# taz.de -- Krise im Kongo: Zeichen stehen auf Sturm | |
> Kurz vor den Wahlen wächst im Ostkongo die Unsicherheit. Es wird von | |
> wiederholten Massenvergewaltigungen berichtet, zudem zerfällt die Armee | |
> immer mehr. | |
Bild: Massenvergewaltigung als politisches Druckmittel: Zamuda Sikujuwa wurde 2… | |
Die UN-Mission in der Demokratischen Republik Kongo (Monusco) prüft | |
Berichte über eine neue brutale Massenvergewaltigung im Osten des Landes. | |
Über 150 Frauen laut UN, bis zu 170 laut Ärzte ohne Grenzen wurden in der | |
Nacht zum 10. Juni angegriffen und grausam sexuell misshandelt, als | |
desertierte Soldaten die Dörfer Nyakiele, Abala und Kanguli unweit der | |
Stadt Fizi in der ostkongolesischen Provinz Südkivu angriffen. Die | |
Übergriffe wurden letzte Woche bekannt, als ein Team von Ärzte ohne Grenzen | |
das Dorf Nyakiele besuchte; am Montag, dem 27. Juni, wollte ein | |
UN-Ermittlerteam in das Gebiet reisen. | |
Im August 2010 hatte ein ähnlicher Vorfall in der Provinz Nordkivu, als in | |
dem von UN-Patrouillen geschützten Ort mehrere hundert Frauen von | |
mutmaßlichen ruandischen Hutu-Milizionären systematisch vergewaltigt worden | |
waren, zu einer schweren Krise innerhalb der UN-Mission geführt. Damals | |
warf die Affäre ein Schlaglicht auf das Unvermögen der UNO, Gewaltakte der | |
im Kongo kämpfenden ruandischen Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur | |
Befreiung Ruandas) zu unterbinden, deren Führung derzeit in Deutschland vor | |
Gericht steht - am 27. Juni sollte der Prozess weitergehen. | |
Die aktuellen Nachrichten aus Nyakiele unterstreichen ein anderes großes | |
Problem für den Ostkongo: Die kongolesische Regierungsarmee FARDC droht in | |
ihre Bestandteile aus ethnischen Milizen zu zerfallen, die sich einst | |
spinnefeind waren. | |
Den vorliegenden Informationen zufolge waren die Überfälle von der Nacht | |
zum 10. Juni das Werk von Oberst Niragure Kifaru, ein in die Armee | |
eingegliederter ehemaliger Kommandant der kongolesischen Hutu-Miliz Pareco | |
(Kongolesische Widerstandspatrioten). Weil seine Leute angeblich weniger | |
von Beförderungen profitieren als ehemalige Tutsi-Rebellen in der Armee, | |
verließ Kifaru am 9. Juni mit 200 bewaffneten Anhängern das Militärlager | |
Kananda in Südkivu und machte sich auf den Weg in seine Heimatprovinz | |
Nordkivu; die Überfälle und Vergewaltigungen ereigneten sich in der | |
darauffolgenden Nacht. | |
## Milizenführer desdertieren | |
Während Hutu-Soldaten in Südkivu sich gegenüber Tutsi-Soldaten | |
benachteiligt fühlen, ist dieselbe Klage spiegelbildlich von Tutsi-Soldaten | |
über ihre Hutu-Kameraden zu hören. Wenige Wochen vor Kifaru desertierte ein | |
ehemaliger Tutsi-Rebellenkommandant in Südkivu mit seinen Kämpfern aus der | |
Armee, ebenso ein Polizeikommandant mit Zugang zu Waffenlagern. | |
Vergangene Woche warnte die Internetzeitung der Banyamulenge-Tutsi "Journal | |
Minembwe", angesichts der Spannungen drohe eine neue Rebellion im Kongo, | |
weil die Banyamulenge sich verteidigen müssten - mit solchen Parolen hatten | |
die beiden großen Kongokriege 1996 und 1998 begonnen, die das Land ins | |
Chaos gestürzt hatten. "Wir stehen wenige Monate vor den Wahlen, da ist | |
alles möglich", kommentiert ein gut informierter ostkongolesischer | |
Beobachter die Lage. | |
Dass die rivalisierenden Milizenführer überhaupt aus der Armee desertieren, | |
hat damit zu tun, dass Kongos Militärführung vor wenigen Monaten die | |
Umstrukturierung der Armee in "Regimenter" beschloss und dafür die | |
verschiedenen Truppenteile aus ihren Stationierungsgebieten abzog und | |
kasernierte. Der Rückzug der Armee aus weiten Teilen Ostkongos hat im Kampf | |
gegen die straff organisierten ruandischen Hutu-Kämpfer der FDLR fast alle | |
in den letzten zweieinhalb Jahren erzielten Fortschritte zunichtegemacht. | |
Insbesondere im Innern der Provinz Südkivu sind weite Landstriche nicht | |
mehr für humanitäre Hilfe zugänglich, berichtet die humanitäre UN-Abteilung | |
OCHA. Zehntausende Menschen seien vor verstärkten FDLR-Übergriffen auf | |
Märkten und an Straßensperren auf der Flucht. | |
## Bürger müssen sich neu in Wahlregister eintragen | |
In der Provinzhauptstadt Bukavu und Shabunda kam es in den letzten Wochen | |
zu Protestmärschen wütender Bürger. Ein Memorandum geflohener Bewohner | |
Shabundas warf der Regierung vor, die Unsicherheit zu dulden, damit sich | |
die Leute nicht an der laufenden Aktualisierung des Wahlregisters | |
beteiligen können - am 28. November wird im Kongo ein neuer Präsident | |
gewählt, und Amtsinhaber Joseph Kabila kann diesmal nicht mehr wie vor fünf | |
Jahren auf die Treue der kriegsmüden Ostkongolesen zählen. | |
Zehntausende Menschen jubelten letzte Woche in Goma und Bukavu dem | |
Wahlkampfauftakt von Kabilas ehemaligem Parlamentspräsidenten Vital Kamerhe | |
zu, der heute als einer der wichtigsten Oppositionskandidaten für die neue | |
"Union der kongolesischen Nation" (UNC) antritt und mit den Stimmen des | |
Ostens Kabila schlagen will. Kamerhe forderte den Kongo auf, sich zur | |
Gesundung am Modell Brasilien zu orientieren. | |
Aber vor der Wahl müssen sich alle Bürger neu in die Wahlregister | |
eintragen, und wenn sie auf der Flucht sind, geht das nicht. Es ist nicht | |
weit zur Vermutung, Kabila schüre bewusst Unsicherheit im Osten, um die | |
Zahl von Oppositionsstimmen dort zu reduzieren. | |
29 Jun 2011 | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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