Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Zur Situation Berliner Künstler: Frauen weit abgeschlagen
> Das Institut für Strategieentwicklung IFSE stellte in den Räume der
> Fotogalerie c/o Berlin seine aktuelle Studie zur Situation der Berliner
> Künstler und Künstlerinnen vor.
Bild: Leistungsschau der hiesigen Künstlerschaft: Based in Berlin.
Berlins Künstler und Künstlerinnen kehren der Stadt den Rücken. Nicht
heute. Aber morgen schon werden sie abwandern, wenn erst die ganzen
Unterlassungssünden des Senats in Sachen Stadtentwicklung, unter anderem
etwa Wohnungsbauförderung zum Tragen kommen und Berlin so teuer sein wird
wie jede beliebige andere Weltstadt.
"Welche Szenarien müssen eintreten, damit Sie Berlin verlassen?" lautete
eine Frage der neuen Studie zur Situation Berliner KünstlerInnen, die das
Institut für Strategieentwicklung (IFSE) am Dienstag in den Räumen der
Fotogalerie c/o Berlin vorstellte. Aktueller Anlass der Studie ist die von
Berlins Kultursenator Klaus Wowereit - zugleich auch Regierender
Bürgermeister - initiierte Ausstellung "Based in Berlin". Als sogenannte
Leistungsschau der hiesigen Künstlerschaft soll "Based in Berlin" dem
Anspruch der Stadt Nachdruck verleihen, einer der weltweit wichtigsten
Produktionsstandorte für Gegenwartskunst zu sein.
Die Antwort der Befragten war eindeutig: Das gefürchtete Szenario heißt
steigende Mieten und der Verlust für Künstler interessanter Räumlichkeiten.
Dass die KünstlerInnen schon heute dem Stadtteil Prenzlauer Berg den Rücken
kehren, spricht eine deutliche Sprache. Umgekehrt macht die Studie
deutlich, dass Berlins Anziehungskraft in einer derzeit guten, dezentralen
Infrastruktur für die künstlerische Produktion liegt. Noch finden Künstler
günstige Ateliers und gute Ausstellungsmöglichkeiten in Projekträumen und
Offspaces. Trotzdem: 22 Prozent der KünstlerInnen haben keinen Arbeitsraum,
obwohl sie ihn brauchen.
## Von der Kunst alleine kann man nicht leben
Die Studie des IFSE, das 2003 in einem Verbund aus Unternehmern, Forschern
und Experten an der Universität Witten/Herdecke gegründet wurde und auf
Organisations-, Trend- und Umfeldanalysen an Schnittstellen von Wirtschaft,
Kultur und Politik spezialisiert ist, nimmt nicht in Anspruch repräsentativ
zu sein. 456 Fragebogen der selbstinitiierten Online-Erhebung konnten am
Ende ausgewertet werden. Die Ergebnisse decken sich mit vorangegangenen
Erhebungen etwa des Berufsverbands Bildender Künstler Berlin (bbk).
Nach wie vor sind die Künstler wirtschaftlich arm dran. Das
Durchschnittseinkommen liegt bei knapp 12.000 Euro. Weniger als 1.000 der
9.400 Berliner KünstlerInnen, die die Künstlersozialkasse zählt,
beziehungsweise der 5.000 Künstlerinnen, die der bbk nennt, können
überhaupt von ihrer Kunst leben. Alle anderen schlagen sich mit Nebenjobs,
Unterstützung durch Familie und Freunde oder Hartz IV durch. Aber auch
künstlerisch ist die Situation nicht rosig. Die durchschnittliche Zahl der
Einzelausstellungen in den letzten drei Jahren liegt bei 3,2 Schauen. Davon
fand rund die Hälfte in Berlin statt.
## Malerei verkauft sich am besten
Sowohl im Bereich des Einkommens wie im Bereich der Ausstellungen gibt eine
schockierend deutliche Kluft zwischen Männern und Frauen. 46 Prozent der
Männer hatten mehr als drei Einzelausstellungen in den vergangenen drei
Jahren, das Gleiche gilt aber nur für 28 Prozent der Frauen. Entsprechend
beziehen 19,7 Prozent der Männer mehr als die Hälfte ihres Einkommens aus
dem Verkauf ihrer Kunstwerke, während es bei den Frauen nur 9,7 Prozent
sind. Gleichzeitig wird die Gruppe der „emerging artists“ von jungen Frauen
dominiert. Was ihre wirtschaftliche, nicht unbedingt ihre künstlerische
Situation verbessern könnte: Die jungen Frauen malen wieder überwiegend.
