| # taz.de -- Debatte Energieeffizienz: Das Merkel-Ziel | |
| > Einst von Merkel initiiert, droht die EU-Richtlinie für Energieeffizienz | |
| > an der Bundesregierung zu scheitern, vor allem am Widerstand aus dem | |
| > Rösler-Ministerium - ein fatales Signal. | |
| Seit der energiepolitischen Wende der konservativ-liberalen Bundesregierung | |
| im Frühjahr 2011 scheinen alle Parteien im deutschen Bundestag den gleichen | |
| Zielen verpflichtet: einem vergleichsweise schnellen Ausstieg aus der | |
| Kernenergie, dem massiven Ausbau der erneuerbaren Energien, einer | |
| weitgehenden Steigerung der Energieeffizienz sowie der zügigen und | |
| radikalen Minderung der Treibhausgasemissionen. Den ersten wichtigen Test, | |
| wie ernst es der Koalition und hier in erster Linie der Kanzlerin mit der | |
| "neuen Energiepolitik" tatsächlich ist, erleben wir wohl heute: bei den | |
| Entscheidungen zur EU-Energieeffizienzrichtlinie. | |
| Zwischen dem Kanzleramt, den Ministern Röttgen, Rösler und Ramsauer soll | |
| die deutsche Position zu dieser Richtlinie für das | |
| EU-Energieministertreffen Ende der Woche festgezurrt werden. Die Brisanz | |
| dieser Entscheidung ergibt sich dabei aus zwei unterschiedlichen | |
| Dimensionen: Es geht um Energieeffizienz und es geht um ein europäisches | |
| Projekt. | |
| ## Deutsches Defizit | |
| Obwohl die Steigerung der Energieeffizienz in Sonntagsreden gerne als | |
| "Win-win-Strategie" gepriesen wird, unterbleiben bisher konkrete | |
| Umsetzungsmaßnahmen. In Brüssel hat man dieses Umsetzungsdefizit inzwischen | |
| erkannt. Die EU-Kommission musste mit Schrecken feststellen, dass die | |
| eigenen Ziele gerade mal zur Hälfte erreicht werden, wenn nicht zügig | |
| gehandelt wird. Um das Scheitern noch abzuwenden, hat sich die Kommission | |
| entschlossen, mit dem jetzt vorliegenden Richtlinienvorschlag aktiv | |
| gegenzusteuern. | |
| Mit der EU-Richtlinie wird entschieden, ob die Europäische Union und | |
| Deutschland die selbst gesteckten Effizienzziele und damit auch die | |
| Klimaschutzziele erreichen werden. Anders gesagt: Ob Europa im Klimaschutz | |
| überhaupt handlungsfähig bleibt. Dazu ist eine ambitionierte Ausgestaltung | |
| der Richtlinie nötig. Doch das könnte ausgerechnet an der deutschen | |
| Bundesregierung, die die Energiewende im eigenen Land propagiert, | |
| scheitern. | |
| Die Gefechtslage in Deutschland gleicht der vor zehn Jahren, als das | |
| Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) wirksam wurde. Die etablierten | |
| Energieversorger samt Wirtschaftsministerium positionieren sich strikt | |
| dagegen, die zukünftigen Gewinner einer solchen Regelung unterstützen die | |
| geplante Veränderung. Heute hat sich das EEG durchgesetzt und eine weltweit | |
| beachtete Erfolgsgeschichte deutscher Energie- und Wirtschaftspolitik | |
| geschrieben. | |
| Die EU-Effizienzrichtlinie hat ähnliche Bedeutung. Es geht bei dem | |
| anstehenden Beschluss um sehr viel. Die mit der Richtlinie bis 2020 | |
| angestrebten Energieeinsparungen entsprechen den CO2-Emissionen von mehr | |
| als 20 großen Kohlekraftwerken in der Europäischen Union. | |
| Das EU-Effizienzziel ist eine politische Zielvorgabe, die unter der | |
| EU-Ratspräsidentschaft von Bundeskanzlerin Angela Merkel im Jahr 2007 | |
| formuliert wurde. Es sieht vor, "20 Prozent des EU-Energieverbrauchs | |
| gemessen an den Prognosen für 2020 einzusparen". Neben dem für das | |
| Erreichen der europäischen Klimaziele unersetzlichen Beitrags der | |
| Energieeffizienz wäre eine erfolgreiche europäische Umsetzung des | |
| "Merkel-Ziels" so auch politisch in deutschem Interesse. | |
| Der Erfolg einer europäischen Effizienzrichtlinie geht aber weit über diese | |
| politische Dimension hinaus. Auch Deutschland hat sich im Rahmen des | |
| Energiekonzepts 2010 das ehrgeizige Ziel gesetzt, den | |
| Primärenergieverbrauch bis 2020 um 20 Prozent und bis 2050 um 50 Prozent | |
| gegenüber 2008 zu senken. Die europäischen und deutschen | |
| Energieeffizienzziele sind zwar unterschiedlich formuliert, eine genauere | |
| Betrachtung zeigt aber, dass sie in den absoluten Zahlen für Deutschland | |
