# taz.de -- Debatte Sudankonflikt: Wie Abyei verraten wurde | |
> Erneut sind Truppen aus dem Nordsudan in die umstrittene Grenzstadt Abyei | |
> einmarschiert. Das hätte von der UNO verhindert werden müssen – und | |
> können. | |
Bild: Verdammte Stadt: Nach nordsudanesischen Angriffen brennt es im Zentrum Ab… | |
Im Jahr 2008 marschierte Sudans Armee SAF in der zwischen Nord- und | |
Südsudan umstrittenen Stadt Abyei ein, auf Befehl von Präsident al-Bashir. | |
Obwohl UN-Friedenstruppen im Stadtzentrum standen, stieß der Angriff auf | |
keinen Widerstand, die Zivilbevölkerung musste fliehen. Drei Jahre später | |
nun, im Mai 2011, ist der Norden erneut in Abyei einmarschiert. Erneut hat | |
die UNO nichts dagegen getan. Erneut hat sie ihre Untätigkeit damit | |
begründet, sie habe gegen die SAF-Panzer keine Chance. Erneut flohen die | |
Zivilisten. | |
Am 9. Juli wird Sudan zweigeteilt, der Süden wird unabhängig. Das staubige, | |
trockene Abyei, oft fälschlicherweise als fruchtbar und ölreich | |
beschrieben, liegt an der zukünftigen Grenze zum Süden, seine Zugehörigkeit | |
ist umstritten und der Ausgang dieses Streits eine Prestigefrage zwischen | |
Nord und Süd. | |
Der Süden sagt, das Gebiet gehört dem südsudanesischen Volk der Dinka-Ngok, | |
die seit Jahrzehnten in Abyei und umliegenden Dörfern leben. Der Norden | |
sagt, das Gebiet gehört geografisch zum Norden, egal wer da wohnt, und | |
verweist auf die arabischen Misseriya-Nomaden, die jedes Jahr mit ihrem | |
Vieh durchziehen. | |
Seit die SAF 2008 Abyei angriff, plünderte und anzündete, wurden endlos | |
Protokolle, Projekte und Programme auf Sitzungen und Konferenzen | |
diskutiert, um diesen Streit zu klären. Millionen flossen in Autos, Hotels, | |
Mittagessen, Konferenzen, Tagessätze und Flüge – ein UN-Sonderflug kostet | |
20.000 US-Dollar. Der Streit ging bis zum Internationalen Gerichtshof in | |
Den Haag. Am 19. Mai dieses Jahres löste sich all dies in Nichts auf, als | |
die SAF mit Antonow-Fliegern über Abyei Bomben abwarf und dann Soldaten auf | |
15 Panzern einrollten. | |
## Deutsches Bier für Blauhelme | |
Die UNO will jetzt untersuchen, warum die UN-Soldaten zwei Tage lang ihr | |
Gelände nicht verließen, während Abyei fiel. Es wird berichtet, ägyptische | |
UN-Soldaten hätten die SAF-Invasoren mit Lebensmittel und Wasser versorgt | |
und sie freudig begrüßt. | |
Die UNO hat eine große Basis in Abyei. Sie leuchtet in der Nacht unter dem | |
Sternenhimmel – eines der wenigen Gelände mit Strom in der Stadt und unter | |
diesen das bei weitem größte. Blauhelmkontingente aus Sambia verbringen | |
ihre Zeit in ihrer Bar mit Dartspiel, Fernsehen, VIP-Lounge und einem | |
Kühlschrank voll Bier. Alkohol ist verboten, aber die Sambier haben Autos, | |
sie fahren zwei Stunden in die nächste Stadt und kaufen kistenweise | |
tödliches deutsches Starkbier. | |
Neben den Soldaten gibt es Zivilisten und UN-Polizisten. Sie sollen die | |
Soldaten unterstützen und das Hauptquartier über die Lage in Abyei | |
unterrichten. Aber sie dürfen das Gelände ohne Sicherheitserlaubnis nicht | |
verlassen, und in entlegene Dörfer kommen sie nur mit Militärschutz. Es ist | |
nicht einfach, das Vertrauen eines Misseriya-Nomadenchefs zu erlangen, wenn | |
man zum Treffen einen Lastwagen voller bewaffneter Sambier mitbringt, die | |
sich die Bäuche kratzen. | |
