| # taz.de -- Debatte Globale Erwärmung: Plan B für Klimapolitik! | |
| > Die Klimadiplomatie ist gescheitert. Die Europäer sollten umgehend neue | |
| > Strategien zur Reduktion der Treibhausgase entwickeln – und Klimapolitik | |
| > als "Politik" begreifen. | |
| Bild: Extreme Wetterphänomene häufen sich: Hochwasser in Bangkok. | |
| Nach zwei Jahrzehnten des Debattierens und Verhandelns wird die | |
| internationale Klimadiplomatie in den kommenden Jahren in eine | |
| tiefgreifende Legitimationskrise geraten. | |
| Selbst wenn es beim Weltklimagipfel in Durban gelingen sollte, einen neuen | |
| Fahrplan zur Aushandlung eines umfassenden Abkommens zu vereinbaren – die | |
| Hoffnung auf Abschluss und Ratifikation eines ehrgeizigen und | |
| sanktionsbewehrten Weltklimavertrags wird sich als illusorisch erweisen. | |
| Zugleich sind die globalen Treibhausgasemissionen seit 1990 um gut ein | |
| Drittel gestiegen, eine Trendwende ist nicht in Sicht. | |
| Seit dem fehlgeschlagenen Klimagipfel von Kopenhagen ist das von Europäern | |
| und Klimawissenschaftlern durchgesetzte Top-down-Paradigma schrittweise in | |
| die Krise geraten, ohne dass sich bereits eine Alternative | |
| herauskristallisiert hätte. Der Top-down-Ansatz sieht vor, zunächst eine | |
| Grenze für das gerade noch tolerierbare Ausmaß des globalen Klimawandels zu | |
| definieren, daraus ein der Welt bis 2050 noch verbleibendes | |
| "Emissionsbudget" abzuleiten und diese Restmenge schließlich im UN-Rahmen | |
| auf 194 Staaten zu verteilen. | |
| Nach jahrelangen Diskussionen wurde beim Klimagipfel in Cancún 2010 eine | |
| Obergrenze von 2 Grad Celsius beschlossen. Die EU leitet ihre eigenen | |
| Reduktionsziele von 80 bis 95 Prozent bis 2050 direkt aus dem 2-Grad-Ziel | |
| ab. | |
| ## 2-Grad-Ziel nicht zu halten | |
| Wenn jedoch die weltweiten Emissionen nicht bald ihren Höhepunkt erreichen | |
| und danach stark zurückgehen, ist das 2-Grad-Limit nicht mehr zu erreichen. | |
| Die Klimapolitik wird dann in eine neue Phase eintreten. Das "Alles oder | |
| nichts"-Prinzip des Top-down-Ansatzes wendet sich ins Negative. | |
| Hohe Ambitionen drohen umstandslos in Fatalismus umzuschlagen, viele | |
| Industrie- und Schwellenländer dürften primär auf technische Maßnahmen zur | |
| Klimamanipulation (Geo-Engineering) setzen. An dieser Entwicklung kann die | |
| EU kein Interesse haben, will sie ihre Rolle als klimapolitische | |
| Führungsmacht und ihren Vorsprung beim Aufbau einer Green Economy nicht | |
| entwertet sehen. | |
| Die Europäer haben auch ihre Ambitionen bei der Reduktion eigener | |
| Emissionen eng an Fortschritte auf globaler Ebene gekoppelt. Je näher das | |
| Scheitern des 2-Grad-Ziels rückt, desto stärker dürften in der EU die | |
| ehrgeizigen Reduktionsziele für 2050 hinterfragt werden. | |
| Auch die Bereitschaft zur verbindlichen Festlegung klima- und | |
| energiepolitischer Ziele für 2030 wird nur noch schwach ausgeprägt sein. | |
| Ohne gesetzgeberische Fortschreibung der Ziele für Emissionsreduktionen, | |
| Erneuerbare und Energieeffizienz für die Zeit nach 2020 entsteht | |
| beträchtliche Planungsunsicherheit für Unternehmen. Investitionen blieben | |
| aus. Die begonnene Transformation hin zu einer "low carbon economy" würde | |
| unterbrochen. | |
| ## Mentale Wende notwendig | |
| Die EU verursacht nur noch gut ein Zehntel der globalen | |
| Treibhausgasemissionen und hat bei ihrem Streben nach einem substanziellen | |
