| # taz.de -- Publizist Bahman Nirumand im Interview: "Der Iran ist reif für die… | |
| > taz-Autor Bahman Nirumand über ein Bombenattentat mit Rudi Dutschke, | |
| > einen Wehrmachts-Major im Internat, die Fehler der iranischen Revolution | |
| > und die deutsche Studentenbewegung. | |
| Bild: Heidegger im Billy-Regal: Bahman Nirumand in seiner Wohnung in Steglitz. | |
| taz: Herr Nirumand, Sie gelten als friedliebender, höflicher Mensch mit | |
| literarischen Neigungen. Doch einmal wollten sie zusammen mit Rudi Dutschke | |
| eine Bombe legen. Warum das, was hatten Sie vor? | |
| Bahman Nirumand: Das war 1967, es ging um den Vietnamkrieg. Wir hatten über | |
| eine Aktion nachgedacht, die den USA propagandistisch schaden sollte. | |
| Was genau planten Sie? | |
| Es sollten keine Personen zu Schaden kommen. Wir wollten in der Nähe von | |
| Saarbrücken einen Rundfunkmast des amerikanischen Militärsenders AFN | |
| sprengen. Der spielte zwar sehr gute Musik, machte aber auch Propaganda für | |
| den Vietnamkrieg. | |
| Daraus wurde aber nichts? | |
| Nein, wir reisten mit einer Bombe an, die – das erfuhren wir später – ein | |
| V-Mann des Verfassungsschutzes gebastelt hatte. Mit der Bombe im Koffer | |
| flogen wir nach Frankfurt am Main. Dort wurden wir schon von zwei | |
| Polizisten in Empfang genommen. Sie sagten, dass uns der Polizeipräsident | |
| gerne sprechen würden. Das war natürlich ein Schock. Ich fragte, ob ich das | |
| Gepäck so lange ins Schließfach einschließen könnte. Ich durfte. Auf dem | |
| Präsidium war es dann nicht so wild. Danach holten wir den Koffer aus dem | |
| Schließfach und fuhren mit einem Mietwagen nach Saarbrücken. | |
| Aber da kam auch alles anders als gedacht? | |
| Ja, zum Glück, wie ich nachträglich sagen muss. Ein Freund, der | |
| Liedermacher Franz Josef Degenhardt, hätte Informationen zum Sendemast | |
| einholen sollen. Wir kannten uns ja dort gar nicht aus. Aber Degenhardt | |
| wollte bei der Aktion nicht mehr mitmachen. Und so flogen wir mit der Bombe | |
| im Gepäck wieder zurück nach Berlin, deponierten den Koffer bei einem | |
| Lehrer unterm Bett, der nicht wusste, was drin war. Später gaben wir die | |
| Bombe dem V-Mann Urbach zurück. | |
| Das war Ihr einziger Flirt mit solchen Aktionen? | |
| Ja. Auch wenn ich Ulrike Meinhof gut kannte. Ich bedauerte die ganze | |
| Entwicklung. | |
| Rudi Dutschke war Ihr Freund. Was empfanden Sie, als Sie am 11. April 1968 | |
| von den Schüssen auf ihn erfuhren? | |
| Ich war schockiert, als mich der Anruf erreichte. Ich fuhr sofort mit dem | |
| Taxi zum SDS-Zentrum am Kudamm. Dort lagen Rudis Fahrrad, die Schuhe, seine | |
| Tasche. Rudi hatten sie bereits ins Krankenhaus gebracht. Als er einige | |
| Tage später aus dem Koma erwachte, hat er mich nicht erkannt. Er hatte | |
| seine Erinnerung verloren, es war schrecklich. | |
| Sie waren einer der Vorsitzenden der CIS/NU, der Konföderation iranischer | |
| Studenten im Ausland. Wie kam es zu der engen Zusammenarbeit von deutschem | |
| SDS und iranischer Auslandsopposition? | |
| Anlass war der Schahbesuch 1967. Aber wir waren vorher schon an | |
| Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg beteiligt. Die CIS/NU war die am | |
| besten organisierte Gruppe in Deutschland, nicht nur unter den Ausländern. | |
| Wir hatten weltweit etwa 100.000 Mitglieder, davon über 60.000 in | |
| Deutschland, nicht nur Studenten. Wir konnten innerhalb weniger Stunden in | |
| Deutschland, den USA, Japan oder Indien zu Aktionen mobilisieren. | |
| Als der SDS zögerte, bei den Protesten gegen den Schahbesuch mitzumachen – | |
| sie meinten, es würde vom Protest gegen den Vietnamkrieg ablenken –, bin | |
| ich zur Kommune 1 gegangen. Die waren sofort Feuer und Flamme. Der SDS | |
| machte dann auch mit. | |
| Sie kamen bereits als Jugendlicher in die Bundesrepublik? | |
| Im November 1951 flog ich erst mal in die Bundesrepublik. Ich war 14, | |
| konnte kein einziges Wort Deutsch, alles war fremd. | |
| Sie entstammen einer wohlhabenden Teheraner Beamtenfamilie. Warum schickte | |
| Sie Ihr Vater zur Ausbildung in die Bundesrepublik? | |
| Zwei meiner Onkel hatten vor dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland studiert. | |
| Sie heirateten Deutsche und gingen mit ihnen zurück in den Iran. Meine | |
| Tanten vermittelten meine Unterbringung in Stuttgart. Aber wie wunderbar | |
| meine Gastfamilie dort auch war, ich saß den ganzen Tag auf meinem Zimmer | |
| und heulte aus Heimweh. | |
| Ich bat, dass man mich in ein Internat zu anderen Kindern schickte. Ich kam | |
