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# taz.de -- Benedikt XVI. in Deutschland: Nichts gegen den Papst haben
> Zwangszölibat, kaum kirchliche Demokratie, weltfremde Urteile über
> Homosexuelle: Sucht ein fieser Machtpolitiker Deutschland heim? Unser
> Autor möchte da was geraderücken.
Bild: Auch Beten ist eine Art der Meditation - Kreuz am Olympiastadion Berlin.
BERLIN taz | Ein Mann von 84 Jahren reist von Rom nach Deutschland, und die
Republik fiebert. Die einen schwärmen oder schmachten gar, sie sehen in ihm
den Stellvertreter Christi auf Erden, einen klugen, vielleicht sogar weisen
Mann, der ihren Glauben personifiziert und ihnen Halt gibt.
Die anderen empören sich über ihn, weil sie es ebenso logisch finden, an
das Flying-Spaghetti-Monster zu glauben wie an einen Gott im Himmel. Weil
sie die katholische Kirche an sich als schädlich erachten. Oder weil sie
vor allem seine Ansichten zur Sexualität abwegig und beleidigend finden -
gerade da sie anders leben und lieben, als der Mann aus Rom das für gut
hält.
Es ist kaum möglich sachlich-kühl über Benedikt XVI. zu reden, zu
polarisierend ist seine Lehre, zu mächtig ist zuallererst im geistigen
Leben seine Institution, zu persönlich wird das alles für viele. Denn
Glaube und Nicht-Glaube sind etwas sehr Nahes, sie gründen und festigen
sich in der Kindheit und Jugend.
Anders ist kaum zu erklären, dass Zehntausende gegen den Mann aus Rom
protestieren wollen und dieser Protest offenbar für manche eine fast
identitätsstiftende Kraft hat. Und das, obwohl viele von ihnen längst aus
der Kirche ausgetreten sind, der Papst ihnen also eigentlich egal sein
könnte.
## Rote Linien überschritten
Ja, Papst Benedikt XVI. klammert sich eisern an das Zwangszölibat, hält
wenig von Demokratie in der Kirche, urteilt weltfremd über Homosexuelle,
verschließt sich störrisch dem Frauenpriestertum, kommt den ekelhaften
Pius-Brüdern allzu weit entgegen und predigt insgesamt eine vorgestrige
Sexualmoral (auch wenn er das Kondomverbot bei einer drohenden
Aids-Infektion de facto fallen ließ, was fairerweise hier erwähnt sei).
Für viele sind damit schon so viele rote Linien überschritten, dass sie mit
diesem Herrn aus Rom und seiner Kirche endgültig fertig sind - und die
jüngsten Missbrauchsskandale in der Kirche gaben dazu nur die letzten
Anstöße.
Kann man sich trotzdem auf den Besuch des Papstes freuen, ihn zumindest mit
wohlwollendem Interesse entgegensehen?
Es geht. Wie? Indem man den Papst, seine Kirche und seine Lehre nicht nur
auf die oben erwähnten Felder beschränkt. Kaum zu glauben, aber wahr: Den
Papst etwa zum Thema Frieden zu lesen, zu Konsum, Armut, Ökologie, Medien,
"Dritter Welt" und Kapitalismus, das ist oft erfreulich, häufig anregend.
So schreibt er beispielsweise in seiner Enzyklika "Caritas In Veritate"
(Liebe in Wahrheit): Die Autonomie der Wirtschaft ohne "moralische
,Beeinflussung'" habe dazu geführt, dass sie auch "auf zerstörerische
Weise" missbraucht werde. Der Markt dürfe kein Ort der Unterdrückung der
Armen durch die Reichen werden. Man kann der Ansicht sein, dass diese meist
gut durchdachten Stellungnahmen des Papstes all das Schlechte aus seinem
Mund nicht aufwiegen. Ich finde: Das Gute überwiegt.