Und Malerei ist mit über 80 Prozent das Genre, das sich in den Galerien am
besten verkaufen lässt.
Private Galerien sind mit 29,4 Prozent die zweitwichtigste
Ausstellungsmöglichkeit, allerdings liegen Off Spaces und Projekt- und
Kunsträume mit 48,7 Prozent deutlich an der Spitze. Der Verkauf erfolgt zu
38 Prozent in Selbstvermarktung aus dem Atelier heraus. Über Galerien
werden nur 16,7 Prozent Verkäufe getätigt. Entsprechend klagen die Berliner
KünstlerInnen über die Galerien, weniger als die Hälfte ist mit ihrer
Galerie zufrieden. Für Verkäufe sind Messen sehr wichtig. Insofern bei
einer Messebeteiligung der Berliner KünstlerInnen den vier Berliner Messen
mit 34 Prozent ein sehr hoher Stellenwert zukommt, ist das Ende des Art
Forums (17,8 %)für sie ein gravierender Verlust.
Für IFSE-Geschäftsführer Hergen Wöbken bleibt ein „Berliner
Entwicklungsplan zur Gegenwartskunst" die zentrale Herausforderung für den
Standort Berlin. Dieser Entwicklungsplan so stellte sich in der
anschließenden Diskussion bei c/o Berlin heraus, betrifft gar nicht so sehr
die Kulturverwaltung und ihren nach Gutsherrenart agierenden Chef, der
jetzt gerade zehn einzigartige Künstler-Ateliers im Käuzchensteig 10 und 12
(dem einstigen Atelier von Arno Breker) opfert, um sie in (noch) ein Museum
für "Kunst nach 1945" plus Restaurant umzuwandeln.
Letztlich geht der Entwicklungsplan mehr noch die Ressorts Stadtentwicklung
und Finanzen an. Denn gerade die finanzschwachen KünstlerInnen sind auf
eine solide öffentliche Infrastruktur- und auch Sozialpolitik angewiesen.
Der Schutz von Projekträumen und Offspaces muss daher höchste Priorität
haben. Danach kann es nicht schaden, konkrete Fördermaßnahmen wie Atelier-
und Arbeitsstipendien sowie Weiterbildungsmaßnahmen zu verstärken. Immerhin
geht nur ein Prozent des Berlin Kulturhaushalts an die zeitgenössische
Bildende Kunst.
22 Jun 2011
## AUTOREN
Brigitte Werneburg
Brigitte Werneburg
## TAGS
Kunst
Kunst Berlin
Bildende Künstler
Reform
Kreativwirtschaft
## ARTIKEL ZUM THEMA
Altersarmut bei Künstler*innen: Immer weiter arbeiten
Künstler*innen leben oft im Prekariat. Im Alter verschärfen sich ihre
ökonomischen Probleme. Es fehlen Modelle gegen die Altersarmut in der
Kunst.
Wie es Künstlerinnen in Berlin ergeht: Schlusslicht in Gendergerechtigkeit?
Künstlerinnen in Berlin verdienen weniger und werden auch sonst
benachteiligt. Das sagt eine Studie, die gerade international diskutiert
wird.
Kunsthochschulen laden zum Rundgang: Kauft Kunst!
Was macht eigentlich der Nachwuchs? Umschauen in der Kunsthochschule
Weißensee kann man sich am Wochenende und nächste Woche in der UdK.
Reform der Künstlersozialkasse: Betrieben auf die Finger schauen
Die Künstlersozialkasse leidet unter sinkenden Abgaben aus der Wirtschaft.
Die Bundesregierung will mit einem neuen Gesetz gegensteuern.
Zukunft der Künstlersozialkasse: Mehr Prüfungen für mehr Einnahmen
Weil immer weniger Firmen die Künstlersozialabgabe tragen mussten, droht
die KSK zu zerbrechen. Ein Gesetzesentwurf sieht nun regelmäßige Kontrollen
vor.
Was Berlin mit der ganzen Kunst will: Haben und Sein
Die Saga: Berlin ist zu dem Produktionsort zeitgenössischer Kunst
avanciert. Der Trend: zum konsumistischen Spektakel. Anlass zum Nachdenken:
based in Berlin.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.