# taz.de -- DIW-Studie: Der Atomausstieg lohnt sich | |
> Der Nutzen der Energiewende übersteigt die Kosten. Dass Deutschland | |
> vorangeht, wird sich auszahlen und dem Klimaschutz nützen. | |
Bild: Das AKW Neckarwestheim hat keine, seine Umgebung dafür umso mehr Zukunft. | |
Atomkraft ist gefährlich, teuer und nach der Katastrophe in Fukushima in | |
vielen Ländern hoch umstritten. In vielen europäischen Ländern und in | |
Nordamerika erscheint es unwahrscheinlich, dass Privatunternehmen noch das | |
Risiko von Neubauten auf sich nehmen würden. Und in Deutschland ist die | |
Energiewende hin zu erneuerbaren Energien auf breiter Basis gewollt. | |
Nicht nur in der Gesellschaft, auch unter den im Bundestag vertretenen | |
Parteien besteht ein schon fast als historisch zu bezeichnender Konsens. | |
Der Beschluss der Bundesregierung, innerhalb des nächsten Jahrzehnts aus | |
der Atomkraft auszusteigen, ist daher konsequent. | |
Es bleiben jedoch entscheidende Fragen: 1. Können wir uns einen Ausstieg | |
aus der Atomkraft wirtschaftlich und ökologisch leisten? 2. Nützt unser | |
Ausstieg überhaupt etwas? Oder führt der Verzicht auf eigene Atomkraft | |
lediglich dazu, dass wir mehr ausländischen Atomstrom importieren? Und 3.: | |
Was bringt es Europa oder der Welt, wenn Deutschland beim Ausstieg den | |
Vorreiter spielt, alle anderen aber bei der Atomenergie bleiben? Die | |
Wissenschaft kann hier Antworten geben. | |
## Satte Gewinne winken | |
Die erste Frage ist rasch beantwortet: Die Energiekosten werden tendenziell | |
sinken. Bisher konnte Atomstrom nur deshalb so preiswert produziert werden, | |
weil die Gesellschaft den größten Teil der Kosten übernahm. Angeboten wird | |
der preiswert produzierte Atomstrom übrigens nicht gerade billig, denn | |
Deutschland hat im europäischen Vergleich mit die höchsten Strompreise. Die | |
durch Unfälle oder andere Risiken entstehenden Schäden sind kaum | |
versichert, deren Kosten werden pauschal der Gesellschaft aufgebürdet. | |
Selbst ein sofortiger Verzicht auf die ältesten Atomkraftwerke führt nur zu | |
geringen Strompreissteigerungen. Das zeigen Berechnungen des DIW Berlin. | |
Die Berechnungen belegen auch: Bereits bis 2020 könnte der Anteil der | |
erneuerbaren Energien am Strommix verdoppelt werden. Geeignete ungenutzte | |
Flächen, etwa zur Nutzung von Windenergie an Land, sind vorhanden, und auch | |
in der Nordsee kann mehr Windenergie genutzt werden. Dazu kommen Biomasse, | |
Wind- und Solarenergie. | |
Langfristig sollen erneuerbare Energien den Atomstrom und fossile | |
Brennstoffe zunehmend ersetzen und zur Hauptenergiequelle für Deutschland | |
werden. Damit relativieren sich auch die "Kosten" der Energiewende: Die | |
Durchsetzung einiger erneuerbarer Energien wird dazu führen, dass Strom in | |
vielen Stunden des Jahres wesentlich günstiger wird als heute und teilweise | |
sogar fast zum Nulltarif angeboten werden kann. | |
Bereits heute ist der sogenannte Merit-Order-Effekt erheblich, mit dem | |
Wind- und Sonnenenergie zu einer Senkung des Strompreises beitragen. Diese | |
Effekte werden sich mit zunehmendem Anteil der erneuerbaren Energien | |
verstärken. Mittelfristig führt die Energiewende also zu erheblichen | |
gesellschaftlichen Wohlfahrtsgewinnen. | |
## Netze effektiver gestalten | |
Was die zweite Frage betrifft, zeigen sowohl die Untersuchungen des DIW | |
Berlin als auch die Studien anderer Institute, dass Deutschland im Falle | |
eines Ausstiegs keineswegs zwangsläufig mehr Atomstrom aus dem Ausland | |
importieren müsste. Zu den Tageszeiten, zu denen hierzulande besonders viel | |
Strom verbraucht wird, sind allerdings die Atomkraftwerke der Nachbarländer | |
auch ausgelastet. | |
Zwar importiert Deutschland derzeit auch Strom aus Frankreich und | |
Tschechien, doch es ist keinesfalls gesichert, dass dies dauerhaft so sein | |
wird. Zusätzliche Importe kommen somit auch aus fossilen Kraftwerken oder | |
regenerativen Energiequellen. Der Import von fossilem Strom steigert zwar | |
die CO2-Intensität unseres Stromverbrauchs kurzfristig, sie wird jedoch mit | |
dem Ausbau der Erneuerbaren rasch wieder abnehmen. Deutschland kann und | |
