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# taz.de -- Papst in Deutschland: Wenn das Fieber steigt
> Der Papst geht auf Tournee durch die Republik. Was löst das aus?
> Abneigung. Zuneigung. Eine Expedition in die Seelenwelt von Anbetern und
> Hassern.
Bild: Einstimmen auf den Papst in Freiburg.
BERLIN taz | Papstfieber. „38 Grad“ bei Nathalie Mutter – Ministrantin ist
sie. Noch höher ist es bei Schwester Hanna-Lucia. Sie zog wallfahrend durch
Südbaden, um Benedikt XVI. den Weg zu bereiten.
Auch in der katholischen Schule in Erfurt ist die Temperatur erhöht. Aber
auf eine werktätige Weise. Und in Berlin erst. Da wird das Fieber als
Reinigung verstanden. Wer es durchsteht, steht hinterher mit besserer
Abwehrkraft da. Wo stehen? Was abwehren?
Berlin, Erfurt, Freiburg sind die drei Städte, die der Papst auf seiner
Deutschlandreise besucht. Empfangen wird er wie eine Königin in langen
Kleidern, roten Schuhen. Manche hoffen, dass er etwas sagt, was als
Botschaft direkt von Gott kommt.
Andere hoffen, dass ihm etwas einfällt zu den Skandalen und Versäumnissen
der Kirche. Zu Missbrauch, zu Gleichberechtigung, zu Bigotterie. Zur
Ökumene auch. Und wieder andere hoffen, dass er den Mund hält. Der Papst
ist Projektionsfläche für vieles. Für viele.
## Erfurt. Ein Bischof mit dem erdverbundenen Gang
Zum Beispiel in Erfurt. Im Osten. In Thüringen. Die Annäherung an die Stadt
ist sperrig. Dabei ist sie schön. „Aber wer kennt schon Erfurt?“, fragt der
Erfurter Bischof Joachim Wanke auf der Pressekonferenz. Bekannt sei die
Stadt nur durch den Amoklauf vor bald zehn Jahren. Wanke ist ein ruhiger,
weißhaariger Mann. Sein Gang erdverbunden, aber auf weiche Art, als
streichle er den Boden mit jedem Schritt. Er sieht den Papst als
Repräsentanten des christlichen Glaubens. Glaube und Kirche verkörpern
Freiheit für ihn.
Für diese Freiheit sei ihm kein Aufwand zu schade. Elf Millionen kostet das
Spektakel sein Bistum. Nicht mitgerechnet die Kosten für Sicherheit, die
das Land Thüringen trägt. Einwände wischt der Bischof mit Hauptsätzen
beiseite: „Ein wichtiger Gast ehrt auch die Gastgeber.“ – „Viele Mensch…
können den Papst sehen.“ – „Das ist mir die Sache wert.“
Andere in Erfurt hoffen ebenso, dass der Papst die Stadt bekannt macht.
Weimar kennen alle. Erfurt, nur 25 Kilometer von Weimar entfernt, kenne
keiner. „Gut, Paganini war einmal hier“, sagt eine Frau, die eilig den
Domplatz überquert. Auch der Chauffeur der Hochzeitskarosse, schwarze Hose,
weißes Hemd, grauer Pferdeschwanz, der vor dem Dom mit den hochgereckten
Türmen wartet, bis die Trauung in der Kirche vorbei ist, glaubt, dass
Erfurt bedeutender wird durch den Papst.
Er findet die ganze Aufregung um Kosten und Absperrungen verlogen. „Die
Hoteliers am Domplatz, die sollen ihre Goschen halten“, es hört sich wie
„Guschen“ an, wenn er es sagt, „weil sie zwei Tage zumachen müssen. Das
holen sie wieder rein.“ Der Chauffeur des blumengeschmückten Autos glaubt,
dass Hunderttausende nun da hinpilgern werden, wo der Papst den Fuß gesetzt
hat. Magie der Fußstapfen – ob Ratzinger das Format hat? „Auf jeden Fall.�…
Mit seiner Verteidigung irritiert der Chauffeur ein paar Leute, die auf
einer Bank vor dem Dom sitzen, und auf den Pomp, der wegen des Papstes
betrieben wird, schimpfen. „Den Mülleimer darf man nicht rausstellen“, sagt
der Dicke in der Mitte. Und nur Papstbier ausschenken. „Papstbier!“ Er
schüttelt sich, seine ganze Körperfülle, die wegzufließen droht, zittert.
