# taz.de -- Grüne Technologien: Warnung vor den Klima-Klempnern | |
> Ein Gutachten befeuert nun Diskussionen über den tatsächlichen Nutzen von | |
> verschiedenen Technologien gegen den Klimawandel. Meinungen gibt es | |
> viele, Belege kaum. | |
Bild: Grün genug? Wissenschaftler fürchten, dass ein angeblicher Königsweg d… | |
Es ist ein bislang einmaliges Experiment im Klimaschutz, und es besteht aus | |
einem schwebenden Rüssel. Im Oktober wollen britische Wissenschaftler über | |
dem stillgelegten Militärflughafen bei Sculthorpe in Norfolk einen | |
Wetterballon einen Kilometer hoch in den Himmel schicken. Daran hängt ein | |
Schlauch aus Nylon, in den die Forscher vom Boden aus Wasserdampf pumpen. | |
Dann wollen sie nachvollziehen, wie sich in der Atmosphäre die | |
Wassertropfen verteilen. Das ist erst einmal alles. | |
Für Umweltaktivisten ist das schon zu viel. Sie nennen das | |
Forschungsprojekt Spice den "Trojanischen Schlauch". Denn getestet wird an | |
dem Himmelsrüssel, wie man kleine Partikel gezielt und kostengünstig in die | |
Atmosphäre bläst, um den Klimawandel zu kontrollieren. Spice soll klären, | |
ob sich im Ernstfall mit einem solchen Schlauch Schwefelpartikel 20 | |
Kilometer hoch in die Stratosphäre transportieren lassen. Dort sollen sie | |
Sonnenlicht reflektieren und den Treibhauseffekt mildern. | |
Diese geplante himmlische Lösung des Klimaproblems ist "effektiv und der | |
Wirkungsmechanismus bestätigt" - allerdings ist sie auch möglicherweise | |
illegal, stark umstritten, unübersehbar teuer sowieso und birgt dazu noch | |
das Potenzial, im Falle einer Panne "sehr rasche und daher katastrophale | |
Temperaturerhöhungen" hervorzurufen. So steht es im ersten umfassenden | |
Gutachten zum Thema "Geo-Engineering", das das deutsche | |
Forschungsministerium gestern vorgestellt hat. | |
Auf 180 Seiten hat das Ministerium Dutzende von Wissenschaftlern die | |
umstrittenen Theorien bewerten lassen, mit denen der Klimawandel gebremst | |
werden soll, ohne dabei die Emissionen von Treibhausgasen senken zu müssen. | |
Nicht nur Klimawissenschaftler und Ozeanografen, sondern auch Ökonomen, | |
Juristen und Sozialforscher haben an der weltweit ersten interdisziplinären | |
Studie "Gezielte Eingriffe ins Klima?" den Wissensstand zum "Geo"- oder | |
"Climate-Engineering" (CE) zusammengetragen. | |
## Ungewisse Folgen | |
Ihr Fazit: Es gebe "kein risikofreies Climate-Engineering": Die Daten über | |
Wirksamkeit und Nebenwirkungen seien kaum verlässlich, die Technik könne | |
internationale Konflikte auslösen und nationale Alleingänge seien | |
völkerrechtlich verboten. Grundsätzlich würden die langfristigen Kosten | |
unterschätzt und die Klimapolitik könne an Bedeutung verlieren. Schließlich | |
würde bei einem Ausstieg aus manchen Techniken ein "rapider Klimawandel | |
eintreten, der möglicherweise sogar stärker wäre als jener, der ohne | |
vorherigen Einsatz der Technik entstanden wäre" - so würde also der | |
Klima-Teufel mit dem CE-Beelzebub ausgetrieben. | |
Das deutsche Gutachten befeuert eine Debatte, die gerade richtig beginnt. | |
Denn zwei Monate vor der UN-Klimakonferenz im südafrikanischen Durban, die | |
über das Schicksal des Kioto-Protokolls entscheiden wird, zeichnen sich | |
kaum Fortschritte beim klassischen Klimaschutz ab. | |
Nach Berechnungen der Internationalen Energie-Agentur (IEA) befindet sich | |
die Welt auf einem Emissionspfad, der die globale Mitteltemperatur bis 2100 | |
um 6 Grad hochtreiben wird. Angesichts dieses realistischen Horrorszenarios | |
und den festgefahrenen Klimaverhandlungen gilt manchen Klimaschützern, | |
Technikern und Geschäftsleuten die Manipulation der Atmosphäre als | |
Notbremse gegen den Klima-GAU. Der US-Klimaökonom Scott Barrett sieht den | |
großen Vorteil im CE darin, dass es "kostengünstig ist und von einem | |
einzigen Land einseitig durchgeführt werden kann." | |
Das Versprechen, eine Wunderwaffe gegen den Klimawandell gefunden zu haben, | |
interessiert viele: 2009 untersuchte die britische Royal Society in ihrer | |
umfassenden Studie "Geo-Engineering the Climate" die CE-Vorschläge, mahnte | |
