# taz.de -- Vermarktung der Fußball-WM: Sommermädchen, schwer unter Druck | |
> Diese WM soll ein „Sommermärchen“ werden. Genau wie bei den Männern 200… | |
> Doch davon wollen die WM-Macher nun nichts mehr wissen. | |
Bild: Lässt sich ein Sommermärchen wiederholen? | |
BERLIN taz | Es könnte klappen. „Laut Wetterbericht hat es am Sonntag 29 | |
Grad“, sagt Bernhard Rotter. Für den Mann, der bei der Stadt Augsburg für | |
alles verantwortlich ist, was mit der WM zu tun hat, ist die Sache mit dem | |
Sommermärchen ganz einfach. Das Wetter muss stimmen, dann passt das schon. | |
Für alles andere ist gesorgt. Mit jeder Menge Blech wird das Turnier am | |
Sonntag in Augsburg begrüßt. 600 Blasmusikanten und jede Menge | |
Trachtengruppen aus ganz Bayerisch-Schwaben werden das WM-Turnier am | |
Sonntag begrüßen. | |
Um zwölf Uhr mittags werden die Kirchenglocken läuten. Katholiken, | |
Protestanten, Orthodoxe, Juden und vielleicht auch Muslime werden gemeinsam | |
beten. „City of Peace“ nennt sich Augsburg während der WM in Anspielung auf | |
den Religionsfrieden, der 1555 hier geschlossen wurde. „Gehe hin und du | |
wirst ein besserer Mensch!“ Mit diesem Satz sollen die Augsburger ins | |
Stadion, zum Public Viewing und in das Kulturstadion am Rathausplatz | |
gelockt werden. „Und vielleicht“, so Rotter, „kommt auch der | |
Ministerpräsident.“ Die Fußball-WM als bayerisches Volksmärchen – so ists | |
gedacht. | |
Vier Spiele werden in Augsburg stattfinden. Am Mittwochnachmittag spielt | |
Norwegen gegen Äquatorialguinea im fast noch nagelneuen Stadion des | |
Bundesligaaufsteigers FC Augsburg. Keine elftausend Karten waren dafür bis | |
Mitte der Woche verkauft. Doppelt so viele Menschen passen rein. Zwei | |
andere Spiele finden an Wochenendtagen statt. Für die gibt es kaum noch | |
Karten. So oder so – Rotter ist sicher, dass die WM ein Erfolg für Augsburg | |
wird. Diesmal stehen nicht Nürnberg oder München im Fokus, die Augen werden | |
sich auf die mit 270.000 Einwohnern drittgrößte Stadt Bayerns richten. | |
Das war der Kommune viel wert. Bevor der Stadtrat dem Ausrichtervertrag mit | |
dem Organisationskomitee unterschrieben hat, wurde ausgerechnet, was das | |
Turnier die Stadt kosten könnte. 6,4 Millionen Euro, so ein | |
„Worst-Case-Szenario“ (Rotter). Ausgegeben wurden nur 3,5 Millionen Euro: | |
Auch bayerische Schwaben sind Schwaben. | |
## „Sommermärchen reloaded“ | |
Und was ist mit der Stimmung? „Augsburger sind keine Rheinländer“, stellt | |
Rotter klar, der aus der Finanzverwaltung der Stadt zum WM-Organisieren | |
abgestellt wurde. Mit Slogans wie „Sommermärchen reloaded“, mit denen der | |
DFB auf einer Facebook-Seite fürs Turnier wirbt, kann er nichts anfangen. | |
Sommermärchen. Das ist der Begriff, um den sich alles dreht. Seit dem 31. | |
Oktober 2007, dem Tag, an dem die Fifa die Frauen-WM nach Deutschland | |
vergeben hat, wird von einer neuen, unglaublichen Fußballgeschichte | |
gesprochen. Was den Männern 2006 geschah, das soll nun auch den Frauen | |
zuteilwerden. | |
Vor fünf Jahren entwickelte sich eine schier unglaubliche Dynamik. Die | |
