# taz.de -- Was Berlin mit der ganzen Kunst will: Haben und Sein | |
> Die Saga: Berlin ist zu dem Produktionsort zeitgenössischer Kunst | |
> avanciert. Der Trend: zum konsumistischen Spektakel. Anlass zum | |
> Nachdenken: based in Berlin. | |
Bild: 'Mauerdenkmal 1000' von Florian Brauer am früheren Todesstreifen in der … | |
Ein Notenständer in einem grünen Hinterhof. Die Bildpolitik von "Based in | |
Berlin" ist erstklassig. Denn das Foto, mit dem die Macher der zu Pfingsten | |
eröffneten Kunstschau werben, spielt geschickt mit den Projektionen, die | |
die Kunst in der Stadt auf sich zieht. Die Überblendungstechnik, mit der | |
Heji Shin arbeitet, die Berliner Fotografin aus Korea, weckt die Sehnsucht | |
nach dem träumerischen Zwischenreich der Kunst, irgendwo zwischen Hinterhof | |
und Off-Space: der Ort, an dem die Genies von morgen reifen. | |
Die bildhafte Rückbesinnung auf den autonomen Raum der Kunst ist dringend | |
notwendig. Nichts lastet nämlich stärker auf der umstrittenen Ausstellung | |
als der Vorwurf, nur als Hallraum der Politik dienen zu sollen, seit | |
Berlins Regierender Bürgermeister im letzten Jahr pünktlich zum Wahlkampf | |
zum Berliner Parlament eine "Leistungsschau" der Kunst auslobte. Die | |
absurde Begrifflichkeit des Nacht-und-Nebel-Coups, gegen den über 2.000 | |
Kulturschaffende in einem "Haben und Brauchen" betitelten, offenen Brief | |
Sturm liefen, mag der besonderen Denkungsart des örtlichen Potentaten | |
geschuldet sein. Der Trend zum konsumistischen Spektakel in der | |
Kulturpolitik, weg von der Nachhaltigkeit, ist es nicht. | |
Billige Wahlkampfhilfe leistet das Projekt nicht. Die fünf jungen | |
KuratorInnen, die dafür in einem undurchschaubaren Verfahren ausgewählt | |
worden waren, erkennen die Gefahr. Sie präsentieren die Schau statt in der | |
Stadtbrache Humboldthafen in einem alten Ateliergebäude in Berlin-Mitte, | |
ersetzen das tonnenideologische Motto von der "Leistungsschau" durch den | |
coolen Anglizismus "Based in Berlin" und beziehen vier Berliner | |
Kunstinstitutionen in die Schau mit ein. Mit diesem Schachzug rettet das | |
Quintett sein Renommee bei der erbosten Szene. | |
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## Friedbert Pflüger bei "Deutschland sucht den Superstar" | |
Auch die Ästhetisierung der Politik "gelingt" ganz anders, als die | |
Kunstfreunde befürchteten. Das japanisch-amerikanische Künstlerpaar Jay | |
Chung und Q Takedi verspottet die Politik als Ableger eines Phänomens wie | |
"Deutschland sucht den Superstar". In einen Flur des Atelierhauses haben | |
die beiden Porträtfotos gescheiterter Herausforderer des Regierenden | |
Bürgermeisters wie Friedbert Pflüger von der CDU gehängt. | |
Und das Porträt Klaus Wowereits, das die Künstler Clegg & Guttmann in den | |
Kunst-Werken präsentieren, bleibt wunderbar ambivalent. Das Bild des | |
Bürgermeisters als kontemplativer Staatsmann in holzgetäfelter Kulisse | |
ironisiert das Selbstbild, das der quirlige SPD-Star von sich haben mag, | |
wie es ihn positiv in Szene setzt. | |
Ein wichtiger Grund für die Schau ist die Saga, Berlin sei zum wichtigsten | |
Produktionsort zeitgenössischer Kunst avanciert. Doch wenn es das Ziel war, | |
diesen wabernden Kreativmythos zu Zwecken des Stadtmarketing empirisch zu | |
belegen, ist dieses Ziel gründlich gescheitert. So dürftig ist das | |
ästhetische Ergebnis der aufwändigen Schau. Eine Erfahrung, die man vor | |
wenigen Wochen schon einmal machen konnte, als die spanische Regierung | |
jungen Künstlern ihres Landes die Schau "Destino-Zielort Berlin" im | |
Kunstquartier Bethanien ausrichtete. | |
Im Monbijoupark trifft man auf die erwartbaren Demonstrationen der | |
Rebellion gegen obsolete Traditionen. Das Altöl etwa, das der Berliner | |
Rocco Berger über eine Tröpfelanlage auf die lose an einer Wand befestigte | |
Plastikfolie rinnen lässt, um seine Verachtung für ein Auslaufmodell zu | |
unterstreichen. Warum sich als Maler abmühen, wenn der Zufall und Maschinen | |
viel besser malen? Und es trotzdem poetisch aussieht? Wenn junge Künstler | |
ausgewählt werden, die nicht länger als fünf Jahre in der Stadt sind, | |
trifft man eben auf die künstlerische Suche nach der Gegenwelt, den | |
Subkulturen, der Kunst als Medium der Entgrenzung und des Rauschs: den | |
Amerikaner Christopher Kline etwa, der als wahnwitzige "Hitmaschine" seit | |
Jahren durch den Berliner Underground tourt. | |
Doch sieht man von wenigen Highlights wie Simon Fujiwaras "Phallusies" ab: | |
Ästhetische Entdeckungen sind in diesem Sammelsurium rar gesät. Die Videos | |
und die Installation des 1982 geborenen, britisch-deutschen Künstlers über | |
