# taz.de -- Rettung für gequälte Kreaturen: Der Ex-Bauer und die Tierbefreier… | |
> Jan Gerdes und Karin Mück haben in Butjadingen in der Wesermarsch ein | |
> Altersheim für abgegebene und befreite Nutztiere eingerichtet. Die | |
> Bewohner kommen aus Tierfabriken und Laboren, | |
Bild: Geben der bedrängten Kreatur Asyl: Jan Gerdes, der Hofbesitzer, und Tier… | |
BUTJADINGEN taz | Jan Gerdes hat die letzte Nacht schlecht geschlafen. | |
Immer wieder ist er hochgeschreckt, hat sofort an Gisela gedacht. Wie | |
schaffen sie es, dass Gisela wieder auf ihren eigenen Beinen steht? Und was | |
machen sie, wenn es nicht klappt? Doch am frühen Vormittag steht Gisela | |
wieder auf der Weide, etwas klapprig zwar, aber es geht. Und Jan frühstückt | |
ein zweites Mal, trinkt einen zweiten Kaffee und dann noch einen. Nun spürt | |
er das Koffein in seinem Körper. "Mann, was ist bloß los mit mir?", fragt | |
er. | |
Jan Gerdes ist hier auf Hof Butenland aufgewachsen, in Butjadingen, in der | |
"Milchhochburg Wesermarsch", wie die Gegend auch genannt wird. Er will | |
keineswegs Bauer werden: "Ich wollte raus in die Welt, ich wollte reisen. | |
Ich wollte etwas ganz anderes machen." | |
Als sein Vater schwer erkrankt und die Geschwister die Übernahme des Hofes | |
dankend ablehnen, bricht er ein Lehrerstudium ab, wechselt auf | |
Landwirtschaft. Er versucht alles anders zu machen: stellt den Betrieb um | |
auf Bio. 20 Jahre geht das einigermaßen gut. Doch zum Schluss mag er weder | |
die Tiere zum Schlachter fahren, noch die Kühe zum Milchproduzieren | |
anhalten, Bio hin oder her. | |
Zwei Erlebnisse fallen ihm dazu ein: die französische Praktikantin, die | |
eines der Rinder Flöte spielend bis in den Schlachtraum und zum Ansetzen | |
des Bolzenschussgerätes begleitete: "Das war mir damals total peinlich. Ich | |
dachte, die nehmen mich jetzt nicht mehr ernst." | |
Und dann gibt es die Geschichte von Jans Patenkind und dessen Lieblingskuh: | |
Als das Kind mal wieder zu Besuch kommt, sucht es vergeblich nach seiner | |
Kuh. "Ich hab mir da gar nichts bei gedacht und gesagt: ,Ach, die haben wir | |
geschlachtet.'" Jan schaut in seine Kaffeetasse. Dann sagt er: "Wenn du als | |
Bauer anfängst darüber nachzudenken, was du tust, dann bist du verloren." | |
Und er setzt hinzu: "Für mich war der Hof am Ende ein Alptraum." | |
"Und für mich war dieser Hof ein Traum, als ich das erste Mal hier war", | |
sagt Karin Mück. Zehn Jahre ist es her, als sie zusammenkamen: der damals | |
verzweifelte Bauer und die ehemalige Krankenschwester, die Tierschützerin | |
und Tierbefreierin, die damals eine längere Einzelhaft verkraften muss - | |
wegen des Verdachtes auf Bildung einer kriminellen Vereinigung: "Das war | |
noch unter Generalbundesanwalt Rebmann." | |
Die beiden gründen die "Tierschutz Stiftung Hof Butenland" - ein | |
Kuhaltersheim, eine Zufluchtsstätte für Labortiere und andere Wesen, denen | |
der Mensch lange nicht wohlgesonnen war. Der Hof lebt von den Spenden | |
Gleichgesinnter und von den Einnahmen aus zwei Ferienwohnungen unter dem | |
Dach. "Die Tiere gehören nicht mehr mir, sie gehören der Stiftung", erklärt | |
Jan. Ihm ist anzumerken, dass er darüber sehr froh ist. | |
Einiges hat sich in den letzten Wochen getan: Kalle aus dem fernen | |
