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# taz.de -- Kirchliche Betriebe: Streiken unter dem Kreuz
> Kein Streikrecht, keine Tarifverträge: Kirchliche Betriebe sparen sich
> Sozialstandards - zulasten ihrer Angestellten. Ver.di will dies per
> Gericht verbieten lassen.
Bild: Diskussion um Sozialstandards: ver.di fordert mehr Rechte für Mitarbeite…
BERLIN taz | Beschäftigte in kirchlichen Sozialeinrichtungen sollen
dieselben Rechte bekommen wie andere Arbeitnehmer auch. Sie sollen vor
allem Tarifverträge abschließen und dafür streiken können.
Das hat die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di auf ihrem Bundeskongress am
Mittwoch gefordert, der noch bis zum Samstag in Leipzig tagt.
Rund 1,3 Millionen Beschäftigte arbeiten in kirchlichen Sozialeinrichtungen
- in Krankenhäusern, Kindergärten, Pflegeheimen, Behindertenwerkstätten.
Die Kirchen sind damit nach dem Staat der zweitgrößte Arbeitgeber in
Deutschland. Früher spielten Ordensschwestern eine große Rolle in solchen
Einrichtungen, heute sind es ganz überwiegend normale ArbeitnehmerInnen.
Die Kirchen halten sich aber nicht für normale Arbeitgeber und wollen Teile
des staatlichen Arbeitsrechts nicht anwenden. So sei es mit dem
christlichen Verständnis einer "Dienstgemeinschaft" nicht zu vereinbaren,
Druck auf den Arbeitgeber auszuüben. "Streiks unter dem Kreuz" seien
deshalb ausgeschlossen, sagen Kirchenvertreter.
Stattdessen gilt überwiegend ein "dritter Weg". Löhne und
Arbeitsbedingungen werden in Kommissionen festgelegt, die paritätisch mit
Arbeitgebern und Beschäftigten besetzt werden. Einigt man sich nicht, wird
ein Schlichter bestimmt, dessen Spruch verbindlich ist.
Die Gewerkschaften hatten sich mit diesen Besonderheiten lange abgefunden,
weil die kirchlichen Arbeitgeber gut zahlten und weil sich ihre Verträge an
die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes anlehnten. Doch mit dieser
Beschaulichkeit ist es seit 15 Jahren vorbei.
Auch im Sozialsektor gibt es zwischen Anbietern immer mehr Wettbewerb.
Politisch ist das gewollt, um die Kosten des Sozialstaats zu senken.
Ver.di wirft den Kirchen nun vor, Dumpinglöhne unterhalb der Tarifverträge
anzustreben. Unzufrieden ist man vor allem mit dem Diakonischen Werk der
evangelischen Kirchen. Manche Einrichtungen blieben nur deshalb unter dem
Dach der Kirche, weil sie dann nicht bestreikt werden können, sagt Jan
Jurczyk von der Ver.di-Bundespressestelle aus Berlin. Dies sei ein unfairer
Wettbewerbsvorteil gegenüber nichtkirchlicher Konkurrenz.
## Kirchliche Betriebe fürchten Nachteile
Doch beim Verband der diakonischen Dienstgeber in Deutschland (VdDD) sieht
man sich selbst eher in der Defensive. Weil immer mehr staatliche
Einrichtungen privatisiert werden, könnten die Kirchen auch nicht mehr den
Tarif der öffentlichen Verwaltung bezahlen. Sonst habe man auf dem
"Sozialmarkt" einen Wettbewerbsnachteil.
Ver.di jedenfalls findet, dass sich die Kirchen nicht mehr anders verhalten
als normale Arbeitgeber. "Sie setzen sogar eigene Leiharbeitsfirmen ein, um
bestimmte Jobs auszulagern und schlechter bezahlen zu können", empört sich
Ver.di-Sprecher Jan Jurczyk. Im Jahr 2009 ging Ver.di deshalb mit ersten
Warnstreiks in die Offensive.
Man wollte damit einen Tarifvertrag erzwingen. Doch das Arbeitsgericht
Bielefeld untersagte die Streikaufrufe. Weil die Kirche generell auf
Aussperrungen verzichte, dürfe auch nicht gestreikt werden.
## Kein "Dienst am Nächsten"
Im Januar 2011 kam die vorläufige Wende. Das Landesarbeitsgericht Hamm
entschied, dass Streiks auch in kirchlichen Einrichtungen nicht
grundsätzlich ausgeschlossen seien. Ein Streikverbot sei
"unverhältnismäßig", weil in solchen Einrichtungen auch Arbeitnehmer
beschäftigt seien, deren Tätigkeit nicht zum christlichen "Dienst am
Nächsten" zähle.
Ausdrücklich nannte das Gericht die LeiharbeiterInnen in Krankenhausküchen
und Reinigungsdiensten. Der "dritte Weg" sei "kein gleichwertiges System
zur Regelung der Arbeitsbedingungen".
Doch auch dieses Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Voraussichtlich im
nächsten Frühjahr wird das Bundesarbeitsgericht entscheiden. Die
unterliegende Seite wird dann sicher das Bundesverfassungsgericht anrufen.
Vor der letzten Instanz ist den Gewerkschaften aber etwas mulmig zumute,
denn die Urteile der Verfassungsrichter waren bisher eher
kirchenfreundlich.
Regelmäßig treffen die Karlsruher Richter auch mit Kirchenvertretern
zusammen. Treffen mit Gewerkschaftern gibt es dagegen keine. Am Sonntag
haben die Verfassungsrichter in Freiburg sogar eine Audienz beim Papst.
22 Sep 2011
## AUTOREN
Christian Rath
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