die Entdeckung eines gigantischen, prähistorischen Phallus während eines | |
Museumsneubaus in der arabischen Wüste sind eine witzige Persiflage auf die | |
Wissenschaft und den männlichen (Voyeurs-)Blick. Und bis auf Matthias | |
Fritschs Video "We, Teknoviking" halten sich die spannenden Erkenntnisse | |
über die neuen Zusammenhänge zwischen Massenkultur und Digitalisierung, die | |
die Kuratoren versprachen, in engen Grenzen. | |
Fritschs Clip über die Fuckparade aus dem Jahr 2000 wird immer noch im | |
Internet verlinkt, kopiert oder als Remix veröffentlicht. Auch um die als | |
"emerging artists" längst bekannten Jung-Stars Cyprien Gaillard, Klara | |
Lidén oder Kitty Kraus noch einmal zu entdecken oder um zum tausendsten Mal | |
die Anverwandlung der Berliner Ruinenästhetik zu erleben, wie sie Mandla | |
Reuter demonstriert, wenn sie die graffitiüberzogene Fensterfassade des | |
Atelierhauses abreißt und in den Neuen Berliner Kunstverein stellt, wäre | |
die 1,6 Millionen Euro teure Schau nicht nötig gewesen. Die - zählt man die | |
Oberaufseher Christine Macel, Hans-Ulrich Obrist und Klaus Biesenbach hinzu | |
- sage und schreibe acht (!) Kuratoren besoldet. | |
Gar nicht auszudenken, was für eine "Leistungsschau" Joop van Liefland und | |
Maik Schierloh mit diesem Geld auf die Beine gestellt hätten. In zehn | |
Jahren haben die beiden Künstler mehr als 400 "upcoming artists" in ihrem | |
unkonventionellen Friedrichshainer Off-Space "Autocenter" ausgestellt. Eine | |
der vielen Berliner Kunsthallen avant la lettre. | |
Haben und Brauchen. Der Protest gegen Wowereits Pläne begann als | |
sozialökonomische Notwehr. Nicht schon wieder eine teuer alimentierte | |
Sonderschau oder Institution, argumentiert die von der Kuratorin Ellen | |
Blumenstein und dem Künstler Florian Wüst angeführte Protestfront, wenn die | |
Museen der Stadt aus Geldmangel kaum noch ausstellen können. Wenn Ateliers | |
und Wohnungen für Künstler immer teurer werden. | |
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## Gewitzter Umarmungstechniker | |
In der Tat. Was soll man von einer Kulturpolitik halten, die den Museen der | |
Stadt die Ankaufsetats verweigert, das Postfuhramt in der Oranienburger | |
Straße einem Hotelkonzern und das Kunsthaus Tacheles einer Spekulationsbank | |
überlässt. Die aber schon mal umstandslos zwanzig, dreißig Millionen in | |
einen Haushaltsplan für eine ungebaute Kunsthalle schrieb. | |
Die Protestler reagieren unnötig erschreckt, so wie der Regierende nun in | |
seinem Grußwort zur Schau das Motto "Haben und Brauchen" aufgreift. Und so | |
geschickt mit den Vokabeln jongliert, dass es am Ende fast plausibel | |
klingt, wenn der gewitzte Umarmungstechniker hübsch scheinheilig fragt: | |
"Vielleicht doch eine Kunsthalle?" | |
Sie können gelassen bleiben. Denn Wowereits Traumkunsthalle ist längst zum | |
Bumerang für den Regierenden geworden. Seit er die Idee von der | |
"Leistungsschau" ventilierte, werden die Schwachstellen der Berliner | |
Kunstpolitik schärfer ausgeleuchtet denn je. Und wenn die Schau eines | |
beweist, dann, dass für die Kunst, die dort zu sehen ist, keine eigene | |
Kunsthalle nötig ist. So durchschnittlich sie auch sein mag. Sie passt | |
hervorragend in die vorhandenen Häuser wie die Berlinische Galerie. | |
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## Kuratorisch armes Konzept | |
Noch stärker in die Zange nehmen könnte "Haben und Brauchen" die Politik, | |
wenn die Bewegung den philosophischen Subtext ihres Mottos offensiver | |
auslotete. Denn die immer wieder neu zu stellende Frage, welche Rolle Kunst | |
in einer Stadt, einer Gesellschaft, einem Staat spielen soll, thematisieren | |
weder die Schau noch der Protest dagegen. | |
Das kuratorische arme Konzept von "Based in Berlin", einfach 80 Künstler | |
nebeneinander zu stellen, folgt der Logik der Addition, so wie die unselige | |
"Leistungsschau" auf "viel, mehr, Kreativkapital" setzte. Doch nicht nur | |
Berlin steht vor der Frage: Kommt es bei der Kunst auf exponentielle | |
Vermehrung an? Auf massenhaften Konsum statt auf nachhaltigen? Soll Berlin | |
stolz darauf sein, dass es Tausende Künstler und damit "viel" Kunst "hat". | |
Oder lohnte es, darüber nachzudenken, wie und warum die Kunst die Stadt und | |
ihre Menschen erziehen, bereichern, verändern könnte? | |
Warum nicht einmal mit derselben Intensität um das ringen, was Erich Fromm | |
mit "Haben oder Sein" meinte? Bei jungen Kreativen genießt sein Buch, | |
erschienen 1976, immer noch Kultstatus. | |
17 Jun 2011 | |
## AUTOREN | |
Ingo Arend | |
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