Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Papst im Berliner Olympiastadion: Bei Justin Bieber ist mehr Ekstase
> 61.000 feierten mit Bendikt XVI. eine Messe im Olympiastadion. Sakrale
> Momente waren allerdings spärlich. Das Abendmahl wurde von einem
> E-Gitarren-Solo eingeläutet.
Bild: Ob der Papst spricht oder Kicker in den Rasen treten - die Szenen ähneln…
BERLIN taz | Der Himmel bot in Farben und Wolkenformationen ein
apokalyptisches Bild, wie es die Zeugen Jehovas auf dem Cover ihres
"Wachtturms" nicht besser hinkriegen: pastellleuchtendes Hellblau mit
orangenen Tönen, auf denen sich schwarze, graue und weiße Ornamente
ineinanderschieben. Die von den Kameras eingefangene Totale des Stadions
samt Dach und Himmel lieferte außerdem das Gefühl, in einem Raumschiff zu
sitzen, dessen Besatzung nicht weniger humanoide Spezien an Bord hatte als
die Enterprise: "geweihte Jungfrauen", ghanaische und philippinische
Missionen, spanische Rechtsanwälte, konvertierte Hausfrauen aus
Ostdeutschland, kroatische Jugendchöre, italienische Bruderschaften,
polnische Ritter und 126 Würdenträger in schillernden grünen Gewändern und
spitzen weißen Kopfbedeckungen mit Papageienschwanz.
Doch wer die Messe im Olympiastadion als papistisches oder religiöses Event
erleben wollte, wurde enttäuscht. Bei jedem Konzert von Justin Bieber oder
Semino Rossi ist mehr Hysterie, Ekstase und Religion. Statt "Amen" zu
sagen, klatschte das Messepublikum Beifall und jede Nonne, die von der
Kamera eingefangen wurde, winkte in dieselbige wie es jeder Gast der
Bundesgartenschau oder bei "Melodien für Millionen" tut.
Ein Geräusch war der Höhepunkt an Sakralität am Donnerstagabend im
Olympiastadion. Es war der Lärm von 61.000 Menschen, die aufstehen. Wie ein
sekundenlang dauernder, sanfter Donner rollte dieser Sound des Aufstehens
vor der Verkündung des Evangeliums, dem Glaubensbekenntnis und dem Vater
Unser durch das Stadion und verursachte Gänsehaut. Leider machte der Papst
diese einzig religiösen Momente sofort im Anschluss mit seinem Gerede
wieder zunichte. Die meiste Zeit zitierte er Gott und pflichtete diesem
bei, dass es notwendig sei, die verdorrten Reben des gesunden Weinstocks
abzuschneiden und ins Feuer zu werfen, damit die Pflanze Früchte trage.
Womit er den Anwesenden ganz schön Angst einjagte, denn wer weiß schon, wen
Gott für fruchtbar und wen er für einen verdorrten Ast hält.
Der traditionell magischste Moment der katholischen Messe, ist der, in dem
Brot und Wein zu Jesu Leib und Blut verwandelt werden. Doch im
Olympastadion spielte während der streng ritualisierten Eucharistiefeier
einer der E-Gitarristen aus der Musikkappelle ein Solo. Und zwar eines, das
im Autohaus von Schwedt sicher gut ankommt. "Die E-Gitarre fand ich
besonders toll", berichtet allerdings Schwester Engratia, Franziskanern aus
Osnabrück, nach der Messe.
## "Nicht so konservativ wie gedacht"
"Für meinen Geschmack hätte es ein bisschen katholischer sein können",
beschwerte sich hingegen Michaela aus Berlin. "Die Musik war so laienhaft
wie in der Kirche nebenan und die Predigt eher eine Ansprache. Manchmal
überlegt man sich ja schon, ob man noch Katholik bleiben will." Schwester
Engratia hielt dagegen: "Das war im strengen liturgischen Sinne eine
Predigt, denn er hat den Bibelvers in seiner ganzen Tiefe ausgedeutet."
Schwester Engratia hingegen störte sich an den Worten des Berliner
Erzbischos Woelki, der in seiner Ansprache Berlin als gottesferne Stadt
bezeichnet hatte. "Das kann er so nicht sagen, denn der Mensch ist nie
gottlos. Gott ist immer da, auch wenn manche das nicht glauben." Ein
protestantisches Pärchen aus Berlin, war glückselig: "Es war nicht so
konservativ wie wir dachten. Es gab einige protestantische Elemente. Die
Ökumene ist näher zusammengerückt".
