| # taz.de -- Hausverbot für Pharmareferenten: Du kommst hier nicht rein | |
| > Mit Geschenken versuchen Pharmafirmen, den Absatz ihrer Medikamente zu | |
| > pushen. Doch einige Ärzte spielen nicht mehr mit - und verweigern den | |
| > Zutritt zur ihrer Praxis. | |
| Bild: Hier wollen nicht nur Arzt und Patienten rein. | |
| "Wenn die Ärzte alle Pillen, die sie verschreiben, selbst einnehmen und | |
| bezahlen müssten, würden sich die meisten von ihnen anders darüber | |
| informieren", meint der Mediziner Thomas Lindner (62). Er ist seit 14 | |
| Jahren niedergelassener Nierenspezialist (Nephrologe) in einer idyllisch im | |
| Wald gelegenen Gemeinschaftspraxis im brandenburgischen Hennigsdorf. | |
| Lindners Sprechzimmer wirkt modern, die Liege und der Kittel des Arztes | |
| strahlen auberginefarben. Doch anders als sonst im Alltag zeitgenössischer | |
| Praxen platzen hier keine dynamischen PharmareferentInnen in die | |
| Sprechstunden herein. Der Nephrologe hat ihnen den Zugang untersagt. | |
| Er ist Vorstandsmitglied der Ärztevereinigung Mezis. Die Abkürzung steht | |
| für [1]["Mein Essen bezahle ich selbst"], Mitglieder nehmen weder Proben | |
| noch größere oder kleinere Geschenke von der Pharmaindustrie an. | |
| Für die meisten ÄrztInnen sind Informationen der Hersteller die Hauptquelle | |
| ihres Wissens über neue Medikamente, für viele die einzige. "In Brandenburg | |
| sind 90 Prozent der Fortbildungsveranstaltungen von der Industrie | |
| gesponsert", schätzt Lindner. | |
| MedizinerInnen befinden sich in dieser Hinsicht fast im Zeitalter vor der | |
| Stiftung Warentest, als Leute, die einen neuen Kühlschrank brauchten, sich | |
| darüber nur aus der Werbung schlau machen konnten. | |
| ## "Mehr als nur Käseschnittchen" | |
| Im Falle der Medikamentenhersteller wird diese Werbung von Geschenken | |
| flankiert, und das geht weit über den Kugelschreiber hinaus. Ein | |
| Mezis-Kollege von Lindner beschloss einmal, sein Leben von Gegenständen mit | |
| Labels der Pharmaindustrie total zu entrümpeln, und musste dann sogar | |
| einige T-Shirts und Spielsachen seiner Kinder entsorgen. | |
| Lange gab es opulente Ausflüge als Zugabe zu geschenkten Kongressreisen, | |
| doch in den vergangenen Jahren sind die Pharmafirmen hier etwas | |
| vorsichtiger geworden. Noch immer an der Tagesordnung ist aber die | |
| Einladung zum üppigen Essen. "Mehr als nur Käseschnittchen!", kommentiert | |
| Lindner. | |
| Die Vereinigung Mezis wurde im Jahre 2006 gegründet und hat heute etwa 220 | |
| Mitglieder. Gegenüber rund 140.000 niedergelassenen Ärzten ist das ein | |
| Promillewert. Die überwiegende Zahl der Mediziner verhalten sich nämlich in | |
| Bezug auf Pharmageschenke wie mittelschwere Suchtkranke: Sie verharmlosen | |
| ihren Konsum. | |
| "Man hat jetzt Ärzte und Studenten befragt, ob sie glauben, durch solche | |
| Dinge beeinflusst zu werden", erzählt Lindner, "und in der Regel sagten sie | |
| nein. Aber bei der nächsten Frage, ob sie einen Kollegen für genauso | |
| unabhängig hielten, waren sie sich schon nicht mehr so sicher." | |
| Nach Zahlen des Zentrums für Sozialpolitik der Universität Bremen machen in | |
| Deutschland jährlich etwa 60.000 Pharmareferenten 25 Millionen Besuche | |
