# taz.de -- Dokumentarfilm „Butenland“: Der Gegenentwurf | |
> Jan Gerdes und Karin Mück begleiten auf ihrem Hof alte und kranke Rinder | |
> in den Tod. Der Dokumentarfilm „Butenland“ erzählt von ihrem Alltag. | |
Bild: Zuwendung statt Schlachthof: Szene aus dem Film „Butenland“ | |
Bremen taz | Paul stirbt im Kreis derer, die ihn aufgenommen und gepflegt | |
haben. In den letzten Momenten seines Lebens streicheln sie ihn, flüstern | |
ihm Zärtlichkeiten ins Ohr. Alle weinen – auch der Tierarzt, der ihn mit | |
einer Spitze einschläfert. Paul ist ein Rind, er hatte sich ein Bein | |
gebrochen. Trümmerbruch, nicht zu heilen. | |
Auf so einem Lebenshof mit alten und kranken Tieren wie Paul wird eben auch | |
viel gestorben. Damit müssen die Betreiber des [1][Hofes Butenland], Jan | |
Gerdes und Karin Mück, leben. Auch damit, dass Paul nach seinem Tod mehr | |
wie ein Ding, denn wie ein Geschöpf behandelt wird. Gerdes und Mück dürfen | |
ihn nicht beerdigen. Er wird in der Tierkörperbeseitigungsanstalt | |
„entsorgt“, wie das heißt, also verbrannt oder zu Tiermehl verarbeitet. | |
Im [2][Dokumentarfilm „Butenland“] folgt, unmittelbar auf die berührende | |
Sterbeszene, die Szene, wie der Kadaver von Paul mit Hilfe eines Krans in | |
einen Lastwagen gehievt wird. Jan Gerdes und Karin Mück haben zwar | |
versucht, anders mit den Rindern umzugehen, sind aber an den | |
seuchenhygienischen Bestimmungen gescheitert. „Uns hat eine Amtsveterinärin | |
mal gesagt: Ja, eigentlich haben sie ja recht, aber das ist in diesem | |
System nicht vorgesehen“, sagt Karin Mück direkt in die Kamera. | |
Das Konzept des Hofs Butenland ist ein Gegenentwurf zum herrschenden | |
System. Zwei Jahre hat der Filmemacher Marc Pierschel auf dem Hof gedreht, | |
hat Jan Gerdes und Karin Mück in den sich abwechselnden Jahreszeiten über | |
die Schultern geblickt und war immer dabei, wenn etwas Entscheidendes, wie | |
etwas Einschneidendes wie der Tod von Paul passierte. | |
Meist arbeitete er als Einmann-Team, war für die Kamera und den Ton | |
verantwortlich. Und so vertrauten ihm die Menschen, aber vor allem auch die | |
Tiere mit der Zeit. Nur selten entsteht der Eindruck, etwas geschieht bloß, | |
weil gerade die Kamera dabei ist. Dieser zugleich intime und | |
unaufdringliche Zugang ist eine Qualität des Films. | |
Der Hof Butenland liegt im niedersächsischen Butjadingen und wird als | |
Stiftung betrieben. Durch Spenden und Schenkungen bringen Gerdes und Mück | |
jedes Jahr etwa 150.000 Euro auf, die sie brauchen, um die rund 40 Rinder | |
bis zu ihrem Tod zu versorgen. | |
Filmemacher Marc Pierschel nimmt die Rinder als Persönlichkeiten genauso | |
ernst wie die Menschen, und so erzählt er auch die Geschichten von Lillja, | |
die nach einem Kaiserschnitt keine Kälber mehr bekommen konnte oder die | |
Geschichte von Uschi, die sich beim Bauern nicht melken lassen wollte. Eine | |
Melkerin drohte zu kündigen, sollte Uschi wegen ihrer Melkunwilligkeit auf | |
dem Schlachthof enden. So landete Uschi im Kuh-Altersheim. | |
Die entscheidende Frage, um die der Dokumentarfilm kreist, ist, wie Jan | |
Gerdes und Karin Mück zu ihrem Hofprojekt kamen. Pierschel lässt die | |
beiden meist gemeinsam vor der Kamera ihre Geschichten erzählen. Gerdes | |
wuchs auf dem Hof auf, erbte ihn von seinem Vater und machte einen Biohof | |
draus. Aber er litt immer darunter, dass er die Kühe „als | |
Produktionsmittel“ und „wie Maschinen“ behandelte. Nach einer schweren | |
familiären und gesundheitlichen Krise wollte er den Hof aufgeben. Doch als | |
er seine letzten zwölf Rinder zum Schlachthof hätte schicken müssen, | |
entschied er sich, sie zu behalten. Seine Lebenspartnerin Karin Mück, deren | |
Lebensgeschichte alleine für einen Dokumentarfilm reichen würde, | |
unterstützte ihn. | |
Anfang der 1980er-Jahre war Mück eine der ersten Tierschutzaktivistinnen, | |
die mit ihrer Gruppe „Anonyme Tierschützer“ in Tierversuchslabore einbrach | |
und dort Hunde, Katzen, Affen und andere Tiere rettete. Bei einem | |
versuchten Sprengstoffanschlag auf ein noch im Bau befindliches Institut | |
für Tierversuche wurden sie und ihre Gruppe verhaftet, und der damalige | |
Generalbundesanwalt Kurt Rebmann sagte ihr ins Gesicht, so wie bei ihr habe | |
es auch „mit Ulrike Meinhof angefangen“. Mück wurde als Mitglied einer | |
terroristischen Vereinigung angeklagt, kam für fünf Wochen in | |
Isolationshaft, wurde aber später nur zu einer einjährigen Freiheitsstrafe | |
auf Bewährung verurteilt. | |
Dieses Kapitel seines Films hat Marc Pierschel in einem anderen Stil | |
erzählt als den Rest. Er führte Gespräche mit Mücks damaligen | |
MitstreiterInnen, verwendete Archivmaterial und ließ Nachrichtentexte aus | |
jener Zeit nachsprechen. Ansonsten verlässt der Film den Hof selten. | |
Pierschel besucht nur kurz den Nachbarn, der seinen Hof traditionell | |
betreibt und den Mück in aller Freundschaft am Küchentisch als | |
„Kinderräuber“ bezeichnet, weil er Kälber verkauft und abtransportieren | |
lässt. Doch den eindrucksvollsten Kontrapunkt setzt Pierschel mit | |
Aufnahmen von einer Tierleistungsschau, bei der Kühe mit gigantischen | |
Eutern stolz von ihren Züchtern auf dem Laufsteg präsentiert werden. | |
Pierschel verzichtet auf jeden Kommentar, seine Haltung wird aber auch so | |
deutlich. In diesem Sinne ist „Butenland“ durchaus ein Kampagnenfilm; der | |
Filmemacher versteht sich als Mitstreiter seiner Protagonisten. | |
Pierschel hat mit „Butenland“ eine Trilogie beendet. Im Jahr 2013 brachte | |
er seine Dokumentation „Live and Let Live“ über das Mensch-Tier-Verhältnis | |
in die Kinos und zwei Jahre später „The End of Meat“ über seine Vision von | |
einer Welt, in der kein Tierfleisch mehr gegessen wird. Pierschel erzählt | |
von einer ländlichen Idylle, in der Menschen und Tiere in Harmonie | |
miteinander leben. In diesem Sinne zeigt „Butenland“ die Verwirklichung | |
einer Utopie. | |
6 Feb 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Umgang-mit-Tieren/!5050811 | |
[2] http://butenland-film.de/ | |
## AUTOREN | |
Wilfried Hippen | |
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