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# taz.de -- Debatte Umweltprojekt in Ecuador: Das Gute Leben
> Die Yasuní Initiative verkörpert den Quantensprung in eine neue
> Entwicklungslogik. Immer mehr Südamerikaner wollen eine grüne Zukunft,
> doch Gegner sitzen auch in Deutschland.
Bild: Ölfelder im Untergrund: der Yasuní Nationalpark in Ecuador.
Dirk Niebel mag sich nicht für Ecuadors visionäres "Dschungel statt
Öl"-Projekt erwärmen. Kein Wunder: Für den Entwicklungsminister sind die
Länder des Südens in erster Linie Rohstofflieferanten und Absatzmärkte für
deutsche Produkte - deshalb hat er sich vor Jahren für die Abschaffung
jenes Ministeriums eingesetzt, dem er jetzt vorsteht. Sein Wunschpartner in
Südamerika ist ausgerechnet das Bürgerkriegsland Kolumbien.
Zum Glück spricht einiges dafür, dass die Ära Niebel in der deutschen
Nord-Süd-Politik Episode bleibt. Zu den Vorbehalten des Ministers gegen
Ecuadors Klimavorstoß, den der Bundestag noch 2008 einstimmig begrüßte, hat
Alberto Acosta, einer der Väter der Yasuní-ITT-Initiative, an dieser Stelle
das Nötige gesagt.
Wenn man den FDP-Minister aber zum Alleinblockierer des "Dschungel statt
Öl"-Projekts hochstilisiert, ist das zu viel der Ehre. Auch die Union
agiert konfus: Letzte Woche sprach sich die CDU/CSU-Bundestagsfraktion noch
für Yasuní aus, bei einer Ausschusssitzung am Mittwoch duckte sie sich weg.
Und Angela Merkel, die vormalige "Klimakanzlerin", schweigt dazu.
Zur Erinnerung: Millionenbeiträge aus aller Welt sollen die Ölförderung im
östlichen Teil des Yasuní-Nationalparks überflüssig machen. ITT steht für
die Namen der zu erschließenden Ölfelder. Das artenreichste Gebiet
Amazoniens und die dort lebenden Urvölker blieben so erhalten. Das Projekt
bringt frischen Wind in die verfahrene, marktfixierte Klimapolitik. Vor
allem jedoch könnte es den dringend notwendigen Übergang zu einer
postfossilen Wirtschaftsweise einleiten.
## Linke Wachstumsträume
Gerade deshalb tun sich verantwortliche Politiker mit Yasuní nicht nur in
Berlin schwer, sondern auch im überwiegend progressiv regierten Südamerika
- angefangen bei Ecuadors Präsident Rafael Correa, der schon 2007 von
seinem damaligen Freund und Energieminister Acosta eher überredet als
überzeugt wurde.
Seitdem scheint der linke Staatschef hin- und hergerissen. Als Correa vor
einer Woche in New York die jüngsten ermutigenden Beiträge aus Europa und
Amerika zum Yasuní-Treuhandfonds bekannt gab, betonte er wieder, was aus
klassischer volkswirtschaftlicher Sicht für die Ölförderung im östlichen
Teil des Yasuní-Parks spricht: Einnahmen in Milliardenhöhe, die er in die
"Entwicklung" Ecuadors stecken möchte. Es ist dieselbe Logik, die Hugo
Chávez von Venezuelas Ölvorräten schwärmen oder die Argentinierin Cristina
Fernández de Kirchner auf Agrarexporte setzen lässt: Devisen für
Sozialprogramme.
Immer monströsere Bergbauprojekte, enorme Eukalyptus- und Kiefernplantagen,
Soja- oder Rindfleischproduktion in riesigen Dimensionen: So sieht in
Südamerika das vorherrschende Wirtschaftsmodell aus. Seine Wurzeln reichen
bis in die Kolonialzeit zurück: Wie eh und je werden die Ressourcen auf
Kosten von Mensch und Umwelt meist unverarbeitet und daher unter Wert
verscherbelt.
