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# taz.de -- Debatte Finanzkrise: Ist der Euro noch zu retten?
> Der Eurorettungsfonds gehört zum Währungsfonds ausgebaut. Denn nach
> Griechenland droht bald Spanien und Italien der Staatsbankrott.
Bild: Kommt der Sensenmann zum Euro?
Nach Griechenland, Irland und Portugal stufen die Ratingagenturen nun
Spanien herab und sprechen für Italien eine Vorwarnung aus. Wer sich deren
Staatsanleihen vorher durch einen Credit Default Swap (CDS) versichern
ließ, macht ein Bombengeschäft: Die Prämien stiegen deutlich an - und damit
auch die Anleihenzinsen.
Setzt sich diese Entwicklung fort, so wird es ernst für den Euro: Erstens
passen Spanien und Italien unter keinen Rettungsschirm - ihre
Staatsschulden sind ja fünfmal so hoch wie jene von Griechenland, Irland
und Portugal zusammen. Zweitens würde eine Ausweitung der Finanzkrise auch
den "Krisengewinnler" Deutschland schwer beeinträchtigen. Denn der deutsche
Export nach Spanien und Italien ist fast sechsmal so groß wie jener in die
drei kleinen Länder.
Um zu verstehen, was da gespielt wird, ein Blick zurück: Zwischen 2003 und
2007 bauen die Aktien-, Immobilien- und Rohstoffmärkte ein enormes
Absturzpotenzial auf. Ab Sommer 2008 fallen, erstmals seit 1929, alle drei
Vermögenspreise gleichzeitig. Erst dieser Vermögensverfall macht aus der
US-Hypothekarkreditkrise eine globale Wirtschaftskrise. Die Regierungen
erkennen die Gefahr einer Depression und wenden enorme Finanzmittel zur
Bankenrettung und Konjunkturstabilisierung auf.
Am stärksten steigen die Staatsschulden in jenen Euroländern, in denen eine
Immobilienblase platzte (Irland, Spanien) oder die Bundgetdefizite schon
vor der Krise hoch waren (Griechenland, Portugal). Dies nützen die
professionellen "Investoren": CDS-Spekulation erhöht die Anleihenzinsen
dramatisch: erst in Griechenland, dann in Irland und Portugal. Diese
Zinsepidemie erzwang vor einem Jahr die Bildung des Eurorettungsschirms.
## Stabilisiert die Zinssätze!
Fiele der Euro, so ergäben sich für die "Finanzalchemisten" neu-alte
Geschäftsfelder - welch belebende Wirkung hatte doch einst die Spekulation
mit den EU-Währungen! Dagegen hilft nur eine systemische Therapie: Die
Anreizbedingungen so zu verändern, dass sich unternehmerisches Handeln
wieder stärker lohnt als Finanzkunststücke. Grundvoraussetzung: Das System
Politik muss die zwischen der Real- und Finanzwirtschaft vermittelnden
Preise (im Raum: Wechselkurs, in der Zeit: Zinssatz) stabilisieren - und
zwar entsprechend den Gleichgewichtswerten der neoliberalen
Wirtschaftstheorie. Die Marktpreise weichen davon in grotesker Weise ab.
Eine Lösung sähe so aus: Der Eurorettungsfonds wird zum Europäischen
Währungsfonds (EWF) ausgebaut. Dieser stellt den Euroländern durch Ausgabe
von Eurobonds Finanzmittel zur Verfügung, garantiert von allen
Mitgliedsländern. Risikoprämien verlieren daher ihre Berechtigung. Die
Zinshöhe wird nicht vom Markt bestimmt, sondern vom EWF - und zwar etwas
unter der nominellen Wachstumsrate, also derzeit auf 2 bis 3 Prozent. Der
langfristige Zins würde also nach einem ähnlichen Verfahren festgelegt wie
der kurzfristige EZB-Leitzins ("Mengentender"), die Vergabe der Mittel an
die einzelnen Mitgliedsländer klaren Richtlinien unterworfen.