sollte sich dem freien Strommarkt nicht entziehen. | |
Im Strombereich ist für den Atomausstieg nicht nur ein Ausbau der Netze und | |
Speicher notwendig - auch die Strommärkte müssen künftig effektiver | |
gestaltet werden. Dazu könnte die Schaffung eines unabhängigen | |
"Systembetreibers" (neudeutsch: ISO, Independent System Operator) | |
beitragen, der eine neutrale Rolle bezüglich des Handels- und | |
Netzmanagements spielen und damit Transparenz und faire Marktpreise | |
schaffen könnte. Die Übertragungskapazität im europäischen Stromnetz kann | |
bis zu 30 Prozent besser ausgenutzt werden. Das schafft Flexibilität für | |
den europaweiten Ausgleich der regional schwankenden Wind- und | |
Solarstromerzeugung und somit ihres Anteils an der gesamten | |
Energiegewinnung. Durch besseres Netzmanagement wird die Netzintegration | |
der erneuerbaren Energien so gesteigert, dass sie in absehbarer Zeit über | |
die Hälfte des Gesamtbedarfs decken können - mit weiter steigender Tendenz. | |
## Kohle komplett verfeuern? | |
Bleibt die dritte Frage nach dem Sinn eines "unilateralen" Ausstiegs. Zum | |
einen steht Deutschland beileibe nicht allein: Inzwischen hat auch die | |
Schweiz den Ausstieg beschlossen, in Italien hat sich das Volk gegen die | |
Atomenergie ausgesprochen, und in England und den USA sind Neubauprojekte | |
wegen enorm gestiegener Risikokosten unsicherer geworden. | |
Dass Schwellenländer wie China an der Kernkraft festhalten wollen, ist kein | |
gutes Argument für uns, weiterhin auf diese Technologie zu setzen. Und ob | |
es möglich sein wird, Reaktoren der "vierten Generation" zu bauen, bei | |
denen aus technischen Gründen ein Super-GAU naturwissenschaftlich | |
ausgeschlossen wäre, steht in den Sternen. | |
Mittelfristig ist es für die Menschheit daher absolut notwendig, auf | |
erneuerbare Energiequellen umzusteigen - selbst dann, wenn man die | |
unversicherbaren Großrisiken der Atomenergie ignorieren würde. Zwar gibt es | |
noch große Vorkommen fossiler Brennstoffe, aber auch ihr Einsatz ist | |
gefährlich: Würden die weltweiten Kohlereserven in den nächsten 200 Jahren | |
komplett verfeuert, würde der Planet für die Menschheit unbewohnbar. | |
Zynisch gesagt: Das Nachhaltigkeitsproblem würde dadurch gelöst, dass sich | |
die Menschheit schon ausrottet, bevor sie die letzte Kohle abbauen konnte. | |
Die Frage, was der deutsche Atomausstieg bringt, ist also einfach zu | |
beantworten: Wenn Deutschland den Vorreiter spielt und den Umstieg auf die | |
erneuerbaren Technologien erfolgreich absolviert, dann trägt es mit der neu | |
entwickelten Technik dazu bei, dass andere Nationen rasch folgen können. | |
Die deutsche Industrie würde helfen, dass die Welt schneller zu | |
nachhaltigeren, umweltfreundlicheren und die Gesundheit weniger | |
gefährdenden Energiequellen findet. Und sie würde daran gut verdienen. Es | |
lohnt sich also in vielfacher Hinsicht für uns, als Ausstiegs-Avantgarde | |
voranzuschreiten. | |
26 Jun 2011 | |
## AUTOREN | |
C. Kemfert | |
C. V. Hirschhausen | |
G. Wagner | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Atomkraft | |
Schwerpunkt Atomkraft | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Nach dem Atomausstieg: Effizienz entscheidet Energiewende | |
Wie sieht die deutsche Stromversorgung im Jahr 2050 aus? Auf jeden Fall | |
erneuerbar. Wie schnell das geht, wird vom Stromverbrauch abhängen. | |
Sauberer Strom in Mittelamerika: Klimaneutralität auf der Kippe | |
Costa Rica will als erstes Land den gesamten Energiebedarf aus | |
regenerativen Quellen decken. Das ehrgeizige Ziel droht zu scheitern. | |
Nach Grünen-Parteitag: Stimmen für und gegen "Merkel-Murks" | |
Kleiner Beschluss, große Differenzen: Der CDU-Generalsekretär begrüßt die | |
Zustimmung der Grünen zum Atomausstieg. Ein anderer Politiker wirft den | |
Grünen Verrat an eigenen Zielen vor. | |
Japan und der Kernfusions-Reaktor Iter: Länger warten auf die Sonne | |
Der Forschungsreaktor Iter soll wie die Sonne durch Kernfusion Energie | |
produzieren. Doch der Bau in Frankreich verzögert sich, weil Japan wichtige | |
Bauteile nicht liefert. |