Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Debatte Griechenland: Wie Europa gerettet werden könnte
> Es könnte einen Plan geben, um Griechenland und Europa zu retten: Die
> Abgaben - Steuern und Sozialversicherung - müssen hoch. Merkels
> Griechenlandbashing ist Parteitaktik.
Bild: Europa kommt an seine Grenzen. Billiger Populismus à la Merkel schadet d…
Sie haben einfach keinen Plan. Nicht in Berlin, nicht in Brüssel, nicht in
Washington. Und der, den sie mal hatten, der war eine Katastrophe:
Griechenland sollte darin auf Teufel komm raus sparen, um so vermeintlich
die Finanzmärkte zu beruhigen.
Dumm nur, dass auch die meisten Analysten die ein oder andere
Volkswirtschaftsvorlesung besucht hatten. Die konnten sich ausrechnen, dass
bei dieser Kombination von hohem Verschuldungsgrad und schwacher
Wirtschaftslage eine Sparpolitik à la Reichskanzler Brüning das Elend nur
verschlimmern würde.
Natürlich ist die Aufgabe nicht einfach. Immerhin sollen drei Ziele
gleichzeitig erreicht werden. Erstens darf es infolge der griechischen
Krise nicht zu einem großen Bankenkrach kommen. Eine neue Megakrisis in der
Finanzwirtschaft nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers wäre bei einer
immer noch angeschlagenen Weltwirtschaft vielleicht genau der eine Schock
zu viel. Zweitens aber muss dem überschuldeten Land die Chance gegeben
werden, sich eines Teils seiner Verbindlichkeiten zu entledigen, da sonst
keine Hoffnung auf eine tragfähige wirtschaftliche Entwicklung gegeben ist.
Das würde man auch bei Privatpersonen und Unternehmen so sehen, und zwar
immer unabhängig davon, wie genau es nun zur Überschuldung gekommen ist.
Drittens schließlich ist nicht einzusehen, warum die Steuerzahler der
helfenden Länder die Hauptlast der Anpassung zahlen sollen. Dass
Finanzanleger hohe Zinsen kassieren und gleichzeitig eine Absicherung ihrer
Investitionen durch die EU und den IWF fordern, ist sowohl unmoralisch wie
unökonomisch. Denn Zinsdifferenzen spiegeln auf Märkten Risikodifferenzen
wider, und Risiko darf - wie Fukushima zeigt - nicht als abstrakte
statistische Größe gesehen werden, die man im praktischen Handeln getrost
ignorieren darf.
## Kassieren ohne Risiko
Wer etwa zehn Jahre lang 3 Prozent höhere Zinsgewinne als bei erstklassig
bewerteten Papieren eingestrichen hat, darf sich also nicht beklagen, wenn
seine Anlage zu einem Drittel abgewertet wird. Die Forderung nach einer
Teilabschreibung, einem Haircut, scheint jedoch dem erstgenannten Prinzip,
unter allen Bedingungen eine dammbrechende Flutwelle von Bankencrashs zu
verhindern, zu widersprechen. Und tatsächlich warnt die EZB, dass sie eine
solche - ausgehend von mehr als wackeligen griechischen Finanzinstitutionen
mit einem hohen Anteil von Anleihen ihres Staates im Portefeuille -
befürchtet.
Es gibt jedoch eine Lösung, die alle drei Bedingungen zugleich erfüllt.
Dazu müsste zunächst Griechenland formell seine Zahlungsunfähigkeit
erklären und seine Zins- und Tilgungszahlungen einstellen. Das würde
normalerweise einen Automatismus in Gang setzen, da die großen
Ratingagenturen das Land drastisch abwerten würden und Banken und
Versicherungen ihre Bestände an griechischen Anleihen abschreiben müssten.
Aber zugleich könnten die EU oder die Länder der Eurozone oder wie auch
immer das Verantwortungskonsortium sich zusammensetzte, ein Angebot an die
Halter solcher Papiere abgeben: Man würde darin seine Bereitschaft
erklären, jede griechische Staatsanleihe in eine gemeinsam garantierte -
zum vollen Betrag und über die verbleibende Restlaufzeit - umzutauschen,
aber nur unter zwei Bedingungen.
## Bedingungen für Anleihen
Einmal würden nämlich die neuen Anleihen nur zu dem Zinssatz ausgegeben,
den das bestbewertete Euroland, also etwa Deutschland, für den jeweiligen
Anleihentyp auch zahlt. Das senkt schon mal erheblich und sofort die Kosten
für Griechenland. Und zweitens ginge mit dem Umtausch die Verpflichtung
einher, nach Ablauf der Frist wieder zu diesen für Athen sehr günstigen
Bedingungen eine Anleihe mit der gleichen Zeitdauer zu zeichnen, aber immer
um einen gewissen Abschlagsfaktor verringert. Setzt man diesen Faktor z. B.
auf 20 Prozent und nimmt - durchaus realistisch - eine mittlere Laufzeit
der Staatsanleihen von etwa 7 Jahren an, hätte Athen also bis 2018 Zeit,
ein Fünftel seiner Staatsschuld abzubauen, 2025 könnte es aber immerhin
noch mit 64 Prozent der heutigen Kreditmenge rechnen, 2032 mit gut 51
Prozent und so weiter. Das wäre zeitlich ein sehr entspannter Plan für
Wirtschaftsreformen.