Da fährt der Hochzeitskarossenfahrer dazwischen: „Die Erfurter sollen sich
nicht so aufregen. Potemkinsche Dörfer, das sind sie doch von früher
gewohnt.“
Früher. Früher ist wichtig. Früher ist DDR. Damals bot die Kirche Halt in
der Verneinung. Wer mit Papstfans in Erfurt spricht, stößt ständig auf
diese Erinnerung: „Kirche war Freiheit“, sagt der Leiter des
Koordinierungsbüros für den Papstbesuch. Er steht in der Aula der
katholischen Schule. Über hundert Freiwillige sind gekommen, um
hunderttausend Briefe mit Eintrittskarten und Prospekten zu packen.
Er zeigt auf die Leute – Männer, Frauen, Junge, Alte – die, jeder für ein…
Handgriff eingeteilt, zusammen zu einer Humanmaschine werden. „Hier sind
Menschen, die zu DDR-Zeiten auf der Straße, in der Schule, auf der Arbeit
gegängelt und überwacht wurden“, sagt der Leiter. „Und dann sind sie in d…
Kirche, und da war Freiheit.“ Für diese Freiheit stehe der Papst. An die
Person sei das nicht gebunden. Wojtyla. Ratzinger. Egal. Dass der Papst
auch als Politiker auftritt – im Bundestag – und als Demagoge? „Ich seh d…
nicht“, sagt er.
Weil Christen in der DDR staatliche Repression erlebten, egal welcher
Konfession, hat sich die Trennung zwischen Protestanten und Katholiken in
der DDR verwischt. Das lassen sich der katholische Pfarrer Wigbert Scholle
und die protestantische Laienpriesterin Annemarie Keller auch heute nicht
nehmen. Keller und Scholle vertreten zwei Pfarrgemeinden in der Erfurter
Innenstadt. Sie arbeiten zusammen, tauschen mitunter ihre Kirchen und auch
schon mal die Seelsorger. Das Papstfest mit Fernsehübertragung wird in der
evangelischen Kirche gefeiert. Es gilt: praktische Umsetzung der Ökumene
bis in die Sprache hinein. „Kirche ist eine Erzählgemeinschaft. Wir
erzählen vom gleichen Gott.“ Nur ein Drittel der Thüringer will die
Erzählung allerdings hören.
An der Ökumene kommt der Papst in Erfurt nicht vorbei. Zumal vom
christlichen Bevölkerungsdrittel drei Viertel evangelisch sind. Deshalb
wohl hält Benedikt XVI. einen Gottesdienst in der Kirche des
Augustinerklosters, in dem Martin Luther von 1505 bis 1511 lebte. „Das muss
man sich vorstellen: Rechts und links des Grabsteines, auf dem Luther seine
Gelübde ablegte, werden sich der Papst und die protestantischen
Würdenträger und -trägerinnen gegenübersitzen“, sagt der Kurator des
Klosters, das heute eine Begegnungsstätte ist.
Ein ökumenisches Daseinswunder sei das, meint er. Zumal da noch Ratzingers
Wort, dass die evangelische Kirche gar keine Kirche sei, sondern nur eine
religiöse Gemeinschaft, wie eine Eiterbeule im Hintergrund schwärt.
Eigentlich wirkt der groß gewachsene Kurator, der bald in Rente geht,
ruhig. Aber das lasse ihn doch fiebern. Er hofft neben dem Daseinswunder
sogar auf ein Wortwunder. Welches? „Wenn Benedikt XVI. den päpstlichen
Bann, der bis heute auf Luther liegt, zurücknehmen würde. Hoffen darf man
ja.“
Abends unweit des Domplatzes in der „Frommen Helene“ – einer verstaubten
Wohnzimmerkneipe, in dem nostalgische Wilhelm-Busch-Fans und melancholische
Biertrinker verkehren, bricht sich der Stammtischglaube Bahn. Der ist
antikirchlich. Dicht gedrängt im kleinen Innenhof hocken die Gäste.