Sonne schien. Millionen Fans feierten sich selbst und den Fußball. | |
Deutschland legte sich ein neues Image zu. Marketingstrategen hätten es | |
nicht besser erfinden können: Der dröge Deutsche galt plötzlich als | |
weltoffen und feierwütig. Damit muss das Frauenturnier jetzt leben. Es wird | |
überfrachtet mit Erwartungen. Das ganz große Ding soll diese WM werden. Der | |
Frauenfußball soll in eine neue Dimension katapultiert werden. | |
Daran arbeitet auch die Wirtschaft: Adidas etwa, einer der sechs | |
Fifa-Sponsoren, will dank der Frauen-WM das Ergebnis des Fußballgeschäfts | |
von 2010 wiederholen. Sechs nationale Sponsoren haben je vier Millionen | |
Euro gezahlt, um mit der WM werben zu dürfen. Allianz, Nike, Schwarzkopf, | |
Gatorade und Expert werben mit einzelnen Spielerinnen. Sie alle wollen mit | |
der WM Geld verdienen. Sie hoffen genauso auf ein Sommermärchen wie die | |
Frauenfußballmanager, die den Kickerinnen ein Girlie-Image verpassen, mit | |
ihnen WM-Songs aufnehmen und hübsche Interviews in der Brigitte | |
organisieren, Medienpartner des DFB. Und dann sind da noch die | |
TV-Rechteinhaber. ARD und ZDF übertragen alles live. Man wirbt mit dem | |
Slogan „Der dritte Platz ist was für die Männer“. Ein Herz für den | |
Frauenfußball! | |
In Frankfurt am Main, wo am 17. Juli das Endspiel stattfindet, werden am | |
Samstag 200.000 Menschen zur Eröffnungsfeier samt nächtlicher Lichtshow | |
erwartet. Wer würde da nicht von einem Sommermärchen sprechen? Alles wie | |
2006? „Der Vergleich ist einfach unfair“, sagt Thomas Feda. Er ist in der | |
Tourismus GmbH Frankfurts fürs WM-Rahmenprogramm verantwortlich. 100.000 | |
ausländische Fans seien 2006 nach Frankfurt gekommen, allein 60.000 aus | |
England. | |
So etwas gibt es im Frauenfußball nicht. Und so tritt ausgerechnet der | |
Mann, der die traumhaften Bilder vom Main liefern soll, auf die | |
Euphoriebremse. 2006 habe es genügt, die Spiele zu übertragen, 2011 müsse | |
man die Menschen mit einem attraktiven Rahmenprogramm anlocken. Bei Feda | |
ist es nicht anders als bei Steffi Jones, der Chefin des | |
Organisationskomitees. Die spricht zwar vom Sommermärchen, das sie den | |
Frauen wünsche, sagt aber zugleich, man dürfe nicht überdrehen. | |
## Angst schwingt mit | |
Es gibt nicht nur bei den Agenturen, die im Vorfeld der WM verstärkt auf | |
den Plan getreten sind, den Wunsch, den Frauenfußball als Massenware | |
vermarkten zu können. Gleichzeitig schwingt immer die Angst davor mit, dass | |
die Gesellschaft eigentlich doch noch nicht so weit ist. Und so wird ein | |
Sommermärchen promotet, das vielleicht toll wird, eventuell überragend, | |
aber am Ende vielleicht doch nur ein Sommermärchenchen ist. | |
„Der Druck ist enorm“, sagt Shelley Thompson, „aber ich hoffe, dass es ke… | |
beklemmender Druck ist, sondern ein befreiender.“ Thompson ist Pressechefin | |
des WM-Standortes in Leverkusen. Sie spielt in der Bundesliga für Bayer und | |
hat sogar einmal zwei Länderspiele im deutschen Nationalteam gemacht. Als | |
