderen arabischen Staaten benutzt, | |
um mehr Einfluss zu nehmen. Deshalb hat der Golfkooperationsrat bereits | |
zweimal innerhalb der letzen Wochen gegen iranische Einmischung | |
protestiert. | |
## Syrien spielt die Schlüsselrolle | |
Ganz anders gestaltet sich das Verhältnis Irans zu Syrien und dem Irak. | |
Zwischen Teheran und Damaskus besteht praktisch ein Freundschaftspakt, der | |
für beide Seiten von großer Bedeutung ist - für Syrien in erster Linie | |
wirtschaftlich, für den Iran politisch. Teheran braucht Damaskus als | |
Brückenkopf, um über die Hisbollah im Libanon und über die Hamas in | |
Palästina Einfluss zu nehmen. Ohne enge Verbindung zu Syrien wäre die | |
herausragende Rolle, die Iran als mächtiger Staat im Nahen Osten auch im | |
Israel-Palästina-Konflikt spielt, nicht möglich. Gerade deshalb wird | |
Teheran alles versuchen, um einen Regimewechsel in Syrien zu verhindern. | |
Die USA behaupten nachweisen zu können, dass der Iran dem Regime in | |
Damaskus bei der Niederschlagung der Aufständischen Hilfe leistet. | |
Jedenfalls wäre es in Anbetracht der Interessen Irans durchaus denkbar, | |
dass Teheran zumindest die eigene Erfahrung bei der Niederschlagung der | |
Opposition im eigenen Land an die Syrer weitergibt und sie wenn nicht mit | |
Waffen, so doch wenigstens mit Abhörgeräten und Geräten zur Filterung von | |
Internetverbindungen versorgt. | |
Groß ist der Einfluss der Islamischen Republik auch im Irak. In Bagdad | |
fällt praktisch keine Entscheidung von größerer Tragweite, die nicht zuvor | |
mit Teheran abgestimmt worden ist. Das könnte sich nach Abzug der | |
Besatzungsmächte sogar noch verstärken. Über diese enge Verbindung zwischen | |
Iran, Irak, Syrien, Hisbollah und Hamas, die als schiitische Achse | |
bezeichnet wird, versucht der Iran, seine Rolle als regionale Großmacht | |
auszubauen. Bei einem möglichen Regimewechsel in Syrien oder nach der nun | |
erfolgten Einigung zwischen Hamas und Fatah in Palästina droht dieses | |
Machtgerüst aber zu zerfallen. | |
3 May 2011 | |
## AUTOREN | |
Bahman Nirumand | |
## TAGS | |
68er | |
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