# taz.de -- Revolution in Ägypten: Ran an die Institutionen | |
> Gut fünf Monate ist der Sturz Husni Mubaraks her. Die demokratische Wahl | |
> einer Dekanin zeigt, wie die Revolution in den Institutionen | |
> voranschreitet. | |
Bild: Nicht zufrieden mit der Militärregierung: Demonstrant auf dem Tahrir-Pla… | |
KAIRO taz | Der Tahrirplatz in Kairo ist Inbegriff der ägyptischen | |
Revolution. Hier wurde das Mubarak-Regime gestürzt. Hier versammeln sich | |
die jungen Revolutionäre dieser Tage wieder zu einer Art Revolution 2.1. | |
Weil ihnen die Veränderungen viel zu langsam vonstatten gehen. Weil die | |
Gerichte viel zu zögerlich die Verantwortlichen des alten Regimes zur | |
Rechenschaft ziehen. Weil im Innenministerium immer noch diejenigen | |
Polizeioffiziere sitzen, die für den Tod von Demonstranten während des | |
18-tägigen Aufstands gegen Mubarak verantwortlich sind. | |
Hier verteidigen die Aktivistinnen und Aktivisten ihre Revolution, in deren | |
Namen sie die rot-weiß-schwarzen Nationalflaggen schwingen. Hier verkaufen | |
sie in allen Farben T-Shirts mit der Aufschrift: "Die Macht der Menschen | |
ist stärker als die Menschen an der Macht." | |
Doch der Tahrirplatz ist längst nicht mehr das alleinige Zentrum der | |
Veränderung. In nahezu allen Institutionen ist man gerade dabei, das | |
Leitungspersonal auszuwechseln und durch neue, in vielen Fällen | |
demokratisch gewählte Köpfe zu ersetzen. Eine Entwicklung, die für die | |
ägyptische Revolution nachhaltigere Folgen haben wird, als alle | |
Demonstrationen auf dem Tahrirplatz zusammen. Und eine Entwicklung, an der | |
mehr Menschen beteiligt sind, als je auf dem riesigen Tahrirplatz im | |
Zentrum Kairos Platz finden könnten. | |
Zehn Autominuten vom Tahrirplatz entfernt, auf der anderen Seite des Nils, | |
liegt die Universität von Kairo. Unter Mubarak war sie im festen Griff des | |
Regimes. Stets standen Mubarak-getreue alte Männer der Universität und den | |
Fakultäten vor; unabhängige akademische Arbeit war unmöglich. Jetzt wird | |
schon am Eingang, wo keine Polizisten mehr Studenten und Lehrpersonal | |
schikanieren, deutlich, wie sehr sich die Dinge geändert haben. | |
## "Geschenk des Himmels" | |
Und auch im Innern tut sich einiges. An der Fakultät für | |
Geisteswissenschaften etwa. Deren neue Dekanin heißt Randa Abu Bakr, ist | |
weiblich, 43 Jahre jung und erklärte Revolutionärin. Anfang vorigen Monats | |
wurde sie gewählt. Die über 300 Professoren und wissenschaftlichen | |
Mitarbeiter der Fakultät hatten einfach mehrheitlich bestimmt, dass die | |
Führung der Fakultät in einer geheimen Wahl bestimmt werden soll. Dem | |
konnte der alte Dekan nichts entgegensetzen. | |
"Ich bin euphorisch, die Revolution war ein Geschenk des Himmels. Und dann | |
gab es an der Universität auch noch eine Wahl. Dass wir das geschafft | |
haben, war der eigentliche große Sieg, nicht dass ich die Wahl dann auch | |
noch gewonnen habe", sagt Abu Bakr. | |
Sie sitzt in einem Nebenraum der Bibliothek, denn ein Büro hat sie noch | |
nicht. Der Universitätspräsident, der zur alten Mubarak-Garde gehört, | |
weigert sich, die Wahl anzuerkennen. "Es ist klar, dass die nicht gern | |
ihren Platz räumen und versuchen, die Dinge hinauszuzögern. Aber früher | |
oder später müssen sie die neuen Zeiten anerkennen, sonst eskaliert die | |
Lage wieder, und am Ende wird es doch weitergehen", meint die Professorin | |
für englische Literatur selbstbewusst. | |
Die Revolution fand während der Semesterpause statt. "Als wir wieder | |
zurückkamen, haben wir Professoren uns zusammengesetzt und überlegt, was | |
wir jetzt verändern", erzählt Abu Bakr. Zunächst wollten sie nur ein | |
Komitee gründen, das die akademische Arbeit überwachen soll. Dann kam | |
jemand auf die Idee, den Dekan wählen zu lassen. | |
## "Ein weiterer Sieg" | |
Zu den Vorbereitungstreffen kamen immer mehr Mitarbeiter. Eine Umfrage | |
wurde veranstaltet, in der sich über 80 Prozent des Lehrpersonals für die | |
Wahlen aussprachen. Dann ging es Schlag auf Schlag. Als bei einer | |
Versammlung aller Mitarbeiter das Ergebnis der Umfrage vorgestellt wurde, | |
meldeten sich bereits sieben Kandidaten, darunter Abu Bakr. Die bekannte | |
Tahrir-Aktivistin stellte ihr Programm vor, in dessen Zentrum die Trennung | |
zwischen Sicherheitsapparat und akademischer Arbeit stand. "Früher | |