Die UN ist in Abyei unbeliebt, und nicht nur, weil sie Zivilisten nicht | |
schützt: Jeder weiß, dass es auf dem UN-Gelände importiertes Essen und Wein | |
gibt, Klimaanlagen, Toiletten mit Spülung, heiße Duschen – für jeden Bürg… | |
Abyeis ein unvorstellbarer Luxus. Es gibt auch ägyptische UN-Soldaten in | |
Abyei – missmutige Jungs mit Pickeln im Gesicht, die die lokalen | |
Mitarbeiter anbellen. | |
## Privilegierte Familie im Süden | |
Auf dem Papier hat die Region Abyei eine Verwaltung mit Parlament und | |
Ministern aus Südsudan. Alle sind ernannt, nicht gewählt. Verwaltungschef | |
Deng Arop Kuol floh jetzt mit seiner gesamten Regierung Richtung Süden, | |
nach Agok auf das verlassene Gelände des englischen Hilfswerks Mercy Corps. | |
Auch sie haben Reis, Brot, Maisknödel, Ziegeneintopf, Bier und gekühlten | |
spanischen Wein, während draußen die Menschen in den nächsten Bundesstaat | |
laufen müssen, um einen Sack Hirse vom UN-Welternährungsprogramm zu | |
bekommen. | |
Die meisten Verwaltungsmitglieder von Abyei gehören zu Kuols Familie, | |
ebenso zahlreiche wichtige Politiker Südsudans wie Außenminister Deng Alor | |
oder der UN-Sonderberater zur Verhinderung von Völkermord, Francis Deng. | |
Man kann sich eine privilegiertere Familie im Südsudan kaum vorstellen: Die | |
Männer werden in Übersee ausgebildet und besitzen den Großteil von Abyeis | |
Immobilien. | |
Die Stadtbewohner hingegen können zumeist weder lesen noch schreiben, die | |
Mehrheit versteht kein Arabisch, sie haben kein Radio, Strom gibt es nicht, | |
zu essen nur wenig, Gesundheitsversorgung leisten nur Hilfswerke. Als im | |
Februar eine wütende Menschenmenge das UN-Gelände stürmte, ergriff Deng | |
Arop Kuol eine entschlossene Maßnahme: das Verbot von Alkohol und von | |
Shisha-Wasserpfeifen, der wichtigste Zeitvertreib in einer nicht besonders | |
lustigen Stadt. Kuol sagte, die Shisha-Pfeife sei ein Sicherheitsrisiko: | |
Die Leute könnten sich ja treffen und miteinander reden. | |
Eigentlich war 2005 vereinbart worden, dass zeitgleich mit Südsudans | |
Unabhängigkeitsreferendum im Januar 2011 auch in Abyei eine Volksabstimmung | |
stattfinden sollte, bei der über die Zugehörigkeit zu Nord oder Süd | |
entschieden würde. Dazu kam es nie; es gab auch keine Einigung über das | |
weitere Vorgehen, keine demokratisch gewählte Regierung, niemand bot den | |
Menschen von Abyei Schutz – alles aus Angst vor einem Einmarsch des | |
Nordens. | |
Nun, der Norden ist trotzdem einmarschiert. Aber niemand fragt jetzt die | |
Menschen von Abyei, die auf der Flucht im Schlamm leben, wie sie selbst | |
denn eigentlich ihre Zukunft sehen – dabei müsste das die Ausgangsbasis für | |
jede Friedensregelung sein. | |
Zur Frage nach UN-Schutz für die Bevölkerung sagt ein UN-Sprecher, die | |
Bevölkerung sei ja größtenteils fortgegangen. Diplomaten und UN-Mitarbeiter | |
versichern sich über geschmuggeltem Rotwein gegenseitig ihrer tiefen Sorge. | |
Bashir und seine Häscher feiern. Die geflohenen Verwaltungsgrößen von Abyei | |
versaufen die Biervorräte in Agok und telefonieren mit ihren Familien in | |
den USA. Und die 20.000 geflohenen Kinder von Abyei trinken verseuchtes | |
Wasser und schlafen im Regen. | |
Aus dem Englischen von Dominic Johnson | |
17 Jun 2011 | |
## AUTOREN | |
Carly Learson | |
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