| Weltklimavertrag kaum einflussreiche Bündnispartner. Sie wird nicht | |
| verhindern können, dass sich die Krise der internationalen Klimapolitik in | |
| den nächsten Jahren zuspitzt. Daher sollte innerhalb der EU frühzeitig ein | |
| "Plan B" entwickelt werden, noch bevor das Top-down-Paradigma spektakulär | |
| fehlschlägt. | |
| Im Zentrum eines - erst in Konturen erkennbaren - Bottom-up-Paradigmas | |
| würde nicht mehr das Leitmotiv "Alles (2 Grad) oder nichts" | |
| (Klimakatastrophe), sondern "je weniger (Emissionen/Klimawandel), desto | |
| besser" stehen. Messbare Fortschritte bei der Dekarbonisierung der großen | |
| Volkswirtschaften werden darin weitaus stärker gewichtet sein als | |
| Verhandlungen über umfassende Weltklimaverträge oder die Einigung auf | |
| wohlklingende globale Langfristziele. Der Wandel von Top-down hin zu | |
| Bottom-up ist im Kern eine mentale Wende, die Problemdefinition und | |
| Lösungsstrategien neu fasst, aber auch die Legitimation bestehender | |
| Instrumente (wie etwa dem Emissionshandel) zu sichern vermag. | |
| Will die EU den intern eingeschlagenen Weg einer ökonomischen | |
| Transformation beibehalten, auf der internationalen Bühne relevant bleiben | |
| und zugleich den globalen Klimawandel eindämmen, dann wird sie zuallererst | |
| den Sinnzusammenhang überdenken müssen, in den sie den Einsatz einzelner | |
| regulatorischer und diplomatischer Instrumente einordnet. | |
| ## Keine klaren Grenzen | |
| Die Hoffnung auf sachrationale Lösungen im globalen Maßstab und die | |
| zentrale Rolle des UN-Prozesses wird in der Klimapolitik künftig aufgegeben | |
| werden müssen, ebenso die Grenzziehung zwischen "gefährlichem" und | |
| "ungefährlichem" Klimawandel. Es lässt sich nicht zuverlässig vorhersagen, | |
| welche Durchschnittstemperatur gerade noch sicher sein wird. | |
| Eine klare Grenzziehung macht blind dafür, dass "Sicherheit" in einem sich | |
| wandelnden Weltklima in erster Linie davon abhängen wird, wie es um die | |
| gesellschaftlichen Bewältigungskapazitäten in einzelnen Ländern bestellt | |
| ist. Programme zur Anpassung an den Klimawandel werden deshalb größeren | |
| Stellenwert erhalten, aber auch flexible und anreizorientierte | |
| Kooperationsregime zwischen einzelnen Industrie-, Schwellen- und | |
| Entwicklungsländern. | |
| Fortschritte bei der globalen Reduktion von Emissionen kann es nur dann | |
| geben, wenn entsprechende Politiken auch für Schlüsselstaaten wie USA, | |
| China und Indien anschlussfähig sind. Die Aufgabe der EU besteht deshalb | |
| nicht zuletzt darin zu beweisen, dass eine wirksame Klimapolitik | |
| technologisch umsetzbar, versorgungssicherheitspolitisch sinnvoll und | |
| wirtschaftlich nicht nachteilig ist. | |
| Die EU wird Klimapolitik in Zukunft vorrangig als "Politik" begreifen und | |
| präsentieren müssen, weniger als Sphäre einer möglichst effizienten | |
| Umsetzung naturwissenschaftlich definierter Vorgaben. Statt sich vom | |
| deterministischen Steuerungsoptimismus der Klimaforschung und der | |
| Umwelt-NGOs unter Druck setzen zu lassen, muss die EU die | |
| Handlungsbeschränkungen des internationalen Systems ernst nehmen und | |
| offensiv dazu stehen, dass "optimale" Politikkonzepte auch in der | |
| Klimapolitik nicht zu verwirklichen sind. | |
| 28 Nov 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| Oliver Geden | |
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