Insiderin weiß sie, dass es schon ein Riesenerfolg ist, wenn Spielerinnen | |
vor 20.000 Zuschauern kicken – und nicht vor fünfhundert wie in der Liga. | |
„Ich hoffe, dass der Frauenfußball in den kommenden Wochen vieles bestimmt, | |
aber eine Ähnlichkeit mit 2006 ist nicht hinzubekommen“, sagt sie. | |
Egal, mit wem man mit diesen Tagen spricht, alle warnen vor einer zu großen | |
Erwartungshaltung. DFB-Chef Zwanziger bittet darum, „die Dinge immer | |
realistisch zu sehen“. Vergleiche mit 2006 seien nicht zulässig, „dieses | |
Turnier ist, bei aller Wertschätzung, ein Entwicklungsturnier, eine | |
Station“. Zwanziger hat Angst, den Ansprüchen nicht gerecht zu werden, wie | |
so viele im DFB und Organisationskomitee. Erst hat man das Turnier groß | |
geredet. Nun wird fleißig abmoderiert. Auch Shelley Thompson ist vorsichtig | |
geworden. | |
## „Hauptsache, sie kommen überhaupt“ | |
Die 27-Jährige weiß, dass Leverkusen eigentlich noch nicht bereit ist für | |
die ganz große Frauenfußballshow. Trotzdem versucht sie in der Chemiestadt | |
alles, „um die Sportfans zu emotionalisieren und die WM zu thematisieren“ �… | |
mit einem „NRWM-Fest“, mit kostenlosem Eintritt, mit Hüpfburgen und | |
Lockangeboten für Familien, mit Kim Wilde und Christina Stürmer. Man bemüht | |
sich sehr, aber ob die Leute aus echtem Antrieb oder doch nur aus | |
Wohlwollen und Neugier kommen, ist offen. „Hauptsache, sie kommen | |
überhaupt“, sagt Thompson. | |
In Leverkusen spielen weder das DFB-Team noch Brasilien oder die USA. Hier | |
spielen Kolumbien und Mexiko. Da bekommt man die Arena nicht voll, nicht | |
einmal 80 Prozent Auslastung wird erreicht werden. „Zwei Spiele sind mitten | |
in der Woche um 15 Uhr“, sagt Thompson entschuldigend. Gratiskarten, wie | |
sie bei Frauenfußball-Länderspielen gerne mal verteilt werden, wird es | |
nicht geben. „Das würde den Wert dieser WM schmälern“, sagt Ulrike Brade | |
vom Organisationskomitee. Sie nehme das Wörtchen „Sommermärchen“ jetzt nur | |
noch „sehr selten“ in den Mund, gesteht sie. „Frauenfußball ist eine eig… | |
Sportart, und diese WM ist ein eigenes Event.“ Von der Bedeutung her müsse | |
man das Turnier eher mit Tennis oder Männer-Handball vergleichen. | |
Die Zahlen geben ihr Recht. Bei 21 Millionen Euro liegt der Etat dieser WM, | |
2006 standen dem Organisationskomitee 430 Millionen zur Verfügung. 16 Teams | |
streiten heuer um den Titel, damals waren es 32. Vor fünf Jahren schmückte | |
sich ein Land in den deutschen Farben, heute sieht man davon noch nichts. | |
Nur auf das Wetter ist Verlass. Am Montag soll es strahlenden Sonnenschein | |
geben im ganzen Land bei 27 Grad. Und in Augsburg sogar 29. | |
24 Jun 2011 | |
## AUTOREN | |
A. Rüttenauer | |
M. Völker | |
## TAGS | |
WM 2011 – Mixed Zone | |
Fußball | |
Frauenfußball | |
Fußball-WM | |
Frauen-WM | |
Fußballweltmeisterschaft | |
WM 2011 – Mixed Zone | |
Fußball | |
Fußball | |
Fußball | |
WM 2011 – Mixed Zone | |
Fußball | |
Fußball | |
Fußball | |
Fußball | |
Fußball | |
Schwerpunkt Deniz Yücel | |