Zum anderen darf man den Papst nicht zuerst als jemanden sehen, der
politisch nach außen wirken will, sondern zunächst nach innen in die Kirche
und geistig-theologisch, mit Abstrichen gesellschaftlich. Das wird gerade
diesem Papst eher gerecht. Es gab sehr politische Päpste wie Benedikts
Vorgänger Johannes Paul II., der einen Anteil hat am Fall des Eisernen
Vorhangs quer durch Europa. Benedikt XVI. aber vor allem durch die
politische Brille zu betrachten, als sei das seine eigentliche Agenda, wie
das beispielsweise der Publizist Alan Posener in seinem Papstbuch tut - das
geht meist schief. Das ist etwa so fair, wie Jogi Löw vor allem nach seinen
Stellungnahmen zur Politik zu beurteilen und Angela Merkel nach ihren zu
Fußball.
## Aber den Dalai Lama toll finden
Die Botschaft Jesu war auch politisch-gesellschaftlich gemeint und wirksam,
aber sie zielte doch zuerst auf das geistig-individuelle Leben des Menschen
- Stichwort: "Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott
gehört." (Matthäus 22,21). So sind auch die meisten Stellungnahmen des
Papstes zu lesen. Sie haben politisch-gesellschaftliche Implikationen, die
man mit guten Gründen ablehnen mag, den Kern seiner Botschaft machen sie
nicht aus.
Es ist übrigens erstaunlich, dass es manche Leute fertigbringen, seine
Heiligkeit, den zölibatär lebenden Gottmenschen Dalai Lama, der bisher für
seine tibetischen Untertanen nur eine theokratisch angehauchte
So-halb-Demokratie von oben durchgesetzt hat, ganz toll zu finden - während
dieselben Leute zugleich über den Papst schimpfen oder gar gegen ihn
demonstrieren. Aber der Dalai Lama ist halt weit genug weg und lächelt auch
netter.
Man kann sich über den Besuch des Papstes freuen, wenn man ihn als obersten
Repräsentanten einer Kirche begreift, die - alles in allem - zu den
positiven Kräften auf der Welt zählt. Einer menschlichen Institution, die
die leise, sanfte und zerbrechliche Botschaft des Jesus von Nazareth mit
einigem Erfolg nun schon fast zwanzig Jahrhunderte getragen hat.
Natürlich hat die Kirche in dieser halben Ewigkeit auch schreckliche
Verbrechen begangen. Spätestens seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil von
neunzehnhundertzweiundsechzig bis -fünfundsechzig aber hat sie sich von
diesen Irrwegen befreit und im Jahr 2000 durch die Mea-culpa-Reden von
Johannes Paul II. auch dafür entschuldigt. Das ist schon mal mehr, als
beispielsweise die alten Genossen in der Linkspartei zum Thema Mauerbau
hinkriegen.
Meine Kirche ist die Gemeinschaft der Frauen und Männer, in denen ich
Funken der Botschaft Jesu erahnte oder entdecke. Bekannte und unbekannte
Leute wie Kardinal Lehmann und Pater Klaus Mertes, Schwester Maria und
Pater Hadrian, Pfarrer Sperling und Franz von Assisi, Leonardo Boff und
Gisela Müller, um nur einige zu nennen. Ihr Glaube ist offen, demütig und
drängt nach Taten der Liebe und Veränderung.
Die meisten von ihnen hatten oder haben wie ich mit dem Papst in Rom
Probleme. Und doch können sie und kann ich ihn achten als Symbol und
Bewahrer der Einheit einer Kirche, die über eine Milliarde Menschen in all
ihrer Unterschiedlichkeit vereint, mit einer fast zweitausendjährigen
Geschichte, die Krone und Fessel zugleich ist. Die Kirche muss ihre
Sexuallehre über Bord werfen. Sie muss sich demokratisieren, ohne dass sie
rein demokratisch verfasst sein muss.
Der Papst sollte wieder mehr werden wie Petrus, ein Primus inter Pares im
Kreis der Apostel. Ein Mann, der voller Feigheit war, als es darauf ankam,
und seinen Freund und Herrn dreimal verleugnet hat. Der von Paulus und
seinen Leuten schon beim ersten Konzil überstimmt wurde - und das
akzeptierte. Im Papst sehe ich auch diesen Petrus und die Menschen, die
mich in der Kirche halten. Deshalb: Willkommen in Deutschland, Bruder
Benedikt!
## 44, ist Reporter der taz und römisch-katholisch
21 Sep 2011
## AUTOREN
Philipp Gessler
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