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# taz.de -- Aufbau im Südsudan: "Wer spät kommt, isst die Knochen"
> Staatlichen Strukturen existieren im Südsudan nicht mehr. Der friedliche
> Umgang miteinanderer muss nach dem langen Krieg erst wieder erlernt
> werden.
Bild: Abyel: in der Grenzstadt zwischen Sudan und Südsudan steht kaum noch ein…
MUNDRI taz | Mundri ist verschwunden: Die Autowracks am Rande der lehmigen
Hauptstraße, die durch diese Stadt im Südsudan führt. Die angejahrten
Betonhäuser rund um den Platz, die mit einer bräunlichen Schicht aus Staub
und Feuchtigkeit bedeckt sind. Die Lehmhütten mit Strohdächern, die nicht
immer ganz wasserdicht sind. Die Männer mit ihren einfachen Verkaufsständen
aus Holz, in denen sie Rühreier und Fladenbrot backen. Die Frauen, die über
Holzkohlefeuern Tee und stark gewürzten Kaffee brauen - nichts davon ist
mehr zu sehen. Stattdessen nur eine graue Wand aus Wasser.
Das Fest mit dem Tanz, an dem eben noch Hunderte teilgenommen haben, hat
sich innerhalb weniger Minuten aufgelöst. Für Minuten sind nur noch
Donnergrollen und Rauschen zu hören. Dann kommen doch wieder Trommelschläge
dazu, leise erst, dann immer näher. Der Klang von traditionellen Hörnern
und Gesang: Die Musiker kommen zurück. Tanzend, trommelnd, singend, trotz
des Regens. Sie tragen ein buntes Sammelsurium von Kleidungsstücken:
Lendenschurz und Bastrock, Bermudashorts und Turnhose und mancher einen
Regenschirm. Einige haben ihre schwarzen Gesichter farbig angemalt; die
Truppe wirkt beinahe, als wäre hier Karneval.
Tatsächlich aber hat der Gewitterregen eine kulturelle Gala gesprengt. Die
Organisation "Aktion Afrika Hilfe International" hat in Mundri
Jugendgruppen von vier verschiedenen Ethnien zusammengebracht, "damit sie
sich gegenseitig mit ihren unterschiedlichen Kulturen vertraut machen", wie
Joan Teria erklärt. Sie ist für die Kulturprogramme zuständig, die vom
Evangelischen Entwicklungsdienst finanziell unterstützt werden.
Der 27-jährige Salah Bollen Kenyi gehört zu einer der Gruppen, die für das
Fest nach Mundri kamen. "Durch den langen Krieg haben wir uns so an
Konflikte gewöhnt, dass wir normale Verhaltensweisen fast verlernt haben",
sagt er. Die Kultur könne helfen, den friedlichen Umgang wieder zu lernen.
Seit 1955 haben die Südsudanesen in zwei Kriegen jahrzehntelang für ihre
Unabhängigkeit vom Nordsudan gekämpft.
## Sozialistisches Wahlergebnis
Allein der zweite Krieg, der im Januar 2005 zu Ende ging, dauerte länger
als 20 Jahre. Teil des Friedensvertrags war die Einigung auf ein
Referendum, in dem die Südsudanesen darüber abstimmen konnten, ob sie als
teilautonome Region beim Norden bleiben oder unabhängig werden wollen. Das
Referendum fand am 9. Januar statt, rund 99 Prozent der Südsudanesen
stimmten für die Teilung.
Wenn die Trennung am kommenden Samstag offiziell vollzogen und anerkannt
wird, erfüllt sich auch für Salah Bollen Kenyi ein jahrzehntealter Traum.
Einerseits. Andererseits ist er gar nicht mehr so sicher, dass sich die
Dinge in die richtige Richtung entwickeln und sein Traum wirklich wahr
werden wird: denn das wäre ein freier Südsudan, in dem Menschen aus allen
Ethnien die gleichen Chancen haben. Aber etwas anderes zeichnet sich ab.
"In der Regierung sind vor allem Dinka vertreten. Und wenn wir uns um einen
Job bewerben ist die erste Frage: ,Von welcher Ethnie bist du?'"
Auch Martin Kokolo hat gegenüber dem entstehenden Staat inzwischen
gemischte Gefühle. Der 26-Jährige war während des Krieges mit seinen Eltern
nach Uganda geflohen und ist dort bis in die 4. Klasse der weiterführenden
Schule gegangen. Jetzt gehört er ebenfalls zu einer Jugendgruppe, und er
unterrichtet Mathe und Naturwissenschaften in einer Primarschule seiner
Heimatstadt Yei. Von dem Verfassungsentwurf ist er enttäuscht. "So entsteht
keine Demokratie, sondern eine Diktatur." Nach dem Entwurf, der allerdings
noch debattiert werden wird, hat der Präsident sehr weitreichende
Vollmachten.
Nicht weit von dem Festplatz in Mundri entfernt lebt Beridector Chartis.
Der 32-Jährige dichtet gerade Löcher in der Wand seiner Unterkunft ab: Beim
Regen ist das Wasser durch die Wände gelaufen. Seine Hütte hat Chartis aus
Sperrholzplanken, Pappe und Plastik zusammengezimmert, als er 2008 aus
Khartoum nach Mundri zurückkam.
