# taz.de -- Flüchtlingskatastrophe im Sudan: Vernichtung in den Bergen | |
> Ein Flüchtling aus den Nuba-Bergen berichtet von "ethnischen Säuberungen" | |
> der Armee Khartums am schwarzafrikanischen Nuba-Volk. | |
Bild: Flüchtlinge in Kadugli, der Hauptstadt Kordofans. | |
JUBA taz | Nervös fummelt David an seinen Fingern herum, sein Gesicht ist | |
angespannt. Aus Angst will er nicht seinen richtigen Namen nennen. "Ich | |
werde nie vergessen, was ich erlebte", sagt er leise. David arbeitet bei | |
einer religiösen Organisation und floh vor einigen Tagen vor Sudans Armee | |
aus den Nuba-Bergen Nordsudans in Südsudans Hauptstadt Juba. | |
"In den Nuba-Bergen finden ethnische Säuberungen statt. Ziel sind wir, das | |
Nuba-Volk", beschreibt David die Ereignisse der letzten Wochen in | |
Südkordofan, der Provinz, wo die Nuba-Berge liegen. Auch abgezogene | |
Mitarbeiter von Hilfswerken und Menschenrechtsgruppen sprechen von | |
ethnischen Säuberungen durch die Armee Nordsudans gegen die Nuba, ein | |
schwarzafrikanisches Volk in der überwiegend von arabisch-afrikanischen | |
Nomaden besiedelten Provinz. | |
"Häuser, wo Nuba lebten, wurden beschossen, geplündert und verwüstet. | |
Häuser von arabischen Afrikanern wurden in Ruhe gelassen. Die | |
nordsudanesischen Führer wollen unsere Kultur vernichten und uns verjagen", | |
erzählt David. Tagelang versteckte er sich mit seiner Familie unter dem | |
Bett in seinem Haus, als die Armee einrückte. "Es war traumatisch. Die | |
Schießereien hörten nie auf. Wir alle hatten solche Angst. Ich blieb noch | |
ein wenig auf dem Laufenden mit Familie und Bekannten, weil mein | |
Mobiltelefon funktionierte." | |
Südkordofan grenzt an Südsudan, das in zwei Wochen unabhängig wird. Als in | |
Südsudan die Rebellenarmee SPLA (Sudanesische Volksbefreiungsarmee) für die | |
Unabhängigkeit kämpfte, schlossen sich ihr einige Nuba an. Und die Nuba in | |
den Bergen griffen selbst zu den Waffen. | |
Jahrelang wurden die Nuba-Berge von Khartums Armee umzingelt und | |
ausgehungert. Im Jahr 2002 wurde eine Feuereinstellung vereinbart. Drei | |
Jahre später unterschrieben Nord und Süd ihr Friedensabkommen für Südsudan, | |
das jetzt zur Unabhängigkeit führt. | |
Khartum behauptet, die Militäraktion in Südkordofan inklusive Luftangriffe | |
diene dazu, die Restbestände der SPLA in der Provinz zu entwaffnen. Es | |
seien entgegen den Vereinbarungen noch südsudanesische SPLA-Einheiten in | |
der Provinz, und gegen die kämpfe man. Aber Vertreter des Nuba-Volks sagen, | |
dass die schätzungsweise 30.000 SPLA-Kämpfer in der Provinz alles Nuba | |
seien, also nicht aus dem Südsudan gekommen sind. | |
Auch David meint, dass es eine einseitige Aktion ist. "Ich habe den Krieg | |
miterlebt in den Nuba-Bergen und kenne den Unterschied. Es wurde sehr viel | |
geschossen, Tage und Nächte lang, aber es wurde nicht zurückgeschossen. In | |
dem Chaos sah ich Menschen in alle Richtungen rennen, inklusive | |
SPLA-Kämpfer." | |
## Rund 100.000 Flüchtlinge | |
Der Flüchtling vermutet, dass die Nuba-Kämpfer der SPLA sich jetzt in die | |
schwer zugänglichen Bergen zurückziehen und einen Guerillakrieg führen | |
werden wie in den 90er Jahren. "Man kann es denen ja nicht übelnehmen", | |
findet er. "Der Norden behandelt uns als Bürger zweiter Klasse. Die Kämpfer | |
sterben lieber, als ihr Gebiet zu verlassen." | |
Rund 100.000 Menschen sind vor der Gewalt in Südkordofan geflohen. Wie | |
viele Menschen ums Leben kamen, ist unklar. David glaubt, es seien mehrere | |
hundert. "Ich bin noch immer in Kontakt mit Menschen in der Region, nicht | |
nur mit Nuba, sondern auch mit Arabern. Es gibt Berichte über | |
Massengräber", sagt er. | |
"Jetzt, wo die Abtrennung des Südens vor der Tür steht, will der Norden die | |
völlige Kontrolle über sein Territorium", analysiert John Ashworth, | |
langjähriger Berater des Sudanesischen Ökumenischen Forums in Juba. | |
"Khartum duldet keine Kritiker mehr." Er ist zornig über die abwartende | |
Haltung der internationalen Gemeinschaft. "Sie sollten Druck auf Khartum | |
ausüben. Jetzt schauen sie nach dem Süden, damit er die Lage löst. Aber das | |
Friedensabkommen stellt klar, dass die Nuba-Berge im Norden liegen. Da kann | |
der Süden sich nicht einmischen." | |
Als David Kadugli, die Hauptstadt von Südkordofan, erreichte, sah er, wie | |
tausende Nuba sich am Eingang des Stützpunkts der UN-Mission im Sudan | |
(Unmis) sammelten. Sie hofften auf Schutz. Aber sie mussten draußen | |
bleiben. David macht sich jetzt große Sorgen über die Lage der Menschen, | |
die nicht geflohen sind. "Der Provinzgouverneur hat Nuba, deren Häuser | |
zerstört sind, aufgefordert, sich in Schulen und in Stadien zu sammeln. Ich | |
befürchte das Schlimmste." | |
24 Jun 2011 | |
## AUTOREN | |
Ilona Eveleens | |
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