# taz.de -- Nach dem Atomausstieg: Effizienz entscheidet Energiewende | |
> Wie sieht die deutsche Stromversorgung im Jahr 2050 aus? Auf jeden Fall | |
> erneuerbar. Wie schnell das geht, wird vom Stromverbrauch abhängen. | |
Bild: Werden die Stromwirtschaft künftig beherrschen: Erneuerbare Energien. | |
FREIBURG taz | Zumindest eines ist sicher: Schlimmere Fehlprognosen, als | |
man sie in den siebziger Jahren abgab, sind - wenn es um die Energiezukunft | |
Deutschlands geht - heute kaum möglich. Knapp 40 Jahre ist es her, da | |
prophezeite man den Bau von bis zu 600 Atommeilern im Land. Strom, so der | |
verbreitete Glaube, werde so billig, dass sich kein Stromzähler mehr lohne. | |
Blickt man heute 40 Jahre in die Zukunft, hat man gute Chancen, die | |
Realität besser zu treffen. Und zwar mit einer simplen Prognose: Es werden | |
die erneuerbaren Energien sein, die die Stromwirtschaft künftig beherrschen | |
werden - zwangsläufig, weil die fossilen Energien knapp werden und die | |
Atomlobby früher oder später unter ungelösten Müllproblemen zusammenbricht. | |
Schon am Donnerstag kann der Gesetzenwurf für das | |
Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) im Bundestag mit dem Atomausstieg | |
beschlossen werden. | |
Doch wo werden wir in 10, 20 oder 40 Jahren stehen? Die wohl wichtigste | |
Frage, die bei allen Szenarien vorab geklärt werden muss, ist der | |
Stromverbrauch. Ein einfaches Rechenbeispiel verdeutlicht das: Im | |
vergangenen Jahr wurden in Deutschland rund 600 Milliarden Kilowattstunden | |
Strom verbraucht, das ist der sogenannte Bruttostromverbrauch. Steigt | |
dieser in Zukunft nur um 1 Prozent jährlich, wird man im Jahr 2030 bereits | |
gut 730 Milliarden Kilowattstunden decken müssen. Schafft man es hingegen, | |
den Verbrauch um nur 1 Prozent jährlich zu senken - was bei politischen | |
Anreizen keine wirklich große Herausforderung ist -, so kommt man künftig | |
mit 490 Milliarden Kilowattstunden pro Jahr aus. Allein die Differenz der | |
beiden Szenarien kann jede Prognose zur Makulatur machen. Denn der | |
Unterschied von 240 Milliarden Kilowattstunden liegt höher als die Menge | |
des Atomstroms, die zuletzt in Deutschland erzeugt wurde (jährlich etwa 140 | |
Milliarden Kilowattstunden). | |
## Was folgt zwingend daraus? | |
Und je länger der Betrachtungszeitraum wird, umso größer werden die | |
Diskrepanzen. Im Jahr 2050 sind es 400 Milliarden Kilowattstunden bei | |
jährlich 1 Prozent Rückgang und fast 900 Milliarden bei 1 Prozent Anstieg. | |
Daraus folgt zwingend: Wer sich zum Thema Energieeffizienz nicht äußert, | |
kann keine vernünftigen Szenarien produzieren. | |
Eine Prognose der Branche der erneuerbaren Energien für 2020 zählt zu den | |
plausibelsten Berechnungen. Die betreffenden Unternehmen gehen für das Jahr | |
2020 von einem Anteil der regenerativen Energien am Strommix von 47 Prozent | |
aus, entsprechend einer Erzeugung von 278 Milliarden Kilowattstunden. | |
Angenommen wird hierbei ein nur minimaler Rückgang des Verbrauchs. | |
Etwas weniger ambitioniert rechnet unterdessen das Bundesumweltministerium | |
(BMU) in seiner "Leitstudie", die im Dezember 2010 erschien. Das | |
Ministerium geht in einem Basisszenario von 40 Prozent Erneuerbaren am | |
Strommix bis 2020 aus sowie von 65 Prozent bis 2030 und 86 Prozent bis | |
2050. Deutlich geringer noch liegen die Anteile im Wärmemarkt und bei der | |
Mobilität. | |
## Welche Technologien gibt es künftig? | |
Schwieriger als die Prognose, dass die kommenden Jahrzehnte die Epoche der | |
erneuerbaren Energien sein werden, ist die Frage nach den künftig | |
eingesetzten Technologien zu beantworten. Zum Beispiel im Verkehr: Ob das | |
Elektroauto sich durchsetzt oder ob es Fahrzeuge mit hocheffizientem | |
Verbrennungsmotor sein werden, die regenerativ erzeugtes Methan tanken, ist | |
heute reine Spekulation. | |
Deutlich hingegen ist die Entwicklung im Gebäudesektor: Ab 2021 will die EU | |
nur noch den Bau von "Niedrigstenergiegebäuden" zulassen. Was das genau | |
sein wird, ist allerdings noch offen; in der Architektur sind heute | |
vielmehr Bezeichnungen wie Passivhaus, Nullenergiehaus oder Plusenergiehaus | |
üblich. | |
Klar jedenfalls ist, dass der Energiebedarf von Neubauten im kommenden | |
Jahrzehnt bis nahe null sinken wird oder sogar darunter, wenn Solaranlagen | |
auf dem Haus mehr Energie erzeugen, als die Bewohner verbrauchen. | |
Allerdings werden in Deutschland bei stagnierender Bevölkerungszahl immer | |
weniger Häuser neu gebaut - womit noch vordringlicher die Frage ist, wie | |
man Altbauten auf Effizienz trimmen kann. Hier fehlen bislang Mut und | |
Konzepte für wirksame Impulse. | |
Unverkennbar ist gleichwohl, dass Solarthermie und Fotovoltaik die | |
dominierenden Energiequellen im Privathaus sein werden. Zumal das BMU in | |
seinen Prognosen davon ausgeht, dass Solarstrom vom heimischen Dach im Jahr | |
2020 bereits für 12,8 Cent je Kilowattstunde und 2030 bereits für 10,4 Cent | |
zu haben sein wird - das ist nur noch ein Bruchteil des Preises von | |
Haushaltsstrom aus dem Netz. Die Solarenergie wird sich dann auch ohne | |
Förderung durchsetzen. | |
Und eines noch sollte man auch bedenken: In den vergangenen 20 Jahren haben | |
sich fast alle Szenarien zur Entwicklung des Ökostroms als zu vorsichtig | |
erwiesen. Vielleicht überholt ja auch diesmal die Realität wieder alle | |
Studien. | |
29 Jun 2011 | |
## AUTOREN | |
Bernward Janzing | |
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