Papstfieber? Kaum. Einer sagt etwas: „Bringt nur Stress.“ Die anderen
improvisieren darauf, als säßen sie mit Luftgitarre auf einer Bühne:
„Siebzig Kilometer Autobahn gesperrt. Und beleuchtet. Mehr Tamtam, als wenn
Obama käme.“
Der Nächste: „Der Papst verbietet Kondome, und in Afrika sterben die Leut.“
Ein anderer: „Die Zeugen Jehovas sind schlimmer.“ Der Erste wieder: „Mir
machen die Jugendlichen Angst. Wenn die so auf den Papst abfahren, fahren
sie auch auf was anderes ab. Ich seh schon Chancen für nen neuen Hitler.“
##
Anders als Erfurt sollte Freiburg ein Heimspiel sein für den Papst. In der
südbadischen Diözese sind 42 Prozent der Menschen katholisch. Aber so
einfach ist es nicht. Denn die Leute durchschauen, dass das Heimspiel ein
Schauspiel ist.
Wie die rotblonde Frau, die in der Vorhalle des Freiburger Münsters sitzt.
Sie sagt, ihr Papstfieber sei ein innerliches Vibrieren. Wie fühlt sich das
an? Wie Schmetterlinge? Wie Verliebtsein? „Ja auch, nein, ganz anders.“ Wie
denn? „Ich lächle innerlich. Alles in mir lächelt. Magen, Nieren, Leber,
Lungen, das Herz lächeln.“ Die junge Frau stutzt. „Irgendwie ist es
komisch, wenn ich beim Aufzählen was vergesse. Die Milz zum Beispiel. Wer
denkt schon an die Milz.“
Warum ist es komisch? „Ich komme mir dann amputiert vor.“ In der Vorhalle
ist es unruhig, immer neue Touristengruppen kommen, lassen sich die
eingravierten Brotmaße auf dem Sandsteinsockel des Münsters erklären: dass
1320 ein gutes Erntejahr war und 1317 ein schlechtes. „Ich habe es gern,
wenn was ans Herz geht“, sagt die junge Frau noch. Eigentlich will sie
Schauspielerin werden. Gerade allerdings verdingt sie sich als
Fremdenführerin. „Ich habe mich reingesteigert für Sie.“
Die alte Frau, die sich auf einer Bank mitten im Markttreiben rund um das
Münster ausruht, einem Markt, der überquillt von Früchten, Blumen, Wurst,
Speck, Gemüse und Brot, lavaroten Tomaten, Trauben, süß wie Sirup, die
fiebert auch nicht. „Ich bin nicht katholisch.“ Aber auf den Flugplatz, wo
der Papst seine Abschlussmesse halten wird, da will sie hin. „Ich find das
gut.“ Warum? „Wir haben alle nur einen Herrgott.“ Um mit dem zu sprechen,
brauchen Sie den Papst? „Nein. Aber ich bin ja bald neunzig und mir
gefällt's, wo viele Menschen sind.“
Immerhin Schwester Hanna-Lucia lässt sich auf spirituelle Weise von
Benedikt XVI. anstecken. Sie gehört zu den Schönstatter Marienschwestern.
„Wenn ich den Papst liebe, liebe ich durch ihn Gott“, sagt die 34-jährige
Erzieherin, die gerne lacht und für alle betet. Sie hat für den Papst eine
Wallfahrt organisiert von Oberkirch bei Offenburg, wo sie lebt, nach
Freiburg. Am Ende waren es 53 Leute, die mit Pilgerstab, Fahne und
Madonnenbild durch die Ortschaften zogen.
„Alle Anstrengungen, der Schweiß, der Durst, die schmerzenden Füße, das
gebe ich dafür, dass die Reise des Papstes fruchtbar wird“, sagt sie.
Singend sind die Pilger und Pilgerinnen im Freiburger Münster eingezogen.
Manche hätten geweint. „Für mich persönlich ist der Papst keine politische
Person. Er ist ein Vater.“ Sie brennt für ihn. Wie es sich anfühlt? „Wie
eine Sehnsucht.“
In den siebziger Jahren war „Jesus Christ Superstar“. Heute ist es der
Papst. Vom Original zur Kopie. Egal. Das gilt auch für junge Leute,
wenngleich sie distanzierter an die Sache rangehen. Nathalie Mutter, eine
achtzehnjährige Gymnasiastin, die bei der Abschlussmesse des Papstes auf
dem Freiburger Flughafen ministrieren wird, und der 22-jährige
Jazztrompeter, der das Papstlied komponierte. Sie machen mit, obwohl sie
Kritik an der Kirche haben. Gleichberechtigung von Frauen in der Kirche,
„das wäre nur gerecht“, sagt die Ministrantin. Und das Zölibat, findet si…
solle abgeschafft werden. Trotzdem engagiert sich die blonde junge Frau
gern.