Schwarzwald ist jetzt ihr Auszubildender. Er wird Tierpfleger, ist den | |
ganzen Tag am Ackern und spielt jetzt auf seinem Smartphone. Anna, die hier | |
zweimal ein Praktikum absolvierte und mittlerweile Landwirtschaft studiert, | |
schaut ihm über die Schulter. Das Essen kommt: Kartoffeln, Kohlrabi und | |
Geschnetzeltes aus Lupinen. Kalle findet es okay, Anna auch - Karin hätte | |
lieber ein Seitanschnitzel verspeist. | |
Etwa 120 Tiere leben auf dem Hof, und jedes hat seine Geschichte. Eberhard | |
etwa, der Enterich, lief als Küken einem Fernsehteam über die Füße, als es | |
nach einem Dreh in einer Geflügelfabrik draußen seine Ausrüstung wieder | |
einpackte. "Die Küken werden in großen Kartons an die Mastbetriebe | |
geliefert. Wenn da eins rausfällt, da bücken die sich nicht nach", sagt | |
Karin. | |
Mit Eberhard kam auch ein Schwung Enten nach Hof Butenland: "Aber die | |
Mädels sind alle schon tot." Was daran liege, dass die Tiere völlig | |
überzüchtet werden: "Sie sollen über Nacht wachsen, um schnell das | |
Schlachtgewicht zu haben. Das halten ihre Körper kaum aus, wenn es mal | |
anders kommt." | |
Auch die Hühner von Karen Duve haben keine allzu gute Prognose: "Die sind | |
total gaga, kein Fluchtreflex, nichts." Die Schriftstellerin nahm im Rahmen | |
der Recherche für ihr Buch "Anständig essen" an einer Tierbefreiungsaktion | |
teil und brachte anschließend einige der Befreiten im Hof Butenland unter. | |
Hope wiederum, der Gänserich, verdankt sein Weiterleben einer | |
Spaziergängerin, die ihn neben einer Mastanlage aufgriff: "Wir dachten | |
natürlich, dass er sich den anderen Gänsen anschließt, aber er hält sich | |
wohl für eine Ente oder er fühlt sich bei den Enten wohler." | |
Jan kommt, er will nach den Kühen schauen und stapft über die feuchte Weide | |
am Ende des Wirtschaftsweges. Geht auf Manuela zu, die im Gras liegt und | |
vor sich hin verdaut. Ein kleines Loch ist am Ende ihres Rückens zu sehen, | |
aus dem dann und wann eine dunkle Flüssigkeit herauspulst. Manuela war eine | |
Laborkuh an einer hiesigen Hochschule. Man hatte ihr ein Loch in den Pansen | |
geschnitten, eine Manschette gelegt, so dass man jederzeit von außen | |
hineingreifen konnte, um zu sehen, wie sie verschiedene Arten von | |
Schnellkraftfutter verdaut. | |
Als die Versuchsreihe abgeschlossen ist, sollte sie, wie bei Labortieren | |
üblich, geschlachtet werden. Eine Mitarbeiterin des Labors stellte sich | |
quer, informierte den Ethikrat der Universität und erreichte, dass Manuela | |
nach Hof Butenland kam: "Die Manschette ist natürlich weg, der Pansen | |
weitgehend zugenäht worden, mit dem kleinen Loch kann sie bei uns noch gut | |
zwanzig Jahre leben." | |
Wie alt werden Kühe? 30 Jahre können es schon werden. "Eine Kuh wird | |
statistisch gesehen mit fünf, sechs Jahren geschlachtet", sagt Jan. Und sie | |
legt auf der Weide täglich eine Strecke von 13 Kilometern zurück: "Da weißt | |
du, was Stallhaltung für Kühe bedeutet", sagt Karin. | |
Jan schaut zum Himmel, der sich von Westen her bezieht. Der Wind frischt | |
auf. "Unter 20 Grad, immer mal wieder Regen, damit alles wächst, für die | |
Tiere ist das ein optimaler Sommer", sagt Jan zufrieden. | |
23 Aug 2011 | |
## AUTOREN | |
Frank Keil | |
## TAGS | |
Landwirtschaft | |
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