| # taz.de -- Berliner Szene: Professionell feist | |
| > Da stehen Kabeljungs auf dem Flur. Mit starren Gesichtern und | |
| > Kassenbrille. Wollen wir sie reinlassen? Besser wäre: nicht. | |
| Bild: Pramspotting. Hier nicht wirklich in Berlin. | |
| Die Kabeljungs begehren Einlass. Zwei junge Männer, Mitte, Ende zwanzig, | |
| mit starren Gesichtern, wie aus der Provinz oder einer anderen Zeit | |
| versetzt. Ein Achtziger-Nerd, Kassenbrille, geriert sich als Chef des Duos. | |
| Der subalterne Kollege mit hellblonden, halblangen Haaren unter Pudelmütze, | |
| frühe Neunziger, erzählt ungefragt, dass der Chef in acht Tagen, dann ist | |
| ausgezählt, Vater wird. Sie stehen in meinem Wohn- und Arbeitszimmer, | |
| wirken professionell feist, wie Bahnkontrolleure oder Politessen, sonst | |
| könnten sie diese Schwellen nicht überschreiten, die Schwellen ins Private. | |
| Und jetzt haben sie etwas in meine Kabelbuchse gesteckt, messen Daten, die | |
| zwischen 58 und 61 liegen, alles ist optimiert, jetzt könnte das | |
| Kabelfernsehen losgehen, allerdings habe ich gar keinen Fernseher. Noch | |
| mehr Kinder, denke ich, während der Chef die Zahlen in eine Liste einträgt, | |
| ich weiß von mindestens noch zwei, nein, eigentlich drei anstehenden | |
| Geburten dieses Jahr. | |
| Und täglich kann ich eine Partie Pramspotting, also Kinderwagen, zählen, | |
| spielen. Dabei wohne ich nicht einmal mehr in Prenzlauer Berg. In der Nacht | |
| zuvor haben wir zwei Polizisten beim Abtransport einer Leiche beobachtet, | |
| wir kamen gerade vom Tagesabschlussbier. | |
| Und ich dachte noch, dass man das so selten sieht, dass in dieser Stadt | |
| auch Menschen sterben – dass es auch den Tod gibt. Irgendwie muss sich das | |
| ausgleichen, die Geburtenrate durch eine angemessene Sterbensrate, und | |
| überhaupt die Bevölkerungsexplosion, irgendwie hat sich die Thematik | |
| merkwürdig verschoben. | |
| Die Kabeljungs verabschieden sich. Ich weiß nicht, warum ich sie überhaupt | |
| hereingelassen habe, für einen oder zwei Augenblicke fühlt sich das nicht | |
| gut an, eine Grenze wurde überschritten, Betreten der Wohnung als | |
| übergriffige Handlung. Und am Ende wollten sie auch nur wieder was | |
| verkaufen. | |
| 20 Jan 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Rene Hamann | |
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