Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Programm für Alkoholkranke: Bier in Essen
> Schwerstalkoholabhängige sollen in Essen als Putzkolonne eingesetzt
> werden. Dafür erhalten sie, neben einem kleinen Taschengeld, Bier und
> Zigaretten.
Bild: Erst das Bier, dann die Arbeit.
ESSEN taz | Die Stadt Essen will neue Wege im Umgang mit der Trinkerszene
auf ihren öffentlichen Plätzen gehen. Sozialdezernent Peter Renzel (CDU)
plant, Schwerstalkoholabhängige als Putzkolonne einzusetzen. Dafür sollen
sie Bier, Tabak und ein kleines Taschengeld erhalten. Die „Fördermaßnahme“
startet voraussichtlich im Mai. Als Vorbild dient ein Modellversuch in
Amsterdam.
Seit zwei Jahren setzt die niederländische Metropole in zwei Stadtvierteln
Süchtige zur Säuberung von Parks und Plätzen ein. Zu „Dienstbeginn“ um 9
Uhr erhalten sie zwei Dosen Bier und, falls gewünscht, eine Tasse Kaffee.
Mit Zangen, Müllbeuteln und Westen der lokalen Müllentsorgung ausgestattet
sowie begleitet von einem Sozialarbeiter, geht es dann auf den ersten von
bis zu vier einstündigen Rundgängen, an deren Ende jeweils eine weitere
Büchse Grolsch spendiert wird.
In der Mittagspause gibt es eine warme Mahlzeit von einer lokalen
Suppenküche. Außerdem bekommen sie noch täglich ein halbes Päckchen Tabak
und 10 Euro. Wer wiederholt zu spät erscheint, kriegt nur 5 Euro. Derzeit
gibt es zwei derartige Beschäftigungsprojekte für insgesamt 30 Alkohol- und
Drogenabhängige, für die die staatlich finanzierte Stiftung De Regenboog
pro Person und Tag 19 Euro ausgibt.
Anlass für die Projektinitiierung waren massive Anwohnerbeschwerden über
Szeneansammlungen in Parkanlagen im West- und im Ostviertel Amsterdams. Als
er von dem Modell hörte, „habe ich natürlich am Anfang auch geschluckt“,
sagte Essens Sozialdezernent Renzel der taz. „Aber dahinter steht ein
fachlich überzeugendes Konzept.“ Es gebe eine „hohe Akzeptanz bei den
Nutzern und eine hohe Zufriedenheit der Anwohner über die Säuberung des
Quartiers“.
## 10-12 Arbeitsplätze
Unter Federführung der „Suchthilfe direkt Essen“, einer städtischen
Gesellschaft, und in Zusammenarbeit mit dem Jobcenter soll das Experiment
nun auch in Essen ausprobiert werden. Zunächst sind zehn bis zwölf solcher
„Gemeinwohlarbeitsplätze“ für Schwerstabhängige geplant. Die Ausgabe von
Bier sei dabei nicht als Entlohnung zu verstehen, sondern diene nur „als
Instrument, um die Menschen im Projekt zu halten“, betonte Renzel. „Sonst
wären sie nicht in der Lage, die Arbeit auszuführen.“ Insgesamt soll die
sich auf dem Willy-Brandt-Platz und zwei weiteren „neuralgischen Plätzen“
tummelnde Trinkerszene rund 100 Personen umfassen.
Der Christdemokrat erhofft sich zwar von dem Versuch einen „Einstieg in
weitere Hilfen“, denn mit dem Projekt könne „bei den Klienten Vertrauen
geschaffen werden“. Außerdem würde ihnen eine „feste Struktur“ gegeben.
Gleichwohl handele es sich jedoch „in keiner Weise um ein therapeutisches
Projekt“.
Vorrangiges Ziel sei es, die Vermüllung der Plätze zu reduzieren und
Alkoholabhängige zu einem regelkonformeren Verhalten zu bringen. Laut
Renzel soll das Projekt zunächst auf ein Jahr angelegt sein und „engmaschig
evaluiert“ werden. Gleichzeitig setze die Stadt jedoch weiterhin auch auf
ordnungsrechtliche Maßnahmen, um die „Spielregeln“ friedlichen
Zusammenlebens in der City durchzusetzen.
Die Essener Grünen begrüßen den städtischen Vorstoß. „Der Vorschlag einer
Freibierausgabe für fegende Trinker hat durchaus eine Chance verdient“,
sagte die Grüne Ratsfrau Elisabeth van Heesch-Orgaß. Allein mit Verboten
bekomme man das Problem des Alkoholkonsum in der Öffentlichkeit nicht in
den Griff, es müssten auch soziale Hilfsangebote geschaffen werden.
Scharfe Kritik kommt hingegen von der Obdachlosenhilfe linker Niederrhein.
„Es kann nicht angehen, dass eine Stadt Schwerstalkoholabhängige ohne
nennenswerte Bezahlung für sich arbeiten lässt und dann auch noch mit
Suchtmitteln versorgt“, sagte Geschäftsführer Horst Renner der taz. „Das
ist schon harter Tobak.“ Es sei zwar „sehr sinnvoll“, den Betroffenen eine
feste Tagesstruktur zu geben – aber ohne die Ausgabe von Alkohol.
Stattdessen fordert Renner eine ordentliche Bezahlung „mindestens im Rahmen
des Mindestlohns“. Das müsse sich eigentlich auch eine Stadt wie Essen
leisten können.
31 Jan 2014
## AUTOREN
Pascal Beucker
## TAGS
Essen
Bier
Amsterdam
Niedriglohn
Berliner Szenen
## ARTIKEL ZUM THEMA
Bier fürs Fegen in Amsterdam: Die Ausgekotzten räumen auf
Dürfen Alkoholiker mit Bier entlohnt werden, wenn sie dafür die Straße
fegen? Die Stadt Amsterdam unternimmt ein soziales Experiment.
Niedriglöhne und Tarifverträge: Aufwärts dank Mindestlohndebatte
Immer mehr tarifliche Stundenlöhne erreichen die Schwelle von 8,50 Euro.
Die Aussicht auf den allgemeinen Mindestlohn belebt die Tarifpartnerschaft.
Berliner Szene: Professionell feist
Da stehen Kabeljungs auf dem Flur. Mit starren Gesichtern und Kassenbrille.
Wollen wir sie reinlassen? Besser wäre: nicht.
Gesundheitspolitik: Schuss auf Kosten der Kasse
Rot-Schwarz setzt in Berlin die Drogenpolitik des Vorgängersenats fort:
Schwerstabhängige sollen künstliches Heroin bekommen. Noch scheitert es an
der Finanzierung.
Hausverbot für Pharmareferenten: Du kommst hier nicht rein
Mit Geschenken versuchen Pharmafirmen, den Absatz ihrer Medikamente zu
pushen. Doch einige Ärzte spielen nicht mehr mit - und verweigern den
Zutritt zur ihrer Praxis.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.