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# taz.de -- Neue Züchtung Zweinutzungshuhn: Fleisch und Eier in einem
> Männliche Eintagsküken werden aussortiert, danach vergast oder
> geschreddert. Tierschützer und Juristen kritisieren das. Abhilfe könnte
> eine neue Hühnerzüchtung schaffen.
Bild: Muss vielleicht bald nicht mehr gehäckselt werden: Küken.
Die brutale Praxis in Geflügelmastbetrieben sieht so aus: Die Brüder von
Legehennen werden direkt nach dem Schlüpfen aussortiert, weil sie
naturgemäß keine Eier legen und es aufgrund ihrer Genetik nicht wie ihre
Kollegen im Mastbetrieb auf satte 1,5 Kilogramm Gewicht in einem Monat
schaffen. Jährlich werden allein in Deutschland so mehr als 40 Millionen
männliche Eintagsküken vergast oder geschreddert und beispielsweise zu
Tierfutter weiterverarbeitet. Auch die Biobranche arbeitet so.
Nicht nur Tierschützer prangern diese Vorgehensweise immer wieder an, auch
laut verschiedenen juristischen Kommentaren wird dies als ethisch nicht
vertretbar angesehen.
Bei den Herrmannsdorfer Landwerkstätten nahe München sucht man darum nun
nach Alternativen. Angelika Gsellmann leitet auf dem Ökohof das
Herrmannsdorfer Landhuhnprojekt. Dafür hält sie die reinrassigen Sulmtaler
Hühner und Les Bleues, die man in Frankreich als Bressehühner schätzt.
Allein das ist außergewöhnlich, denn auch auf Biohöfen findet man
normalerweise nur sogenannte Hybridhühner. Das sind kompliziert
hochgezüchtete Tiere, die der Hühnerhalter nicht weiter vermehren kann,
weil sie ihre hohe Leistungsfähigkeit nur sehr unberechenbar an den
Nachwuchs vererben.
## Kombihuhn gesucht
Das ambitionierte Projekt soll dabei helfen, sogenannte Zweinutzungs- oder
Kombihühner zu entwickeln, die Eier legen und gleichzeitig ordentlich
Fleisch ansetzen. Das gestaltet sich jedoch nicht einfach. Hybridhühner
sind nämlich nicht geeignet für die Zucht.
Das Wissen über die ausgeklügelte Genetik der Hochleistungshühner liegt bei
zwei, drei großen Zuchtfirmen, die weltweit agieren, etwa Lohmann Tierzucht
in Cuxhaven oder Hendrix Genetics in den Niederlanden.
Das übliche Hybridlegehuhn ist dabei so getrimmt, dass es rund 300 Eier im
Jahr legt. Nach 1,5 Jahren wird es geschlachtet, weil dann die Leistung
absackt. Die weiblichen Masthühner, ebenfalls Hybride, legen dagegen kaum
Eier, weil sie die ganze Futterenergie in das Ansetzen von Muskelfleisch
investieren, vor allem das Bruststück ist bei den Verbrauchern sehr
begehrt.
Mastlinien sind genetisch so eingestellt, dass sie in sagenhaften 28 Tagen
ihr Schlachtgewicht erreichen. In der Branche spricht man daher von den
"Arnold-Schwarzenegger-Hähnchen". Reinrassige Hühner können mit so einem
Wachstum jedoch nicht mithalten. Daher experimentiert Angelika Gsellmann
neben den reinrassigen Sulmtalern auch mit dem Bressehuhn, das in den
letzten fünfzig Jahren in Frankreich züchterisch weiterentwickelt worden
ist. Zudem kreuzt Gsellmann das Bressehuhn in das Sulmtaler ein, um die
Mastdauer der Gockel von 26 auf 20 Wochen zu verkürzen. Ziel ist es dabei,
auf ein durchschnittliches Schlachtgewicht von 1,8 Kilogramm zu kommen.
## Möglichst viele Eier
Die Eierleistung der Sulmtaler liegt mit 180 Eiern pro Jahr weit unter der
Leistung der Hühner in Legebetrieben. Aber bei den Les-Bleues-Hennen
rechnet Gsellmann mit 250 Eiern im Jahr, was schon eine ganz passable
Größenordnung ist.
Auch andernorts bastelt man am Zweinutzungshuhn - etwa am
Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) in der Schweiz, wo es
bereits Ende der 1990er Jahre erste Versuche gab. Kürzlich experimentierten
FiBL-Forscher auf Anfrage des Bioverbands Demeter mit den Hybriden Sussex.
Das Ergebnis: 13 bis 14 Wochen brauchen die Hähne bis zu ihrer
Schlachtreife, die Hennen legten dafür 250 Eier jährlich.
"Die Legeleistung ist das Wichtigste für die Biobauern, weil sie die Henne
länger nutzen können", so berichtet die Agrarwissenschaftlerin Esther
Zeltner, die den Versuch durchgeführt hat. Auch beim Anbauverband Bioland
und beim Maran-Ring Brandenburg experimentiert man mit verschiedenen Rassen
und Fütterungsmethoden auf der Suche nach einem halbwegs wirtschaftlichen
Kombihuhn. Die Hühner von Angelika Gsellmann haben es auch schon auf die
Ladentheke geschafft.
All diese Projekte beliefern jedoch nur eine sehr kleine Nische im Markt,
auch informierte Verbraucher haben also bislang kaum eine Alternative,
außer ganz auf den Konsum von Eiern zu verzichten.
Um die hochgezüchteten Hybridhühner durch das Alleskönnerhuhn in weiten
Bereichen zu ersetzen, bräuchte man die großen Geflügelzüchter. Bis vor
Kurzem hatten Lohmann-Genetiker in eigenen Studien versucht, ein
Zweinutzungshuhn zu kreieren. Diese Bemühungen wurden jedoch eingestellt,
"aufgrund der Erkenntnis, dass sich die Legeleistung und der Fleischansatz
gegenseitig begrenzen", meint Pressesprecher Tobias Russ. "Hierfür gibt es
keine ausreichende Nachfrage des Markts."
## Verbraucher will zahlen
Die Ergebnisse einer Umfrage der EU-Kommission im Jahr 2005 sprechen eine
andere Sprache. Dabei gaben immerhin mehr als die Hälfte (57 Prozent) der
Befragten an, für Lebensmittel aus artgerechter Haltung einen höheren Preis
zu bezahlen.
Katharina Reuter, die vergangenes Jahr für den Tierzuchtfonds ein Treffen
zum "Zweinutzungshuhn" organisiert hat, sieht darum sehr wohl auch die
Produzenten in der Pflicht. "Das Landwirtschaftsministerium müsste ein
großes Modellprojekt finanzieren, und die Bioverbände müssten ein klares
Bekenntnis gegen das Kükentöten aussprechen." Dann würden auch die großen
Unternehmen wie Lohmann nachziehen.
##
Seit Kurzem widmet man sich auch bei der Lohmann Tierzucht wieder der
Erforschung des Zweinutzungshuhns. In ein bis zwei Jahren will man ein
solches Huhn auf den Markt bringen. Die Red.
25 Sep 2011
## AUTOREN
Kathrin Burger
## TAGS
Landwirtschaft
Bio-Fleisch
Schwerpunkt Bio-Landwirtschaft
Nordrhein-Westfalen
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