WM 2011 – Mixed Zone | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Europäischer Gerichtshof zu Fußballrechten: Fußball ist kein "Werk" | |
Der EuGH hat entschieden, dass Pay-TV-Fußball auch mit billigeren | |
ausländischen Decodern empfangen werden darf. Das System der Rechtevergabe | |
steht vor dem Aus. | |
US-Botschafter über Frauenfußball: „We were the Meisters“ | |
Philip D. Murphy ist US-Botschafter in Berlin. Im Interview erklärt er | |
seine Liebe zum Frauenfußball, spricht über die WM in Deutschland und seine | |
Investitionen in einen Klub in New Jersey. | |
England gegen Mexiko: Rachemission? Nicht mit uns! | |
Seit diesem Jahr gibt es endlich eine ernst zu nehmende Liga in England. | |
Die Britinnen gehen mit viel Erfahrung und als Geheimfavorit in die WM. | |
Japan gegen Neuseeland: Burger, Kiwi und die Rugby-WM | |
Die Silverferns spielen ihre zweite WM. Doch die Neuseeländer feiern lieber | |
Weihnachten. Nur wenn es gegen England geht, fiebern sie mit. | |
Deutschland gewinnt WM-Auftakt: Souverän war das nicht | |
Fast hätte es einen Punktgewinn der Kanadier gegen Deutschland gegeben. Das | |
deutsche Team spielt zwar prima, muss am Ende aber mühsam verteidigen. | |
Eröffnung der Fifa-WM: Sepps Chauvi-Show | |
Joseph Blatter versucht zum Auftakt der WM, Sympathien zu gewinnen. Er | |
offenbart dabei nur, was für ein autoritärer Altmännerclub die Fifa ist. | |
Kommentar Eröffnungsspiel: Formkrisen und Ganzkörperblockaden | |
Tor für Kanada!!! 2:1 steht's im Olympiastadion in Berlin. Eigentlich sehen | |
die Kanadierinnen ziemlich alt aus, aber einen Freistoß haben sie gut | |
genutzt. Lira ist da, aber auch nicht da. | |
Nigeria gegen Frankreich: Très chic! | |
Mit 1:0 siegen die eleganten Französinnen gegen die nur in der Defensive | |
starken Nigerianerinnen. Die Atmosphäre in der Rhein-Neckar-Arena: superb. | |
WM-Eröffnungsspiel Deutschland-Kanada: Allora Schadensbegrenzung | |
Carolina Morace trainiert die Kanadierinnen seit zwei Jahren und hat aus | |
ihnen ein Topteam gemacht. Obwohl sie es mit ihrem Verband alles andere als | |
leicht hat. | |
Die Songs zur WM: Am Willen mangelt es nicht | |
Eine WM kommt nicht ohne ihre eigenen Songs aus, so ist es auch dieses Mal. | |
Vom offiziellen Fifa-Song zum heimgemachten Youtube-Clip – eine Kritik. | |
Haare ziehen beim Fußball: Das Freundin-Feindin-Schema | |
Haare ziehen, nachtreten, blutgrätschen – Frauen können hart | |
Fußballspielen, das zeigt ein YouTube-Video. Darf man da jetzt lachen, oder | |
nicht? | |
Kolumne Trikottausch 1: Lasst die Bälle rollen! | |
Es wird die schärfste WM aller Zeiten: Es geht nur um Fußball, die | |
Brasi-Lady Marta verzaubert uns mit Samba-Zamba und so leicht hatten wir es | |
seit 1939 nicht mehr. | |
Frauenfußballversteher Worawi Makudi: Korrupt? Egal! | |
Die Fifa hat einen offiziellen Frauenchef, Worawi Makudi. Es ist – wie kann | |
es anders sein – ein höchst verdächtiger Mann. Und von Frauenfußball | |
versteht er auch nix. | |
Kolumne Die B-Note: Gegen Gender | |
Es nervt. Frauenfußball wird benutzt, um gesellschaftliche Konflikte zu | |
diskutieren. Den Linken fehlt mal wieder die Leidenschaft. |