| auf ein Internat bei Korntal von der Herrnhuter Brüdergemeinde. Da | |
| herrschten strenge Erziehungsmethoden. Mein wichtigster Erzieher war ein | |
| früherer Major der Wehrmacht. Das hielt ich ein Jahr aus, dann bin ich | |
| zurück nach Stuttgart. | |
| Sie machten Abitur und promovierten in Tübingen über Bertolt Brecht. Sie | |
| gingen in den Iran, kamen in den 60ern wieder in die Bundesrepublik, lebten | |
| in Berlin. Warum? | |
| Nach dem Studium bin ich sofort in den Iran gereist, sehr viele Ideale im | |
| Gepäck. Leider musste ich feststellen, dass die fortschrittlichen | |
| Lehrmethoden, die ich im Ausland gelernt hatte, nicht gefragt waren. Die | |
| iranischen Intellektuellen saßen im Elfenbeinturm und schwärmten auf völlig | |
| irrelevante Weise von Orient oder Okzident. Zudem musste ich zum Militär, | |
| die übelste Zeit meines Lebens. Ich hasste das Militär. | |
| Also lebten Sie wieder in Berlin. Doch 1979 zog es Sie wieder in den Iran. | |
| Sie beteiligten sich auf demokratisch-sozialistischer Seite an der | |
| Revolution gegen den Schah. Wann merkten Sie, dass alles schieflief? | |
| Recht früh. Ich kannte die Mullahs. Man konnte ja hören, wovon Chomeini | |
| sprach. Deswegen gründete ich mit Freunden die Nationaldemokratische Front, | |
| als Auffangbecken für die demokratische Linke. Wir wollten den Weg des 1953 | |
| gestürzten Mossadegh fortsetzen, der einzigen demokratischen Figur, die das | |
| Land bis dahin hervorbrachte. | |
| Sie gerieten sehr schnell unter Druck. Warum hat praktisch die gesamte | |
| iranische Linke 1979 Chomeini und die Islamisten unterschätzt? | |
| Niemand konnte sich vorstellen, dass eine klerikale Diktatur entsteht. Iran | |
| war kein religiös-fundamentalistisches Land wie Saudi-Arabien. Die | |
| Schah-Diktatur beschränkte sich auf Machterhalt und ließ die Leute | |
| ansonsten machen, was sie wollten. Chomeini erklärte aber der offenen | |
| Gesellschaft sofort den Krieg. Er sagte, von nun an würden sie sich um | |
| alles kümmern, von vor der Geburt bis nach dem Tod. Doch wir glaubten: Wer | |
| mit dem Schah fertig wird, braucht auch die Turban tragenden Männer nicht | |
| zu fürchten. Ein furchtbarer Irrtum. | |
| Wurden die Islamisten unterschätzt, weil man den Einfluss "des" | |
| (westlichen) Imperialismus überschätzte und kaum über hausgemachte Ursachen | |
| der iranischen Misere nachdachte? | |
| Ich denke schon. Wir hatten die Gründe der Rückständigkeit zu wenig | |
| analysiert. Wir wollten den Schah weghaben, wussten aber kaum, was | |
| stattdessen kommen sollte. Wir Linken sprachen von Sozialismus, die | |
| Liberalen von Liberalismus. Aber das waren Formeln, die mit der | |
| Gesellschaft wenig zu tun hatten. | |
| Die Islamisten hatten ein Fundament: immerhin 1.300 Jahre Islam. Und | |
| überall standen ihre Moscheen, die sie mit ihren fast 100.000 Mullahs in | |
| Parteizentralen verwandelten mit Massen an Gläubigen. Wir hatten dem nichts | |
| entgegenzusetzen. Der Schah hatte keine politischen Organisationen | |
| zugelassen. So gab es nur die Religion. Doch die Zivilgesellschaft hat der | |
| neuen Diktatur nun dreißig Jahre lang getrotzt, sich weiterentwickelt. Die | |
| iranische Gesellschaft ist heute reif für die Demokratie. | |
| Herr Nirumand, Sie sind 1936 in Teheran geboren, haben inzwischen mehr Zeit | |
| im Ausland als in Iran verbracht. Viele Ihrer Freunde und Mitstreiter | |
| wurden ermordet. Dass Sie überlebten, verdanken Sie vielen glücklichen | |
| Zufällen. Glauben Sie, dass Sie den Iran bald einmal gefahrlos besuchen | |
| können? | |
| Ich hoffe es. Dass ich überlebt habe, nicht nur physisch, sondern auch | |
| seelisch und geistig, das habe ich zu großen Teilen meiner Frau Sonia zu | |
| verdanken, einer aus Iran stammenden Ärztin in Berlin. Als ich nach der | |
| furchtbaren Niederlage nach Europa zurückkehrte, war ich wie viele andere | |
| vollständig am Boden. Es hat lange gedauert, bis ich das verarbeiten | |
| konnte. | |
| Ohne Sonia hätte ich es nicht geschafft, nicht nur in psychischer Hinsicht. | |
| Sie hat mir auch sehr geholfen, meine politischen Einschätzungen zu | |
| korrigieren und mich auf neue publizistische Aufgaben zu konzentrieren. Du | |
| kannst schreiben, an politischen Zirkeln teilhaben, aber ohne Liebe kommst | |
| du im Leben nicht aus. Vor allem nach solch einer Niederlage. | |
| 15 Jul 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Fanizadeh | |
| ## TAGS | |
| 68er | |
| Schwerpunkt Iran | |
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