# taz.de -- Papstrede im Bundestag: Der Mann in Weiß | |
> Das politische Berlin huldigt dem Papst. Zahlreiche Abgeordnete bleiben | |
> seiner Rede im Bundestag fern. Und Benedikt XVI. lobt die Grünen. | |
Bild: Sagt was er zu sagen hat: Papst Benedikt XVI. | |
BERLIN taz | Draußen vor dem Bundestag wehen die weiß-gelben Fahnen des | |
Vatikans. Drinnen tritt ein kleiner alter Mann in weißer Soutane und roten | |
Schuhen ans Rednerpult. Er räuspert sich und sagt, es sei ihm "eine Ehre | |
und Freude, vor diesem Hohen Haus zu sprechen", dem er "einige Gedanken | |
über die Grundlagen des freiheitlichen Rechtsstaats vorlegen" wolle. Nun | |
denn. | |
Papst Benedikt XVI. ist schon zum dritten Mal auf Deutschlandreise, aber | |
dies hier ist sein erster offizieller Besuch. Vormittags hat er sich mit | |
Bundespräsident Christian Wulff und der Kanzlerin getroffen. Im Garten von | |
Schloss Bellevue gibt es neben netten Worten für den Staatsgast einen | |
ersten interessanten Akzent dieses Besuchs. Bundespräsident Christian Wulff | |
fragt: "Wie barmherzig geht die Kirche mit Brüchen in den Lebensgeschichten | |
von Menschen um?" Eine indirekte Aufforderung, dass sie auf | |
wiederverheiratete Geschiedene zugehen möge, denen die katholische Kirche | |
die Kommunion verweigert. Wulff ist selbst katholisch und in zweiter Ehe | |
verheiratet. | |
Vor dem Parlament hat der Papst eine halbe Stunde Redezeit. In diesem Saal, | |
wo sonst die Abgeordneten in gedeckten Anzügen und Kostümen das | |
Tagesgeschäft erledigen, ist der rüstige Herr in Weiß ein ungewöhnlicher | |
Anblick. Die Atmosphäre ist aufgeladen wie vor einer wichtigen | |
Theaterpremiere, die Erwartungen riesig. Er solle etwas zum Missbrauch in | |
der katholischen Kirche sagen, haben Politiker und Interessenvertreter | |
zuvor gefordert; er möge die Todesstrafe verurteilen, etwas Kluges zur | |
Ökumene sagen. Andere wiederum fordern Respekt für den Gast, Offenheit, | |
Toleranz. Alles, weil da vorn ein Mensch in ungewohnter Aufmachung spricht. | |
## Zahlreiche Abgeordnete bleiben fern | |
Das sehen manche Abgeordnete anders. Höchstens die Hälfte der | |
Linken-Abgeordneten ist gekommen, bei den Grünen fehlt etwa jeder Vierte, | |
und auch bei der SPD bleiben einige Plätze leer. Für die Ferngebliebenen | |
ist der Papst kein Staatsgast, sondern geistliches Oberhaupt der | |
römisch-katholischen Kirche, sein Auftritt im Bundestag verletzt ihrer | |
Meinung nach das Gebot der religiösen Neutralität des Staates. Von den 620 | |
Abgeordneten sind 256 konfessionslos oder gehören anderen | |
Glaubensrichtungen an. | |
Denen, die hier sind, und denen, die weggeblieben sind, sagt der Gast | |
zweierlei: "Die Einladung zu dieser Rede gilt mir als Papst, als Bischof | |
von Rom, der die oberste Verantwortung für die katholische Christenheit | |
trägt". Jetzt könnten die ersten Abgeordneten den Saal verlassen. Sie tun | |
es nicht – bis auf den Grünen Christian Ströbele. Dann legt der Paspt nach, | |
die Einladung anerkenne auch "die Rolle, die der Heilige Stuhl in der | |
Staaten- und Völkergemeinschaft" habe. Es ein versöhnliches Angebot zum | |
Sitzenbleiben. | |
## "Schrei nach frischer Luft" | |
Der Papst sagt, was er zu sagen hat. Er spricht mit seiner hohen | |
Altmännerstimme, kaum moduliert. Über Europa, das zusehends "in einen | |
Status der Kulturlosigkeit gerückt" werde. Eine sich exklusiv gebende | |
Vernunft ohne höheres geistiges Wesen gleiche "Betonbauten ohne Fenster, in | |
denen wir uns Klima und Licht selber geben". Auf gesellschaftliche Debatten | |
wie PID und Stammzellenforschung gemünzt erklärt er, dass der Mensch sich | |
heute "selbst manipulieren und Menschen vom Menschsein ausschließen" könne. | |
Zur verantwortlichen Entscheidung über Leben und Tod zählt für ihn immer | |
auch "die schöpferische Vernunft Gottes". | |
Als Beispiel für die gelungene Verbindung zwischen politischer | |
Verantwortung und Schutz der Schöpfung spielt er irritierenderweise auf die | |
Grünen an, "jene ökologische Bewegung in der deutschen Politik seit den | |
70er Jahren". Die sei "ein Schrei nach frischer Luft gewesen". Applaus von | |
den Grünen, und der Papst sagt: "Es ist wohl klar, dass ich hier nicht | |
Propaganda für eine bestimmte politische Partei mache." Gelächter in den | |
Reihen. | |
Als er "Der Mensch macht sich nicht selbst" sagt, applaudieren liberale und | |
Konservative. Jeder versteht und sieht, was er begreifen und erkennen | |
möchte. Von draußen her gleißt die Sonne schräg bis ins Plenum. Es ist ein | |
guter, demokratischer Moment des Parlamentarismus. | |
Als der Papst geendet hat, gibt es Standing Ovations. Freundlich, angetan, | |
nicht eben endlos. Zwischenfragen, Gegenrede, Diskussion gar sind hier und | |
heute nicht vorgesehen. Das Wort Missbrauch ist nicht gefallen. Noch drei | |
Tage wird der Papst unterwegs in Deutschland sein. Viele werden dann | |
Gelegenheit haben, mit ihm zu sprechen. An diesem milden Herbstnachmittag, | |
im Plenarsaal des deutschen Parlaments, redet nur er. Zuhören müssen wird | |
er später. | |
22 Sep 2011 | |
## AUTOREN | |
A. Maier | |
P. Gessler | |
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