# taz.de -- Eine Journalistin in Ägypten: "Ich war wütend. Und ich zweifelte" | |
> Nun steht Husni Mubarak vor Gericht. Als er noch ägyptischer Präsident | |
> war, studierte Sarah Samy Journalistik. Sie erzählt, wie sie ihre Zukunft | |
> jetzt sieht. | |
Bild: Auch Sarah Samy hat hier demonstriert: Tahrirplatz. | |
Vor der Revolution in Ägypten hatten die Spannungen zwischen der Regierung | |
und den Medien einen neuen Höhepunkt erreicht. Um zum Beispiel seine | |
Meinung in einer Talkshow über ein Thema zu vertreten, was irgendetwas mit | |
den Aufgaben der Regierung zu tun hatte, musste man erst eine Genehmigung | |
des damaligen Informationsministers Anass al-Feqqi beantragen. | |
Das gleiche System wurde auch in der Medienerziehung während meiner letzten | |
drei Jahre am Institut für Massenkommunikation an der Universität Kairo | |
angewandt. Ich hatte mich entschlossen, Journalismus zu studieren, weil ich | |
das Schreiben liebe. Ich dachte auch, ich könnte die Regierung kritisieren, | |
die ich wegen ihres unmöglichen Umgangs mit den Bürgern und wegen der | |
Korruption während der "Ära Mubarak" hasste. | |
Was mich wirklich schockierte, war, dass es mir nicht nur verwehrt blieb, | |
über die Vergehen der Regierung zu schreiben. Es war mir auch nicht | |
erlaubt, in meinen Beiträgen für die universitätseigene Monatszeitung Voice | |
of Cairo University das Bildungssystem, einen Professor oder gar unsere | |
Fakultät zu kritisieren. | |
## Geisteshaltung der Studenten überwachen | |
Diese Art von Zensur war von der alten Regierung eingeführt worden, um die | |
Geisteshaltung der Studenten zu überwachen, nicht nur innerhalb des Campus, | |
sondern auch über seine Grenzen hinweg. Wenn sie einen Studenten der | |
unlauteren Gedanken verdächtigte, konnte sie seine Zukunft ruinieren. | |
Sie konnte diesem Studenten beispielsweise verbieten, dort zu arbeiten, wo | |
er arbeiten möchte. Genau das ist einem Freund von mir passiert, weil er | |
sich offen gegen die Entscheidungen unserer Regierung und gegen Husni | |
Mubarak selbst gestellt hatte. | |
Aber auch das Bildungssystem hat seine Eigenarten. So lernte ich | |
beispielsweise alles über die Geschichte der Medien in England, weil meine | |
Lehrbücher aus Großbritannien kommen. Aber ich lernte nichts über die | |
Geschichte der Medien Ägyptens. Und das, obwohl ich auf einer staatlichen | |
Universität studiere, keiner privaten. Sollten unsere | |
Unterrichtsmaterialien uns nicht zunächst etwas über unser Land beibringen? | |
Vor der Revolution - es war mein drittes Jahr als Journalistikstudentin - | |
wollte ich einen Artikel über die Nationaldemokratische Partei des | |
damaligen Präsidenten Husni Mubarak und seines Sohnes Gamal schreiben. Als | |
ich ihn bei meinem Professor einreichte, bekam ich zu hören, er wisse | |
nicht, ob mein Artikel veröffentlicht würde. Niemand habe das Recht, solche | |
Artikel in einer Universitätszeitung zu drucken. | |
## Die Zukunft in einem unfreien Land | |
Ich war so wütend! Und ich zweifelte. An mir, an meinen Entscheidungen. War | |
es richtig gewesen, Journalismus zu studieren? Wie sollte meine Zukunft | |
wohl aussehen in einem Land, in dem es selbst an den Universitäten so | |
unfrei zuging? Ich kannte natürlich den Grund, wieso mein Text nicht | |
erscheinen sollte. Unser Dekan war Mitglied in Mubaraks Partei. Und er tat | |
alles, um dessen Regime zu stützen. | |
Außerhalb der Universitäten ließ sich die Situation der Medien und ihrer | |
Journalisten nur als chaotisch beschreiben. Ob und wie frei man schreiben | |