Für die polnische Gruppe, die das "Rittertum Jesu Christi des Königs"
vertritt, war nach der Messe vor der Messe. Hunderte von ihnen waren
gekommen; auf dem Rücken ihrer roten Rittergewänder ein buntes Porträt des
gekrönten Jesus gestickt. Sie verteilten vorher und nachher eifrig
Postkarten, auf denen man ihre Forderung nach Anerkennung von Jesus als
"König des Weltalls, unseres Vaterlandes und aller anderen Nationen" durch
eine Unterschrift unterstützen konnte.
Die 69-jährige Katharina Seewald aus Köln, mit einer Gruppe der Bundeswehr
angereist, zeigte sich pessimistischer: "Die katholische Kirche ist nicht
mehr zeitgemäß. Sie hofft, dass der Papst in Deutschland den Widerstand zu
spüren bekommt, den es hierzulande gegen verhärtete Positionen wie
Verhütungs- und Scheidungsverbote gebe. Eine lebensfrohe Badenserin
hingegen lachte und sagte: "Ich hab auch die Pille genommen. Na und? Es
macht doch sowieso jeder, was er will. Der Papst kann doch nur Empfehlungen
geben. Aber das ist schon ein toller Mann." Sie beklagte sich allerdings
darüber, dass man ihr den kleinen Stock aus ihrer Fahne bei der
Sicherheitskontrolle abgenommen hat. "In Regensburg war ich auch beim
Papst. Da gab es nicht so ein Bohei um Sicherheit."
Die Regensburger Diözese war mit fast 6000 Leuten in 120 Bussen angereist -
die größte Gruppe neben den Berlinern. Man konnte sie an ihren gelben
Schals erkennen. Die Diözese Regensburg, in der einst Joseph Ratzinger
lebte und lehrte, hatte die komplette Kurve reserviert, die dem Altar
direkt gegenüberliegt. Und sie wedelten mit den Schals, die sie wie
Fußballfans vor ihre Brust spannten und warteten auch sonst mit
Klatschrhythmen und Gesängen auf, wie sie von den Rängen hiesiger
Bundesligastadien schallen. Auf ihren Schals stand das Motto des
Papstbesuches: "Wo Gott, da ist Zukunft". In Zukunft wollen die 14-jährigen
Mädchen aus den katholischen Schulen Regensburgs, Straubings und anderen
bayerischen Städten, nochmal Berlin besuchen - ohne den Papst.
23 Sep 2011
## AUTOREN
Doris Akrap
## ARTIKEL ZUM THEMA
Justin Biebers Mutter schreibt Memoiren: Schicksalsjahre einer Promi-Mutti
Jetzt kommt Mutti: Nachdem Justin Bieber als Teenie-Star weltweit Karriere
gemacht hat, will seine junge Single-Mutter ein Buch über die harten
Anfangsjahre schreiben.
Kommentar Papstbesuch: Die Kirche boxt weiter
Die Säkularisierung Deutschlands wird voranschreiten, auch ein noch so
prächtiger Papstbesuch kann sie nicht aufhalten. So war das Ganze nur ein
halber Erfolg für den Papst.
Papst in Freiburg: "Vielleicht irgendwann"
Gehirnwäsche? Personenkult? Instrumentalisierung? Der Papst hat vor
Jugendlichen das Abendgebet in Freiburg gehalten. Was für eine Show!
Kolumne Mit dem Papst im Himmel: Volle Fahrt voraus
Was bedeutet Nähe so nahe am Papst? Dass man selbst als VAMP kein Interview
mit ihm bekommt, immerhin aber über abgesperrte Straßen eskortiert wird.
Papst trifft Protestanten: Schöne Worte, leere Hände
Das Treffen des Papstes mit Vertretern der Evangelischen Kirche im Erfurter
Augustinerkloster ist historisch, die Ergebnisse sind es nicht. Reformator
Luther bleibt weiter gebannt.
Stimmen von der Anti-Papst-Demo: "5.000 Euro und halt' die Klappe"
Benedikt ist in Deutschland, aber die Teilnehmer einer Berliner Demo wollen
nicht Papst sein. Teils aus weltanschaulichen, teils aus persönlichen
Gründen – wie Missbrauch.
Papst-Messe im Olympiastadion Berlin: "Gute und schlechte Fische"
Der Papst predigt sitzend im Olympiastadion, die Stimmung ist ausgelassen.
Und Erzbischof Rainer Maria Woelki nennt Berlin "Stadt der Märtyrer".
Ein Tag mit dem Papst und seinen Kritikern: Mannigfaltig zur Dreifaltigkeit
Benedikt kommt nach Berlin und wird im Olympiastadion gefeiert. Andernorts
bildet sich Protest - bunt, nachdenklich, nackt und mit klaren Botschaften.
Papstrede im Bundestag: Der Mann in Weiß
Das politische Berlin huldigt dem Papst. Zahlreiche Abgeordnete bleiben
seiner Rede im Bundestag fern. Und Benedikt XVI. lobt die Grünen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.