Reformen müssen sein - aber doch nicht, indem ausgerechnet wieder die
Masseneinkommen und öffentlichen Investitionen gekürzt werden. Und Merkels
neues Lieblingsprojekt, in ganz Europa via Griechenbashing die
Lebensarbeitszeit zu verlängern, ist sicher eher dem desolaten Zustand der
CDU zu verdanken als ökonomischer Einsicht. Das Problem liegt anderswo.
## Die Abgaben betragen nur 29,4 Prozent des BIP
Griechenland hat eine viel zu niedrige Abgabenquote. Die staatlichen
Abgaben, das sind Steuern und Sozialversicherungsbeträge zusammen, betragen
dort laut OECD nur 29,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Im Kerneuropa
liegt diese Quote bei fast 40 Prozent. Woher kommt dieser Unterschied? Die
Antwort ist einfach: weil in Griechenland die verteilungsintensiven
Steuern, also die auf Einkommen, Gewinne und Vermögen, so gering sind. Wenn
sich Europa zu einer Hilfe nach dem oben skizzierten Verfahren entschließt,
dann darf es auch Bedingungen stellen. Vernünftig wäre es, wenn es eine
rasche Konsolidierung der Einnahmeseite forderte, sodass in wenigen Jahren
wenigstens der EU-Mittelwert erreicht wird, wobei besonders die
Einkommensstarken beizutragen hätten.
Die Situation in Irland und Portugal ist ähnlich und kann entsprechend
bewältigt werden. Auch hier wäre ein formeller Staatsbankrott mit
Umwandlungsgarantie der Anleihen nützlich. Und auch hier gibt es eine zu
niedrige Abgabenquote: 35,2 Prozent in Portugal, 27,8 in Irland. Und das
demnächst vielleicht strauchelnde Spanien erreicht 30,7 Prozent. Man darf
übrigens durchaus erwarten, dass die Spekulation gegen solche Länder
erheblich abnähme. Denn das dadurch provozierte Umtauschangebot zu recht
niedrigen Zinsen mit insgesamt sehr langen Laufzeiten ist ja nichts anderes
als ein impliziter Haircut. Nur dass er eben über die Zeit verteilt und
nicht sofort eingefordert wird. Sodass er zwar die Gewinne der Banken
schmälert, nicht aber ihren Vermögensbestand tangiert.
24 May 2011
## AUTOREN
Gerd Grözinger
## ARTIKEL ZUM THEMA
Mit Finance Watch gegen Banken-Abzocke: Bürger wollen Durchblick
Bisher hatte die Bankenlobby in Brüssel kaum einen adäquaten Gegner. Das
soll sich mit "Finance Watch" ändern. Die Organisation ist wie Greenpeace,
nur ohne Schlauchboote.
Machtwechsel in Portugal: Wahlschlappe für Linke
Die WählerInnen haben den Sozialisten unter Premier Sócrates eine herbe
Niederlage beschert. Künftig wird die konservative PSD das Land regieren.
Debatte Finanzkrise: Ist der Euro noch zu retten?
Der Eurorettungsfonds gehört zum Währungsfonds ausgebaut. Denn nach
Griechenland droht bald Spanien und Italien der Staatsbankrott.
Finanzkrise in Griechenland: Athen braucht mehr Geld
Die Euro-Länder müssen das Rettungspaket für Griechenland aufstocken.
Ansonsten könnte der Internationale Währungsfonds weitere Kredite
verweigern.
Kommentar Griechenland: Inselstaat im Ausverkauf
Griechenland ist nicht nur vorübergehend zahlungsunfähig, sondern dauerhaft
bankrott. Selbst wenn die Schulden zur Hälfte erlassen würden, wäre es
nicht wettbewerbsfähig.
Finanz-"Troika" über Griechenland: Beim Sparen Zeugnisnote Sechs
EZB, IWF und die EU bemängeln laut "Spiegel", dass Griechenland alle
vereinbarten Fianzziele verfehle. Dem Land droht nun das Ausbleiben
weiterer Kredithilfen. Der Straßenprotest dauert an.
Finanzkrise in Griechenland: Regierung verhökert das Volkseigentum
Privatisierungen sollen noch in diesem Jahr 3,5 Milliarden Euro in die
Staatskasse bringen. Doch auch Rentner, Angestellte und Freiberufler müssen
bluten.
Griechenland unter Druck: Piräus soll verkauft werden
Die Regierung beschließt ein hartes Privatisierungsprogramm und bittet EU
und IWF um die Überweisung der nächsten Hilfsgelder-Tranche. Unterdes
wächst die Angst vor einer Kapitalflucht.
Griechenland verscherbelt das Tafelsilber: Lotto, Strom und Flughäfen
Mit Privatisierungen sollen die Griechen ihre Schulden reduzieren. Ein
Problem ist: Sie wissen selbst nicht so genau, was dem Staat alles gehört.
Hilfesprogramm für Griechenland: "Sanfte" Umschuldung
Die Euroländer setzen Griechenland unter Druck und fordern
Privatisierungen. Dafür würde Eurogruppen-Chef Juncker die Laufzeiten der
Staatsanleihen verlängern.
EU macht Druck auf Griechenland: "Die Privatisierung ist in Verzug"
Europas oberster Finanzminister Juncker wies Gerüchte über eine große
Umschuldung Griechenlands zurück. Heute beraten die Finanzminister über
Regulierung von Spekulation.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.