# taz.de -- Narkolepsie duch Pandemrix-Impfung: Riskant für Kinder und Jugendl… | |
> Die finnische Gesundheitsbehörde hält den Zusammenhang zwischen | |
> Schweinegrippe-Impfung und Narkolepsie für erwiesen. Bei Kindern besteht | |
> erhöhtes Krankheitsrisiko. | |
Bild: Bei Kindern und Jugendlichen kann der Pandemrix-Impfstoff unerwünschte N… | |
STOCKHOLM taz | Der Zusammenhang zwischen einer Impfung mit dem | |
"Schweinegrippe"-Impfstoff Pandemrix und einem kräftig erhöhten Risiko für | |
Kinder und Jugendliche an der unheilbaren "Schlafkrankheit" Narkolepsie zu | |
erkranken, ist bestätigt. Dies [1][gab die finnische Gesundheitsbehörde | |
Terveyden ja hyvinvoinnin laitos (THL)] aus Anlass eines von ihr | |
[2][veröffentlichten Abschlussberichts] zu ebendiesem Thema bekannt. | |
Konkret sei in Finnland aufgrund der H1N1-Massenimpfung mit Pandemrix im | |
Winter 2009/10 für die Altersgruppe der 4- bis 19-Jährigen das Risiko, an | |
Narkolepsie zu erkranken, 12,7-fach höher gewesen als bei nicht mit diesem | |
Impfstoff behandelten Personen. | |
Das heißt, dass von 100.000 geimpften Kindern oder Jugendlichen 6 an | |
Narkolepsie erkrankten. In Finnand gab es 76 Erkrankungen in dieser | |
Altersgruppe. Weder bei Kindern unter 4 noch bei Erwachsenen über 19 Jahren | |
war ein entsprechend erhöhtes Risiko beobachtet worden. | |
Im Ergebnis bestätigt der finnische Bericht eine von Helsinki schon im | |
Januar vorgelegte vorläufige Studie, eine im Juni veröffentlichte ähnliche | |
Studie aus Schweden sowie unter anderem aus Norwegen und Frankreich | |
gemeldete Zahlen über eine höhere Narkolepsie-Erkrankungsrate nach | |
Pandemrix-Impfungen. Einziger Unterschied: Die in Finnland ermittelte | |
Risikozahl liegt besonders hoch. | |
In den anderen Ländern ergaben vorläufige Zahlen über Neuerkrankungen im | |
zeitlichen Zusammenhang mit Pandemrix-Impfungen ein 4-bis 7-fach höheres | |
Risiko. In Deutschland ist eine entsprechende [3][Narkolepsie-Studie des | |
Paul-Ehrlich-Instituts] noch nicht abgeschlossen. | |
Die Erkenntnisse aus Skandinavien stehen im Widerspruch zu einer im | |
vergangenen Monat in der Wissenschaftszeitschrift [4][Annals of Neurology | |
veröffentlichte Studie], die auf der Grundlage von Krankenakten aus dem | |
Pekinger Universitätskrankenhaus einen möglichen Zusammenhang zwischen der | |
H1N1-Infektion selbst und einem erhöhten Narkolepsie-Erkrankungsrisiko | |
vermutet hatte. | |
2009/10 waren hier nach "Schweinegrippe"-Erkrankungen dreimal so viel | |
Narkolepsie-Neuerkrankungen aufgetreten wie gewöhnlich. Ein Teil der | |
Erkrankten wurde telefonisch befragt, aus dieser Gruppe waren 5 Prozent | |
geimpft worden, aber niemand mit Pandemrix. | |
Die finnische THL geht nicht ausdrücklich auf diese Studie ein, weist aber | |
darauf hin, dass ein Zusammenhang mit einer Infektion jedenfalls für die in | |
Finnland Neuerkrankten nicht bestehe. Untersuchungen auf Virusantikörper | |
hätten gezeigt, dass weniger als 10 Prozent der Betroffenen möglicherweise | |
an H1N1 erkrankt gewesen seien: "Die Schweinegrippeinfektion scheint in | |
Zusammenwirken mit dem Pandemrix-Impfstoff deshalb keine bedeutende Rolle | |