durfte, hing davon ab, ob man bei einem privaten, einem parteitreuen oder | |
einem staatlichen Unternehmen arbeitete. Journalisten bei einer | |
Staatszeitung durften die Regierung überhaupt nicht kritisieren. Ihre | |
Kollegen bei privaten Zeitungen durften dies durchaus, solange sie dabei | |
nicht zu weit gingen. | |
Was "zu weit" bedeutete, bestimmte natürlich im Zweifel der Staat. Für die | |
privaten Medien bedeutete dies eine Zwickmühle. Einerseits wollten sie gern | |
mit kritischen Berichten über Korruption, die Armut und das schlechte | |
Bildungs- und Gesundheitssystem und über Wahlfälschungen auffallen, | |
andererseits mussten sie sich vor den Herrschenden in Acht nehmen. So | |
schafften auch sie es nicht, ein komplettes Bild von der Lage in Ägypten zu | |
zeichnen. | |
## Ungehindert unsere Meinung sagen | |
Nach dem Erfolg der Revolution sehe ich wie viele Ägypter die Zukunft sehr | |
viel positiver - vor allem, was meine Ausbildung angeht. Ich habe das | |
Gefühl, dass es große Veränderungen in der Art und Weise gibt, wie wir | |
unterrichtet werden und welche Materialien wir benutzen. Vor allem aber | |
dürfen wir ungehindert unsere Meinung sagen. | |
Gegen Professoren, die vor der Revolution in Mubaraks Partei waren, regt | |
sich jetzt der Unmut der Studenten. Bei manchen haben sie durchgesetzt, | |
dass sie ihre Ämter verlieren. Ich muss ehrlich sagen, dass ich das in | |
manchen Fällen für einen Fehler halte. Denn das größte Problem waren nicht | |
die Professoren selbst, sondern die Mitglieder des Regimes, die für das | |
ganze Bildungssystem verantwortlich waren. Außerdem werden auf diese Weise | |
auch Professoren aus der Universität gedrängt, die zuvor echte Fortschritte | |
für uns erzielt oder einen progressiven Unterricht gegeben haben. In | |
Deutschland habe ich dann erfahren, dass es nach dem Ende der DDR wohl | |
ähnlich war. | |
Nach dem Erfolg unseres Protests konnte ich in jeder Faser meines Körpers | |
spüren, dass meine Zukunft eine bessere sein würde und dass ich mit meinem | |
Journalistikstudium doch die richtige Wahl getroffen hatte. Alles, was ich | |
vorher nicht tun durfte, tat ich jetzt. Ich schrieb und schrieb und schrieb | |
für die Voice of Cairo – über das alte Regime, den früheren Präsidenten | |
selbst und die Rolle des Militärrats, der die Macht übernommen hatte. | |
## Ohne Einschränkung gedruckt | |
Ich musste mir keine Gedanken darüber machen, ob ich mit der Fakultät in | |
Konflikt gerate, und ich weiß, dass das, was ich schreibe, ohne | |
Einschränkung auch gedruckt wird. Gleichzeitig wurden viele Zeitungen | |
gegründet, die endlich die Wahrheit drucken wollen und es als ihre | |
dringlichste Aufgabe begreifen, die Übergangsregierung in der Zeit des | |
Umbruchs zu überwachen. | |
Nun haben viele Ägypter Sorge, dass zu viel Freiheit und das Fehlen von | |
Einschränkungen der Niedergang Ägyptens sein wird, aber ich glaube das | |
nicht. Schließlich haben die Ägypter sich ihre Rechte hart erkämpft und | |
wissen sie deshalb auch zu schätzen. | |
Jetzt können wir all denen sagen, die glaubten, Ägypten sei nicht bereit | |
für die Demokratie, sie sollen auf den Tahrirplatz schauen. Dort findet die | |
Einheit Ägyptens statt. Dort kämpfen Menschen auch jetzt wieder für das | |
Recht, das alte Regime sofort vor Gericht zu stellen. Und für die | |
Forderung, den Präsidenten wählen zu können - ohne Angst vor Fälschungen. | |
Denn so sieht Demokratie aus. | |
Aus dem Englischen: Natalie Tenberg | |
3 Aug 2011 | |
## AUTOREN | |
Sarah Samy | |
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