| Einer davon kostet im Schnitt 100 Euro. Die beteiligten Firmen würden mit | |
| Sicherheit keine 2,5 Milliarden Euro pro Jahr ausgeben, wenn es sich für | |
| sie nicht rentierte. | |
| Ein Blick in die Wartezimmer der besuchten Ärzte erweckt den Eindruck, sie | |
| könnten sich selbst kein Büromaterial und auch keine Fortbildungen leisten. | |
| Zudem werden ihnen die Gaben der Pharmafirmen oftmals auch explizit als | |
| Entschädigung für soziale Benachteiligung angeboten dafür, dass sie ja "so | |
| viel arbeiten" müssten und "so wenig Freizeit" hätten. | |
| ## Gezielt persönliche Beziehung aufgebaut | |
| Schon der Besuch der adretten, freundlichen PharmareferentInnen selbst habe | |
| angesichts eines Wartezimmers mit vielen verschnupften, grantigen | |
| PatientInnen auf ihn manchmal wie eine Entschädigung gewirkt, erinnert sich | |
| Lindner. Von denen sei ja auch gezielt so etwas wie eine persönliche | |
| Beziehung aufgebaut worden: "Ein junger Mann bereitete sich parallel zu mir | |
| auf den Halbmarathon vor, und wir haben immer darüber geredet, wie weit wir | |
| so sind. Es war schon schwer, ihm zu sagen, dass ich ihn nicht mehr | |
| empfangen werde." | |
| Die Vertreter verfolgen dabei jedoch oft konkrete Interessen: "Meist sollen | |
| die von den ReferentInnen angebotenen neuen Medikamente nur bewährte Mittel | |
| ersetzen, die sich für die Hersteller nun weniger lohnen, weil ihr | |
| Patentschutz abgelaufen ist und sie jetzt viel preiswerter als Generika | |
| angeboten werden", sagt Lindner. | |
| Für viel bedenklicher als Werbebroschüren hält der Nephrologe den Umstand, | |
| dass auch die Studien über die Wirksamkeit neuer Arzneimittel selbst in der | |
| Regel von der Pharmaindustrie finanziert sind. "Je häufiger der Hersteller | |
| der Sponsor einer Studie ist, desto positiver für das Medikament fällt ihr | |
| Ergebnis aus", fasst er zusammen: "Hinzu kommt, dass Studien mit negativem | |
| Ausgang häufig gar nicht erst veröffentlicht werden". | |
| ## Dürstende Mediziner im Teufelskreis | |
| Nach Unabhängigkeit dürstende MedizinerInnen bewegen sich in einem | |
| Teufelskreis. Renommierte wissenschaftliche Zeitschriften fordern von den | |
| Autoren der in ihnen abgedruckten Studien offenzulegen, wie weit sie dafür | |
| Zuwendungen von Firmen erhielten. | |
| Wer gar nichts nennt, kann sich aber auch schaden. Denn bei der Besetzung | |
| einer Professur werden Bewerber nicht zuletzt danach beurteilt, wie viele | |
| "Drittmittel" sie der Uni mitbringen. Lindner mokiert sich: "Die später von | |
| ihnen veranstalteten Symposien heißen dann Public-Private-Sowieso." | |
| Das Mezis-Vorstandsmitglied hegt keine übertriebenen Hoffnungen für das | |
| Wachstum seines Vereins in unmittelbarer Zukunft. Aber er setzt auf die | |
| Jugend. Ein neu eingerichtetes Seminar am Berliner Universitätsklinikum | |
| Charité fand bei den StudentInnen großen Anklang. Das Ziel: Pharmastudien | |
| kritisch lesen lernen. Und künftige MedizinerInnen der Uni Leipzig luden | |
| ihn kürzlich zu einer Vorlesung im Rahmen eines Pharmakologiezyklus ein. | |
| 16 Sep 2011 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.mezis.de/ | |
| ## AUTOREN | |
| Barbara Kerneck | |
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