Die Kirche böte einen Rahmen, in dem man aufgefangen werde. Das Religiöse
sei mittlerweile geschickt verpackt. „Nicht mehr altmodisch.“ Und der
Jazztrompeter, der auf dem Freiburger Bahnhof schnell zu sprechen ist,
bezeichnet sich als Christ, „aber ich nehme die Bibel nicht wörtlich“. Mit
Missionierung, Alleinvertretungsanspruch, Kondomverbot ist er nicht
einverstanden. Das untergrabe die Autorität. „Aber wir jungen Leute leben
in einer Zeit, in der so vieles beliebig wird.“ Die Kirche mit ihren klaren
Vorgaben sei da ein Gegenmodell. „Da weiß ich, woran ich bin. Das ist nicht
irgendwie.“
## Eine Begegnung, die den Text sprengt
Beim letzten Versuch, Antworten aufs Papstfieber in Freiburg zu finden,
geschieht etwas, das diesen Text sprengt. Peng. Wäre das hier Theater,
fiele der Vorhang mitten im Stück. Hebt er sich wieder, sitzt die Autorin
mit auf der Bühne. Denn als ich Thomas Dietrich sehe, Leiter des
Sozialpastoral im Erzbischöflichen Seelsorgeamt in Freiburg, der seit
Monaten mit Papsttexten bestückte Gottesdiensthilfen entwickelt, damit die
Landpfarrer ihre Gemeinden auf den Papst vorbereiten können, wird klar: Wir
sitzen uns als Wissende gegenüber. Maskierung zwecklos. Er weiß: Ich bin
aus der Kirche ausgetreten. Und ich weiß, dass er, will er glaubwürdig
sein, den Papst kritisch sehen muss.
Dietrich zog in den neunziger Jahren ins Pfarrhaus in dem Dorf, in dem ich
aufgewachsen bin, als der alte Pfarrer, der dort ab den fünfziger Jahren
für vier Jahrzehnte seine Verderbtheitsbotschaften und Höllenszenarien in
die Köpfe der Gemeinde hämmerte und Generationen von Kindern, vor allem
Mädchen, im Beichtstuhl in seine sexuellen Fantasien verwickelte, endlich
tot war. Das sechste Gebot war der Eingang in seine Unterwelt. Unkeuschheit
das Unwort.
Acht-, neun-, zehnjährige Kinder fragte der Pfarrer ab. Auch mich: „Hast du
mit deinen Brüdern zusammen gebadet? Habt ihr die Unterhosen angehabt?“ (In
den sechziger Jahren saßen wir nicht nackt in der Wanne. Nicht im Dorf.)
„Was hast du gesehen, als ihr die Unterhosen ausgezogen habt? Hast du
absichtlich hingeschaut? Habt ihr euch angefasst? Habt ihr euch zwischen
den Beinen angefasst? Hast du dich allein angefasst? Wo? Wie? Wann?“
Das Unkeusche war das Unbekannte – und trotzdem Sünde. Versuchten Kinder,
es ihren Eltern zu erzählen, stießen sie auf Abwehr. In den katholischen
Dörfern verkörperte ein Pfarrer Autorität. Mitunter die einzige. Gingen die
Kinder nicht beichten, mahnte es der Pfarrer an. Kontrolle, Gängelung,
Machtmissbrauch – alles da. Wer konnte, ging. Ich. In den Achtzigern wandte
sich jemand, der blieb, an die Bild-Zeitung und machte die Übergriffe
öffentlich. Zu früh – ein Gesellschaftsthema war Missbrauch in der Kirche
damals nicht. Im Dorf aber waren viele sauer auf die, die es gewagt hatten,
den Pfarrer so zu brüskieren.