brauchten wir eine Erlaubnis der Staatssicherheit, um reisen zu können. Die | |
entsprechenden Formulare existieren immer noch und werden von der | |
Verwaltung manchmal noch angefordert", erzählt sie lachend. Es dauere eben | |
eine Weile, bis der Wandel der Zeit in allen Ecken der Universität ankomme. | |
Was sie darüber denkt, dass die erste Wahl eine Frau ins Amt gebracht hat, | |
die nun einer Fakultät mit 20.000 Studenten vorsteht? "Das kommt einem | |
Wunder gleich", sagt sie und lacht wieder. "Es ist nicht nur eine | |
Veränderung, dass jemand die Fakultät führt, der nicht aus dem alten Regime | |
stammt, sondern dass sie nun auch noch von einer Frau geleitet wird. Das | |
ist eine weitere Art von Sieg." | |
Sonja Farid, eine wissenschaftliche Mitarbeiterin, die ebenfalls englische | |
Literatur unterrichtet, wird noch deutlicher. Dass mit Randa Abu Bakr die | |
einzige Kandidatin die Wahl gewonnen habe, sei ein wichtiges Signal. "Die | |
Wähler waren überzeugt, dass sie es besser kann als ihre männlichen | |
Mitbeweber. Sie müssen sich daran gewöhnen, dass Frauen das Gleiche leisten | |
können wie die Männer", erklärt sie. | |
Diese Vorgänge an der Universität hätten Vorbildcharakter für die gesamte | |
ägyptische Gesellschaft, fährt sie fort. "Eine Revolution ist mehr, als nur | |
ein Regime zu stürzen. Es geht darum, dass wir Demokratie lernen. Und das | |
muss in allen Institutionen stattfinden", sagt sie. | |
"Der Selbstreinigungsprozess in den Institution ist der Schlüssel für die | |
Zukunft des Landes", ist auch die neue Dekanin Abu Bakr überzeugt. Die | |
Revolution werde nur erfolgreich sein, wenn an allen Schaltstellen Menschen | |
sitzen, die an die Erneuerung glauben. Das Wunder des Tahrirplatzes könne | |
nicht am Tahrirplatz vollendet werden, sondern nur, wenn es sich in allen | |
Institutionen und Bereichen des gesellschaftlichen Lebens fortsetzt - an | |
den Universitäten, in den Medien oder sogar in den Krankenhäusern. | |
## Der Betriebsrat im Krankenhaus revoltierte | |
Etwa in der staatlichen Manschijat-al-Bakri-Klinik. Einer der dortigen | |
Ärzte wandte sich vor einigen Wochen an den bekannten Volkswirt und | |
internationalen Gewerkschaftsspezialisten Elhami al-Meghrani, um sich Rat | |
zu holen, wie sie den korrupten Krankenhausleiter loswerden könnten. | |
"Gründet einen Betriebsrat", empfahl al-Meghrani. Die Antwort des Arztes: | |
"Was ist ein Betriebsrat?" Al-Meghrani erläuterte dem fragenden Arzt die | |
Aufgaben eines Betriebsrats und gab ihm noch eine letzte Empfehlung mit auf | |
den Weg: "Sorgt dafür, dass nicht nur die Ärzte, sondern auch das Pflege- | |
und Verwaltungspersonal darin vertreten sind." | |
Einige Tage später erhielt er einen erneuten Anruf: "Die Ärzte wollen nicht | |
zusammen mit dem Pflegepersonal und das nicht mit den Verwaltungsbeamten | |
zusammenarbeiten", berichtete der Arzt. Al-Meghranis kurze Antwort: "Dann | |
kann euch keiner helfen." Es dauerte nicht lange und die ägyptischen Medien | |
berichteten von einem Zusammenschluss aller Mitarbeiter des Krankenhauses. | |
Vertreter des Gremiums wurden im Gesundheitsministerium vorstellig. Der | |
ungeliebte, korrupte Krankenhausdirektor wurde abgesetzt und durch einen | |
vom Ministerium ausgesuchten anderen Mann ersetzt. Doch gegen diesen | |
bestellten Direktor revoltierte der neue Betriebsrat und setzte schließlich | |
durch, dass die Mitarbeiter des staatlichen Krankenhauses ihren | |
Vorgesetzten selbst bestimmen konnten - und zwar in geheimer und freier | |
Wahl. | |
Zurück an die Universität: Vor dem Tor zur Fakultät für | |
Geisteswissenschaften steht die Studentin Engy al-Aghroudy, die im zweiten | |
Jahr englische Literatur studiert, zwischen einer Gruppe von kichernden | |
Freundinnen. Dass ihrer Fakultät nun eine Frau vorsteht, findet sie | |
großartig. Denn es bedeute, dass auch die Studentinnen von heute später | |
solche Positionen erreichen könnten, hofft sie. | |
Bei den nächsten Dekanatswahlen wünsche sie sich nur, dass auch Studenten | |
mitwählen dürfen. Dann hätte die ägyptische Revolution in den Institutionen | |
die europäische Demokratie tatsächlich weit hinter sich gelassen. | |
21 Jul 2011 | |
## AUTOREN | |
Karim Gawhary | |
Karim El-Gawhary | |
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