## Menschen zweiter Klasse
"Es geht uns nicht gut", sagt er, nachdem er zwei einfache Hocker geholt
und sich hingesetzt hat. "Ich bin mit dem Land nicht zufrieden, das die
Behörden uns zugewiesen haben." 16 Jahre lang hat er mit seiner Mutter,
seinem Bruder und zehn weiteren Verwandten in Khartoum gewohnt. Einige aus
der Familie hatten Arbeit, Chartis zum Beispiel war Gärtner in einer
Baumschule des Landwirtschaftsministeriums. Gemeinsam verdienten sie genug
zum Leben für alle. Aber wegen ihrer Hautfarbe fühlten sie sich als
Menschen zweiter Klasse behandelt und wollten nach Hause. Als die Familie
2008 nach Mundri zurückkam, stellte sie allerdings fest, dass fast ihr
ganzes Land von anderen Menschen besetzt ist. Die Familie musste sich aus
Platzmangel trennen: fünf von ihnen blieben in Mundri, acht zogen nach
Juba, Heimatlose in ihrer eigenen Heimat.
Chartis ging zur Kreisverwaltung, um nachzufragen, wann seine Familie ihren
Boden zurückbekommt. "Da haben sie mir gesagt, ich kriege das Land nur
gegen Geld." Vergeblich versuchte er, das zu begreifen. "Sie haben mich von
A nach B geschickt, ich habe kein Wort verstanden." Allerdings muss Chartis
einräumen, dass er den Besitzanspruch der Familie nicht richtig belegen
kann: Die entsprechenden Dokumente gingen während des Krieges verloren.
"Aber in der Kreisverwaltung müsste es doch eine Kopie davon geben."
Der zuständige Kreisvorsitzende von Mundri-West, Samson Arap Ephraim, ist
zu einem Treffen am späten Samstagnachmittag bereit. In den kleinen Bars
laufen schon Bier und Musik, auch Arap Ephraim ist einem Drink gegenüber
nicht abgeneigt. Also schmeißt er eine Runde, für sich, seine Entourage und
für alle, die sonst noch so da sind. Arap Ephraim hat während des Krieges
in den Reihen der SPLA gekämpft und das zivile Amt vorübergehend
übernommen, "weil es jetzt vor allem unsere Aufgabe ist, die Gesellschaft
zu organisieren". Dass die Bevölkerung klagt, von dieser Organisation sei
wenig zu spüren, ist ihm offenbar bekannt. "Die Regierung ist bis zum 9.
Juli ja nur kommissarisch im Amt", sagt er. "Deshalb haben wir kein Geld."
Was sie hätten, reiche nur für den Aufbau von Regierungsstrukturen.
Tatsächlich ist es eine riesige Aufgabe, aus dem Nichts heraus staatliche
Strukturen zu schaffen. Aber völlig mittellos ist die Regierung von
Präsident Salva Kiir nicht. Laut dem Friedensvertrag von 2005 bekommt sie
von Khartoum bis zum Tag der Unabhängigkeit die Hälfte aller Öleinnahmen.
Für die Zeit ab dem 9. Juli muss der Anteil neu verhandelt werden. Wie viel
genau sie derzeit erhält, behält die südsudanesische Regierung für sich.
## Offiziere stellen sich gegen Regierung
Nach einer Hochrechnung der Neuen Zürcher Zeitung waren es im vergangenen
Jahr fast zwei Milliarden Dollar. Wofür sie das Geld verwendet, macht sie
ebenfalls nicht öffentlich. Nur so viel ist bekannt: Die Hälfte der
Einnahmen fließt in den Sicherheitsapparat, überwiegend in die Gehälter von
Militär und Polizei. Obwohl die Regierung durch diese hohen Ausgaben
vermutlich die Loyalität der Bewaffneten erkaufen will, haben sich
inzwischen etliche Offiziere der SPLA offen gegen die Regierung gestellt.
Viele begründen ihre Rebellion mit der Korruption der jetzigen Elite.
Der Kreisvorsitzende Arap Ephraim, der sich am Samstagnachmittag mit Fragen
herumärgern muss, statt in Ruhe sein Bier zu trinken, wiegelt ab: keine
Probleme in Mundri. Erst nach und nach gibt er zu, dass viele Menschen
wütend sind über die Verteilung des Bodens durch die Regierung des Kreises.
So wie Beridector Chartis. "Möglich, dass ihm der Boden vor dem Krieg
gehört hat", sagt Arap Ephraim.
"Aber er träumt noch von den alten Zeiten. Jetzt gibt es neue Regelungen
und eine neue Regierung." Der verstorbene erste Präsident des Südens John
Garang habe die Menschen schon früh davor gewarnt, dass nach dem Krieg
nichts mehr sein werde wie vorher. "Wir dürfen diejenigen, die nicht
mitgekämpft haben sondern ins Ausland geflohen sind, natürlich nicht
komplett übergehen", sagt er. "Aber es ist ganz normal: Wer spät kommt,
isst die Knochen. Sie sollten also die Knochen akzeptieren."
6 Jul 2011
## AUTOREN
Bettina Rühl
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