| sehr nahe beieinander liegen. | |
| Umso erstaunlicher ist der anhaltende Widerstand aus dem zuständigen | |
| deutschen Wirtschaftsministerium, das es bisher versäumt hat, ausreichend | |
| politische Maßnahmen auf den Weg zu bringen, damit Deutschland die eigenen | |
| Ziele erreichen kann. | |
| Die Blockadepolitik Röslers wird noch unverständlicher, wenn man bedenkt, | |
| dass nur ein europäischer Ansatz für die anderen Mitgliedstaaten | |
| Zielvorgaben setzt, die dem deutschen Ambitionsniveau entsprechen. Damit | |
| würden vergleichbare Wettbewerbsbedingungen geschaffen. Hat man das Mantra | |
| von FDP-Wirtschaftsminister Philipp Rösler im Ohr, nur europaweit | |
| abgestimmte Politiken wären im deutschen Interesse, so lässt einen sein | |
| Widerstand schlicht ratlos zurück. | |
| ## Röslers Blockade | |
| Vor diesem Hintergrund ist der - neben dem Energieeinsparungsziel - zweite | |
| zentrale Kampfplatz des Richtlinienvorschlags interessant. Es handelt sich | |
| um die Regelung, nach der Energieversorgungsunternehmen oder Netzbetreiber | |
| verpflichtet werden, Energieeinsparungen nachzuweisen, die 1,5 Prozent | |
| ihres Vorjahresabsatzes entsprechen. | |
| Die heutigen Energieverkäufer würden damit zu zentralen Akteuren der | |
| Energieeinsparung. Sie erhielten Anreize, weniger statt mehr Energie zu | |
| verkaufen und sich im Bereich der Energieeffizienz neue Geschäftsfelder zu | |
| erschließen. | |
| Ohne die zeitnahe Umsetzung eines solchen, in einigen europäischen Staaten | |
| erfolgreich erprobten Mechanismus können die Energieeinsparziele der EU | |
| faktisch nicht erreicht werden. Der jetzt vorgeschlagene Mechanismus hat | |
| zudem den Vorteil, dass er die stark angespannten öffentlichen Haushalte | |
| nicht belastet und nicht dem "Stop and Go" haushaltsfinanzierter | |
| Energiesparprogramme unterliegen würde. Weil ein solcher Mechanismus die | |
| Versorgungssicherheit Europas drastisch erhöhen würde, könnte Europa im | |
| Jahr 2020 Kosten für Energieimporte in Höhe von etwa 50 Milliarden Euro | |
| jährlich einsparen und seine Handelsbilanz entsprechend verbessern. | |
| Ringt sich die Bundesregierung bei dem heutigen Spitzengespräch nicht zur | |
| Unterstützung der ambitionierten EU-Maßnahmen bei der Energieeffizienz | |
| durch, unterminiert Kanzlerin Merkel bei der Umsetzung ausgerechnet die | |
| Ziele, die sie unter ihrer EU-Präsidentschaft 2007 durchgekämpft hat. Das | |
| wäre für die Glaubwürdigkeit der deutschen Energiewende verheerend. | |
| 22 Nov 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| Regine Günther | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Kommentar Klimapolitik: Rösler auf Chinakurs | |
| Der FDP-Minister will das Energieeinsparziel aufweichen. Ein verheerendes | |
| politisches Signal: Deutschland stellt sich gegen die Ziele, die es selbst | |
| erstritten hat. | |
| Freiwillig Energie sparen: Deutsche Klimapolitik festgefahren | |
| Europa will künftig Energie einsparen – doch die deutsche Regierung | |
| zerschießt die Pläne von EU-Kommissar Oettinger. Auch bei der | |
| Gebäudesanierung gibt es keine Einigung. | |
| Nabu und BUND kritisieren Energiepolitik: Regierung versagt bei Energieeffizienz | |
| Schlechte Noten für Ramsauer, Rösler und Aigner. Nabu und BUND ziehen eine | |
| negative Halbzeitbilanz der Koalition. Nur Umweltminister Röttgen steht in | |
| etwas besserem Licht da. | |
| Bundestag verteilt Verschmutzungsrechte: Klimazertifikate aus Europa | |
| Nicht nur der Papst ist heute im Bundestag – das Parlament entscheidet auch | |
| zum Emissionshandel. Viel hin- und hergedreht wird da nicht, man setzt | |
| EU-Recht um. | |
| Nach dem Atomausstieg: Effizienz entscheidet Energiewende | |
| Wie sieht die deutsche Stromversorgung im Jahr 2050 aus? Auf jeden Fall | |
| erneuerbar. Wie schnell das geht, wird vom Stromverbrauch abhängen. | |
| EU will Pflicht zum Energiesparen: Öffentliche Hand soll Vorbild werden | |
| EU-Kommissar Oettinger stellt seine Pläne zum Energiesparen vor. Vom | |
| deutschen FDP-Wirtschaftsminister Rösler kommt schon vorab Kritik. Es werde | |
| zu teuer, sagt er. |