beim Auftreten von Narkolepsie gespielt zu haben." | |
Möglicher gemeinsamer Nenner beider Studien: Sowohl die H1N1-Infektion als | |
auch der Impfstoff - konkret: der darin enthaltene Wirkverstärker AS03 - | |
könnten im Immunsystem der für eine Narkolepsie-Erkrankung genetisch | |
vorbelasteten Personen den auslösenden "Kick" für ein Ausbrechen der | |
Krankheit verursacht haben. | |
## Nervenzelle werden angegriffen | |
Emmanuel Mignot, Mitverfasser der China-Studie, wies 2009 nach, dass | |
Narkolepsie eine Autoimmunkrankheit ist, die auf einem Mangel des Hormons | |
Orexin beruht. Er vermutet nun, dass die H1N1-Infektion eine Reaktion | |
verstärkt, bei der Immunzellen Neuronen angreifen, die Orexin produzieren. | |
In Finnland ergaben die THL-Untersuchungen, dass sich bei einem Viertel der | |
dort untersuchten Erkrankten Antikörper gegen den Wirkstoff AS03 gebildet | |
hatten. Dieses Adjuvans besteht unter anderem aus Squalen, einer Substanz, | |
die zum Beispiel in hohen Konzentrationen in Haifischleberöl vorkommt. | |
Adjuvantien verstärken die Impfwirkung. Der Impfstoff kann damit gestreckt | |
werden. | |
Bislang, so die finnische Studie, sei die Wissenschaft davon ausgegangen, | |
dass das Adjuvans Squalen keine Antikörperproduktion als Immunantwort | |
auslösen werde. Um einen möglichen Zusammenhang abzuklären, bedürfe es | |
daher weiterer Untersuchungen. | |
Seitens Pandemrix-Kritikern hatte es aber wegen der aktivierenden Wirkung | |
von Squalen auf das Immunsystem von vornherein Warnungen gegeben, diese | |
Substanz könne Autoimmunkrankheiten auslösen oder zumindest deren | |
Entwicklung begünstigen. | |
## Das Golfkriegssyndrom | |
So wurde Squalen mit dem sogenannten Golfkriegssyndrom in Verbindung | |
gebracht. 1991 waren nach einer Impfaktion gegen mögliche Biowaffen bei | |
fast einem Drittel der geimpften US-Soldaten zeitweise Symptome wie | |
chronische Müdigkeit und Gedächtnisstörungen aufgetreten. | |
Eine Studie wollte bei 95 Prozent der erkrankten Soldaten | |
Squalen-Antikörper festgestellt haben. Später wurde diese Studie jedoch | |
wegen angeblicher methodischer Mängel aber als irrelevant abgetan. | |
Schon 2006 hatte ein [5][WHO-Beratergremium für Impfsicherheit | |
Befürchtungen zur Verwendung von Squalen in Impfstoffen als "unbegründet" | |
bezeichnet], gleichzeitig aber weitere Untersuchungen empfohlen, falls | |
solche Impfstoffe in Altersgruppen von Kindern und Jugendlichen Verwendung | |
finden sollen. Diese zusätzlichen Adjuvans-Studien hat es aber vor der | |
Pandemrix-Zulassung nicht gegeben. | |
Die [6][schwedische Arzneimittelbehörde setzte sich vor der Massenimpfung | |
in einem im Oktober 2009 veröffentlichten Bericht] speziell mit dem | |
Adjuvans Squalen auseinander und konstatierte große Wissenslücken. | |
## Nicht nachvollziehbar | |
So könne man bislang "nicht exakt nachvollziehen", wie Squalen eigentlich | |
dazu beitrage, die Immunabwehr gegen einen Impfstoff zu verstärken. Es | |
wurde das theoretische Risiko erwähnt, dass bei genetisch prädisponierten | |
Personen Autoimmunreaktionen ausgelöst werden könnten. | |
Da dies aber in klinischen Untersuchungen nie tatsächlich habe nachgewiesen | |