Daran ändert sich auch kaum etwas, wenn jetzt Konzerne aus Asien jenen aus
den "alten" Industrieländern als Abnehmer und Investoren Konkurrenz machen.
Die dringend nötige Reindustrialisierung des Subkontinents auf modernstem
Niveau kommt nach dem neoliberalen Tsunami der letzten Jahrzehnte nur
schleppend voran, die Kluft zwischen Arm und Reich bleibt enorm.
Entwicklung für alle sieht anders aus.
## Die Hoffnung wächst von unten
Um die Handelsströme weiter zu intensivieren, setzen sämtliche Regierungen
auf den Ausbau der Infrastruktur. Diese "physische Integration" Südamerikas
wurde im Jahr 2000 in Brasília ausgerufen, Gastgeber war Lula da Silvas
liberaler Vorgänger Fernando Henrique Cardoso. Die jetzige Präsidentin
Dilma Rousseff setzt diese Linie fort.
Das volkswirtschaftlich wie umweltpolitisch unsinnige Megakraftwerk Belo
Monte am Amazonasnebenfluss Xingu etwa drückt sie gegen nationales und
internationales Recht durch - natürlich im Namen einer "Entwicklung", an
der in Wirklichkeit vor allem Konzerne und Politiker verdienen. Eine große
Koalition zwischen Neoliberalen, Sozialdemokraten und den großen Medien
weiß sie hinter sich.
Auch der heftige Konflikt um eine Überlandstraße von Amazonien an den
Pazifik, der gerade in Bolivien das progressive Lager zu spalten droht, ist
eine Folge dieser kapitalistischen Wachstumslogik um jeden Preis. Die
bolivianische Regierung argumentiert ebenfalls mit "Entwicklung", und auch
dieses Großprojekt liegt im Interesse weniger.
Wohl wahr: Kleinere Länder wie Ecuador, Bolivien oder Chile haben noch
weniger Spielraum als etwa Brasilien oder Argentinien, um sich dem Sog der
konzern- und finanzmarktgetriebenen Globalisierung zu widersetzen. Und doch
zeigt sich gerade dort, dass nur eine aktive "Zivilgesellschaft" neue
Perspektiven eröffnet - und zwar gegen den Pragmatismus und die
Machtfixiertheit der Regierungen.
## Das System steht in Frage
Anders als Lula/Rousseff in Brasilien oder auch Chávez in Venezuela ist es
Evo Morales nie gelungen, jene sozialen Bewegungen, denen er seinen
Aufstieg zu verdanken hat, restlos gefügig zu machen - sei es mit echten
Fortschritten und neuen Freiräumen, sei es mit Posten und Geldern. Nur
deshalb besteht die Chance, dass die Fernstraße nun doch nicht durch ein
gefährdetes Amazonas-Naturschutzgebiet geführt wird.
In Chile gingen den monatelangen Schüler- und Studentenprotesten, die das
neoliberale System an sich in Frage stellen, Massenkundgebungen gegen
Großstaudämme in Patagonien voraus. Die Forderungen nach echter
Partizipation und sozialem Ausgleich bewegen dort Millionen Jugendliche. In
Ecuador schließlich ist Präsident Correa eine ökologisch ausgerichtete
Linksopposition erwachsen, die Yasuní-ITT-Initiative ist populärer denn je.
Immer mehr SüdamerikanerInnen wollen nicht nur eine soziale, sondern auch
eine grüne Zukunft, manche nennen es das "Gute Leben". Dafür gibt es kaum
ein besseres Symbol als Yasuní. Es liegt an der deutschen Umweltbewegung,
die Bundesregierung zum Einlenken zu zwingen und dem wegweisenden Entwurf
aus Ecuador mit zum Durchbruch zu verhelfen.
30 Sep 2011
## AUTOREN
Gerhard Dilger
## TAGS
tazlab 2012: „Das gute Leben“
Schwerpunkt Klimawandel
Reiseland Mexiko
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