Und dann kam dieser Dietrich, klein, wohlgenährt, modern und dem Leben
zugewandt, in den neunziger Jahren ins Dorf. Auf Familienfesten lernte ich
ihn kennen. Ein Pfarrer, für den die veraltete Sexualmoral, die
Geschlechterdefinition, die starren Familienbilder „der Kaugummi an der
Schuhsohle der Kirche sind“. So sagt er es in dem kleinen schmucklosen
Besprechungszimmer des Freiburger Seelsorgeamtes. „Euer Dorf“, sagt
Dietrich, „hat einem die Luft abgestellt.“ Wusste die Kirchenleitung, was
sich der alte Pfarrer erlaubte? „Ja“, antwortet er.
Obwohl sich Dietrich seit Monaten durch Ratzinger-Texte arbeitet und Zitate
herauspickt, um den Gläubigen die Größe des Papstes nahe zu bringen, komme
bei ihm keine Euphorie auf. Der Papst stehe fassungslos vor der modernen
Gesellschaft mit ihrem Weltanschauungspluralismus, sagt er. „Eigentlich
wäre er eine der wenigen globalen Größen, der die Dinge sagen könnte, die
die westliche Welt gesagt bekommen muss, obwohl sie sie nicht gerne hört.“
Nur sei er im Grunde politisch desinteressiert. „Wer politisch
desinteressiert ist, fördert die beharrenden Kräfte.“ Vor der Rede
Benedikts XVI. im Bundestag zittere er. Und beim Abschied auf dem Flur:
„Wenn er zu Missbrauch nichts sagt …“ Er beendet den Satz nicht.
##
In Berlin ist Missbrauch in der katholischen Kirche ein Thema. Und
Ratzingers Homophobie. Auch die Diskriminierung der Frau, die sich die
Kirche erlaubt. Die Demokratiefeindlichkeit des katholischen Monarchen
dazu. Denn nicht nur die Papstfans sind im Fieber. Auch seine GegnerInnen.
Tische und Stühle sind zur Seite geräumt im Salon des Verbandes der Lesben
und Schwulen, damit ein Dutzend Frauen und ein Mann üben können. Singend
und tanzend wollen sie ihren Protest unter die Leute bringen. Aus „Ein
Jäger aus Kurpfalz“ wird: „Der Papst kommt nach Berlin. Dort spricht er vor
dem Bundestag, ne Messe gibts danach, da protestieren wir.“ Dreistimmig
wird das Lied einstudiert. A cappella gesungen. Es klingt gut.
Nebeneinander stehen die Aktivistinnen. Eine hat ihre Hand lässig auf dem
Tresen einer kleinen Bar in der Ecke gestützt. Die daneben steht klassisch
auf Standbein und Spielbein. Neben ihr sitzt eine auf dem Barhocker, die
Beine gekreuzt, dann eine im Rock auf dem Stuhl, eine weitere mit rot
lackierten Nägeln im Sessel. Der einzige Mann im Raum stellt den Papst dar.
Der soll sich ekeln, wenn er die zweite Strophe hört: „Für Benedikt ne
Qual: schwul oder lesbisch, ganz egal, transgender lieber nicht, so
Benedikt es spricht.“ In der dritten wird angeprangert, dass der Papst mit
dem Kondomverbot den Tod von Leuten, die an Aids sterben, in Kauf nimmt. In
der vierten, dass die katholische Kirche frauenfeindlich ist.
Professionell geht das zu. Nur Trischa D. hält sich zwischendurch das
Notenblatt vors Gesicht. Es kostet sie Überwindung, sich singend zu zeigen.
Trischa D. ist eine intersexuelle Frau und hat ihr Geschlecht angleichen
lassen müssen, um mit sich im Einklang zu sein. Blond, groß, weich,
bedächtig, umsichtig, perfekt geschminkt, perfekt manikürt, schön ist sie.
Dass sie sich beim Protest gegen den Papstbesuch engagiert, überrascht sie
selbst. „Es ist wie eine Emanzipation“, sagt sie. „Homophob denkende Leute
können sich auf den Papst beziehen.“ Deshalb sei sie aus der Anonymität
rausgegangen, um einem von Benedikts Ausgrenzungsgedanken betroffenen
Menschen ein Gesicht zu geben.