## Fatale Folge der Hochzinspolitik
Der Teufelskreis aus Wucherzinsen, Sparzwang, Wirtschaftsflaute, höherer
Verschuldung und noch höheren Zinsen wäre damit durchbrochen. Für die
Nachhaltigkeit der Schuldendynamik ist nämlich das
Zins-Wachstums-Differenzial von fundamentaler Bedeutung ("dynamische
Budgetbeschränkung"): Liegt der Zinssatz unter der Wachstumsrate, so kann
ein Schuldnersektor (Unternehmen, Staat) mehr Kredite aufnehmen, als er an
Zinsen für die "Altschuld" zu bezahlen hat (Primärdefizit), ohne dass seine
Schuldenquote (relativ zum Bruttoinlandsprodukt) notwendig steigt.
Liegt der Zins über der Wachstumsrate, so muss ein Schuldnersektor einen
Primärüberschuss erwirtschaften - er darf also nur weniger Kredite
aufnehmen, als er an Zinsendienst für bestehende Schulden leisten muss.
Seit Anfang der 1980er Jahre liegt das Nominalzinsniveau permanent über der
nominellen Wachstumsrate. Damals hatte man die Inflation mit einer
Hochzinspolitik bekämpft und vergessen, dass die dynamische
Budgetbeschränkung auch für den wichtigsten Schuldnersektor gilt, die
Unternehmen. Die Folgen waren verheerend: Der Unternehmenssektor "drehte"
seine Primärbilanz in einen Überschuss. Er drosselte seine
Realinvestitionen zugunsten von Finanzanlagen, das Wirtschaftswachstum sank
nachhaltig.
Die Haushalte erwirtschaften permanent Primärüberschüsse, sie sparen mehr
als ihre Zinserträge. Da die Summe aller Primärbilanzen Null beträgt, kann
der Staat nur dann einen Primärüberschuss erzielen, wenn der vierte Sektor,
das Ausland, hohe Primärdefizite hält. Dies ist der deutschen Wirtschaft
gelungen, die Leistungsbilanzüberschüsse übersteigen die Netto-Zinserträge
aus dem Ausland. Doch damit wurde das Problem nur auf die Defizitländer
verschoben.
## Besser als jeder "Haircut"
Simulationen mit einem ökonometrischen Weltmodell (Oxford-Modell)
verdeutlichen diese Zusammenhänge. Werden die kurz- und langfristigen
Zinsen im Euroraum auf einem Niveau von 1,5 Prozent oder 3,0 Prozent
stabilisiert, so wäre das Bruttoinlandsprodukt im Euroraum bis 2015 um 5,0
Prozentpunkte höher als in der Basislösung. Die Defizite und Schulden der
öffentlichen Haushalte gingen markant zurück - am stärksten in jenen
Ländern, in denen Staatsverschuldung und Anleihenzinsen am höchsten sind,
also in Griechenland, Irland, Portugal, Spanien und Italien.
Gleichzeitig wird ein "hair cut" - und damit eine abrupte Abschreibung der
Forderungen - vermieden: Indem die Gläubiger auf einen Teil der Zinserträge
verzichten, ermöglichen sie den Schuldnerstaaten, ihre Verbindlichkeiten
langfristig zu bedienen. Der Gesamtverlust wird so niedriger ausfallen als
im Fall von "hair cuts".
Gelingt es stattdessen, den drei Ratingagenturen "made in USA" und den
Finanz-Alchemiebanken unter Führung von Goldman Sachs und Deutscher Bank,
die Euroländer weiter gegeneinander auszuspielen, ist der Euro existenziell
bedroht. Gut für die USA: Der Dollar bleibt unangefochtene Leitwährung -
vielleicht auch ein Zweck der Übung.
31 May 2011
## AUTOREN
Stephan Schulmeister
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