werden können, falle die Abwägung zwischen einem theoretischen Risiko und | |
dem Nutzen des Impfstoffs daher zugunsten des Pandemrix-Einsatzes aus. | |
Auch in Deutschland hatte es eine Debatte über das Adjuvans Squalen | |
gegeben. Dieser Wirkverstärker war zuvor noch nie bei derart umfangreichen | |
Massenimpfungen eingesetzt worden. | |
Frank Ulrich Montgomery, der derzeitige Präsident der Bundesärztekammer, | |
kritisierte seinerzeit, dass dieses Adjuvans nicht zureichend getestet sei. | |
Impfkritiker sprachen gar von einem Giftcocktail. | |
## Adjuvansfreie Impfstoffe | |
Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft und der Berufsverband | |
der Kinder- und Jugendärzte forderten für Gruppen, für die es keine | |
ausreichenden Sicherheiten gebe - und klinische Untersuchungen speziell für | |
Kinder und Jugendliche fehlten - die Bereitstellung adjuvansfreier | |
Impfstoffe. | |
Die österreichischen Gesundheitsbehörden setzten ebenso wie die | |
Verantwortlichen zur Impfung der deutschen BundeswehrsoldatInnen statt | |
Pandemrix auf den Impfstoff Celvapan, der keine Adjuvantien enthielt, weil | |
dieser als "verträglicher" angesehen wurde. | |
In der Schweiz ließ das dortige Bundesgesundheitsamt Pandemrix erst ab 18 | |
Jahren zu. In Deutschland konstatierte das [7][Paul-Ehrlich-Institut in | |
einer Auseinandersetzung mit Einwänden gegen AS03,] es bestehe [8]["kein | |
Anlass zur Sorge", der adjuvanshaltige Impfstoff könne ohne Bedenken bei | |
Kindern ab 6 Monaten eingesetzt werden.] | |
## Eingeschränkte Verwendung | |
Eineinhalb Jahre später und vorwiegend aufgrund der skandinavischen Studien | |
[9][empfahl die Europäische Arzneimittelagentur EMA in London, Pandemrix | |
nicht mehr an Personen unter 20 Jahren zu verabreichen.] | |
Die finnische Regierung hat mittlerweile eine staatliche | |
Entschädigungsregelung für die Narkolepsie-Erkrankten und ihre Familien | |
angekündigt. Ein Fonds mit einer Erstausstattung von 30 Millionen Euro, der | |
bei Bedarf aufgestockt werden soll, wurde eingerichtet. Staatliche | |
Erstattungsregelungen haben auch die Regierungen in Stockholm und Oslo | |
versprochen. | |
Der Pandemrix-Hersteller GlaxoSmithKline hatte in den Kaufverträgen eine | |
Haftung für mögliche Nebenwirkungen bei diesem unerprobten Impfstoff | |
seinerzeit ausdrücklich ausgeschlossen. | |
9 Sep 2011 | |
## LINKS | |
[1] http://www.thl.fi/en_US/web/en/pressrelease?id=26352 | |
[2] http://www.thl.fi/thl-client/pdfs/c02a3788-a691-47a4-bca8-5161b6cff077 | |
[3] http://www.pei.de/cln_101/nn_154420/DE/infos/fachkreise/pharmakovigilanz/na… | |
[4] http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/ana.22587/abstract | |
[5] http://www.who.int/vaccine_safety/topics/adjuvants/squalene/Jun_2006/en/ind… | |
[6] http://www.lakemedelsverket.se/alla-nyheter/nyheter-2009/pandemrix--adjuvan… | |
[7] http://www.pei.de/cln_152/nn_2073016/DE/infos/fachkreise/am-infos-ablage/ar… | |
[8] http://www.pei.de/cln_152/nn_2073016/DE/infos/fachkreise/am-infos-ablage/ar… | |
[9] http://www.ema.europa.eu/ema/index.jsp?curl=pages/news_and_events/news/2011… | |
## AUTOREN | |
Reinhard Wolff | |
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