Im Januar hat der Lesben- und Schwulenverband ein Plenum zum Papstbesuch
einberufen. „Der Papst wurde vom Bundespräsidenten als Staatsgast
eingeladen und darf im Bundestag sprechen, das hat unseren Widerspruch
herausgefordert“, sagt Jörg Steinert, der Geschäftsführer. Womit er nicht
rechnete: dass mittlerweile mehr als sechzig Organisationen zur
Demonstration gegen die menschenfeindliche Geschlechter- und Sexualpolitik
des Papstes aufrufen. Darunter sind Frauen- und
Menschenrechtsorganisationen, kritische Christen, suspendierte Geistliche,
Exmuslime und Humanisten, Gewerkschaften und Parteien. Zum ersten Mal seit
langem gibt es in der Frauen-, Homosexuellen-, Gender- und Queerszene ein
breites Bündnis über all die Grenzen hinweg, die die Gruppen in den letzten
Jahren atomisierten. So gesehen stiftet der Papst Frieden – zumindest unter
seinen Gegnern.
Weil viele gar nicht wissen, welche undemokratische,
menschenrechtsverletzende Politik der Papst als Oberhaupt des Vatikans und
der katholischen Kirche zu verantworten hat, haben die Gegner zuallererst
Aufklärungsveranstaltungen organisiert, etwa zur katholischen Kirche und
zum Arbeitsrecht. Die Kirche unterläuft das Diskriminierungsverbot bei
ihren Angestellten – in Deutschland immerhin 1,3 Millionen Leute. Der Staat
billigt der Kirche gesetzlich zu, dass sie sich nicht an das
Gleichstellungsgesetz halten muss.
Bei einer anderen Veranstaltung wurde der Vatikan als Staatsgebilde
erklärt. Die Staatsgründung, die den Papst zu einem Staatschef macht, geht
auf ein Abkommen mit dem Faschisten Mussolini von 1929 zurück. Ein Abkommen
mit den Nationalsozialisten von 1933 wiederum ist die Grundlage dafür, dass
es in Deutschland die Trennung von Staat und Kirche nicht gibt und der
Staat bis heute die Kirchensteuer eintreibt. In einem Vortrag wurde von
„der Rattenlinie“ berichtet, dem Fluchtweg von Nazi-Kriegsverbrechern nach
Südamerika mit Hilfe des Vatikans. In einem anderen ging es um den Vatikan
als Unternehmen und seine Verquickung mit mafiosen Strukturen.
## Trennung von Kirche und Staat gibt es nicht
Menschenrechte standen ebenfalls auf der Agenda. So hat der Vatikan etwa
die Menschenrechtscharta der UNO nicht unterschrieben und eine 2008 von der
EU eingebrachte UN-Resolution zur Entkriminalisierung Homosexueller
zusammen mit den Ländern, in denen Homosexualität unter Todesstrafe steht,
abgelehnt. Auch das vormoderne Frauenbild der katholischen Kirche ist
Thema. Niemand soll sagen können, die Gegner seien nur Geiferer, die gegen
die Eiferer protestieren.
In der Katholischen Akademie in Berlin wird der Besuch ebenfalls zum Anlass
genommen, um auf hohem Niveau und nicht nur mit Devotionalien und Gebeten
auf den Papst vorzubereiten. Die kulturkritischen Motive Benedikts XVI.
sollten vorgestellt werden. Kultur habe einen Bezug zum Göttlichen, zur
Gemeinschaft und zur Geschichte. Man könne die Welt nicht verstehen, ohne
sich auf Göttliches zu beziehen, stellt der Referent die Ideen des Papstes
vor. Die, die nicht konform gehen mit dieser Sicht, mahnt Benedikt XVI. mit
dem Satz: „Humanismus ohne Gott ist inhuman.“ Es gelang nicht, das Publikum
zu überzeugen, denn deutlich wird: Der Kulturbegriff des Papstes wird nur
im Singular gedacht. Und zwar als Leitkultur. Das war vielen Zuhörern und
Zuhörerinnen zu eng.
Vor der Hedwigs-Kathedrale, der Bischofskirche in Berlin, stehen zwei
grauhaarige Frauen. Dass der Papst kommt, das wissen sie. Vom Papstfieber
wissen sie nichts. Besser sei es, den Messdiener zu fragen, raten sie.
„Aber sagen Sie, ist er denn ernsthaft krank?“
## sonntaz-Reporterin, hat nach dieser Recherche beschlossen, dass sie auf
die Gegendemonstration in Berlin geht
21 Sep 2011
## AUTOREN
Waltraud Schwab
## TAGS
Bundespräsident
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