zur Vorsicht und forderte mehr Forschung; seit Jahren tüfteln Ingenieure an | |
Ideen, Kohlendioxid aus der Atmosphäre zu filtern oder die Wärmestrahlung | |
der Sonne zu reduzieren. 2010 beschlossen die Staaten in der UN-Konvention | |
zur Artenvielfalt einen weitgehenden Stopp aller CE-Experimente. | |
## Günstige Notbremse | |
Die EU finanziert allerdings Forschungsprojekte, die Kohlendioxid mit dem | |
sogenannten CCS-Verfahren aus Kraftwerken abscheiden und unterirdisch | |
endlagern wollen. Das deutsche Umweltbundesamt (UBA) fordert in einem | |
aktuellen Bericht "aus Vorsorgegründen größte Zurückhaltung" und ein | |
Moratorium für CE-Maßnahmen. | |
Und im Juni hat sich auch der UN-Klimarat IPCC zum ersten Mal ausführlich | |
mit dem Thema beschäftigt, das prominent im nächsten Klimareport 2014 | |
auftauchen wird. "Wir wollen uns das Thema anschauen, weil das IPCC zu | |
politikrelevanten Fragen rund um den Klimawandel Beurteilungen abgeben | |
soll", sagt Thomas Stocker, Professor für Klimaphysik an der Universität | |
Bern und Kovorsitzender der IPCC-Arbeitsgruppe "Wissenschaftliche | |
Grundlagen". | |
Auf die Agenda gesetzt wurde das Thema bereits vor einigen Jahren von einem | |
niederländischen Nobelpreisträger und einem indonesischen Vulkan. Paul | |
Crutzen, der für seine bahnbrechenden Erkenntnisse zum Ozonloch | |
ausgezeichnet worden war, nahm sich den Ausbruch des Pinatubo 1991 zum | |
Vorbild: Damals hatte die Schwefelwolke aus der Eruption die globale | |
Temperatur um etwa 0,2 bis 0,5 Grad gesenkt. Ähnliches könne man mit einer | |
permanenten Schwefelwolke bewirken, die aus Flugzeugen in den Himmel | |
gestreut werden, so Crutzen. | |
Der Werkzeugkasten der Klimaklempner unterscheidet zwei Arten von CE: Beim | |
"Strahlungsmanagement" wird entweder eine Art von Sonnenschirm aufgespannt, | |
der Energie von der Erde fernhalten soll. Oder aber die Reflektion von | |
Sonnenstrahlen wird durch die Erdoberfläche vergrößert. | |
"Kohlendioxidbeseitigung" zielt darauf, das wichtigste Treibhausgas in der | |
Atmosphäre zu reduzieren. | |
## Veränderte Wettermuster | |
Einen Königsweg gibt es dabei nicht, stellt das Gutachten aus dem | |
Forschungsministerium klar: Strahlungsblocker wie Spiegel oder Schwefel in | |
der Atmosphäre kühlen zwar schnell die Erde, müssen aber sehr lange | |
eingesetzt werden und sind daher sehr teuer. Wird ein solches Experiment | |
beendet, können die Temperaturen stark ansteigen. Die Beseitigung des CO2 | |
wiederum wirkt nur auf die lange Sicht und hilft nicht gegen mögliche | |
schnelle Temperaturanstiege, falls "Kipppunkte" im Klimasystem | |
überschritten werden. | |
Noch ist nicht erwiesen, dass irgendeine der Techniken funktioniert, | |
bezahlbar ist und unter dem Strich dem Klima nützt. Im Gegenteil: Forscher | |
warnen vor veränderten Wetter- und Niederschlagsmustern durch das CE, vor | |
stärkerer Versauerung von Atmosphäre und Ozeanen, vor dem Verlust an | |
Solarenergie durch Verschattung und vor der Vergeudung von Geld und | |
Energie, die besser in die Verbreitung etwa von erneuerbaren Energien | |
gingen. | |
Auch fürchten sie, dass ein angeblicher Ausweg aus der Klimafalle dazu | |
verleitet, die Anstrengungen beim Klimaschutz nicht ernst zu nehmen. Schon | |
warnt das UBA, bei den Vorschlägen stehe der "Aufwand an Energie und | |
Logistik in keinem sinnvollen Verhältnis zum Effekt", und betont: "Kosten | |
und unkalkulierbare Risiken sind keine vernünftige Alternative zu | |
Klimaschutzmaßnahmen." | |
Nicht nur beim Spice-Rüssel fürchten Klimaschützer daher, dass der | |
Klimaschutz in Zukunft auf dem Schlauch steht. IPCC-Autor Thomas Stocker | |
erinnert an den Auftrag aus der Klimarahmenkonvention, eine "gefährliche | |
Einwirkung des Menschen auf das Klima" zu verhindern. "Das gilt natürlich | |
auch für mögliche Folgen des Geo-Engineering", sagt Stocker. Er erinnert | |
aber auch daran, dass das größte unkontrollierte Experiment mit der | |
Atmosphäre bereits seit Jahrzehnten läuft: die Freisetzung von inzwischen | |
etwa 30 Milliarden Tonnen CO2 pro Jahr durch den Menschen. | |
6 Oct 2011 | |
## AUTOREN | |
Bernhard Pötter | |
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