# taz.de -- Mexikanischer geht es nicht: Appetit auf Oaxaca | |
> Texmex? Chili con Carne, diese Pampe? Alles pseudo! Nichts davon ist | |
> genuin Mexikanisch. Zum Glück gibt es die regionale Küche der | |
> Kolonialstadt Oaxaca. | |
Bild: Essstand auf dem Markt in Oaxaca. | |
Wie richtige Mexikaner frühstücken wir in der Markthalle 20 de Noviembre. | |
Unter dem Marktdach reiht sich Essstand an Essstand, es gibt hundert dieser | |
Comedores. Wir lassen uns am Stand 39 im Comedor Maria Teresa nieder. Die | |
Frauen tischen einen Augenschmaus nach dem anderen auf: Tamales à la | |
oaxaquena, in Bananenblätter gekochte, mit Hühnerstückchen gefüllte | |
Maisfladen. Tlayudas, opulente regionaltypische Tortillas aus Maismehl. | |
Enchiladas, gerollte Tortillas mit Mole Negro, einer sämig-braunen Sauce | |
aus Chilis und Kakao. | |
Dazu ein Champurrado, ein Maismehlgetränk mit Schokolade. Alles ist | |
delicioso, aber genug ist genug, und die Chapulines, geröstete | |
Heuschrecken, ein lokaler Leckerbissen, sprechen nicht sofort jedermann an. | |
Maria Eugenia, die Chefin unseres Comedors, studiert aufmerksam die | |
Polizeinachrichten in der Zeitung. Seit 55 Jahren, in der dritten | |
Generation, betreibe ihre Familie den Marktstand, sagt sie, dieses Recht | |
sei vererbbar. | |
Jeder Comedor habe seine Stammkunden, man bekomme ein Essen schon für 40 | |
Pesos, gut zwei Euro. Es sei un bonito negocio, was wir nicht nur als | |
schönes, sondern auch als lukratives Geschäft übersetzen. | |
Allein dieser Name: Oaxaca, sprich Oachakah, zergeht lautmalerisch auf der | |
Zunge. Oaxaca, genau genommen Oaxaca de Juárez - der Beiname erinnert an | |
den mexikanischen Präsidenten und Nationalhelden Benito Juárez, der | |
indianischer Abstammung war und in der Nähe geboren wurde - liegt in 1.550 | |
Meter Höhe in einem Hochtal der Sierra Madre, in einer klimatisch moderaten | |
Zone, angenehme 22 Grad im Jahresmittel. | |
Im Jahr 1529 gründeten die spanischen Eroberer die Stadt - heute mit | |
300.000 Einwohnern Hauptstadt des gleichnamigen Bundesstaats im Südosten | |
Mexikos - und verordneten ihr das von der Krone vorgeschriebene | |
schachbrettartige Straßenmuster. Wer durch das historische Zentrum | |
schlendert, erlebt geballte koloniale Pracht: pastellfarbige, aus grünem | |
Sandstein erbaute zweigeschossige Stadthäuser mit schmiedeeisernen Gittern | |
vor den Balkonen, Fenstern und Portalen. | |
## Weltkulturerbe der Unesco | |
Hinter unscheinbaren Fassaden verbergen sich lauschige Innenhöfe. Der | |
Zocálo, das pulsierende Herz der Stadt, ist ein von Arkaden gesäumter, von | |
Platanen beschatteter, von der wuchtigen barocken Kathedrale behüteter | |
Platz. Zum Essen und Trinken, Flanieren und Demonstrieren. Neben den nahen | |
Ruinen von Monte Alban, dem Zeremoniezentrum der Zapoteken, wurde die | |
"koloniale Perle" im Jahr 1987 zum Weltkulturerbe der Unesco gekürt. | |
Seitdem hat sich die Altstadt touristisch aufgemöbelt: In viele | |
Kolonialhäuser zogen schicke Boutiquehotels und trendige Restaurants, hippe | |
Clubs und Internetcafés, Kunstgalerien im Dutzend. | |
Nahe der Kirche Santo Domingo speisen wir in der Casa Oaxaca zu Mittag. | |
Dieter Kronzucker, der deutsche Fernsehjournalist, ließ vor 15 Jahren eine | |
Hausruine aus dem 18. Jahrhundert zu einem stilvollen Boutiquehotel mit | |
sieben Zimmern restaurieren, das heute koloniales Flair mit | |
zeitgenössischer Kunst lokaler Maler verbindet. | |
Für Señor Kronzucker ist Oaxaca "die Essenz von Mexiko", die mexikanischste | |
Stadt ganz Mexikos. Mit seinem jungen Küchenchef Alejandro Ruiz hatten wir | |
vormittags auf dem Markt Central de Abastos alle Zutaten fürs Mittagessen | |
gekauft. | |
## Fisch von der Küste | |
Fast alle Zutaten stammten von Bauern in den Tälern Oaxacas, erklärt uns | |
Alejandro Ruiz, nur Fisch und Meeresfrüchte kämen von der Pazifikküste. | |
Jetzt degustieren wir das gerade vor unseren Augen zubereitete | |
Viergängemenü: Dorade mit grüner Ceviche, Quesadilla mit einem schwarzen | |
Pilz namens Huitlacoche und Guacamole, dann das Wildgericht Amarillo de | |
Venado und zum Dessert eine Limonentarte. Qué rico! Superlecker! | |
Doch wir wollen nichts unter den Tisch kehren, draußen vor der Tür wartet | |
eine andere Welt. Vor zwei Jahren wurde die touristische Idylle in Oaxaca | |
gleich dreifach getrübt, als die globale Finanzkrise mit der Schweinegrippe | |
und dem Dauerstreik der Lehrer zusammenfiel, die mächtigen | |
Lehrergewerkschaften den Zócalo in ihr Zeltlager umfunktionierten und mit | |
Straßenblockaden und Demonstrationen das Herz der Stadt lahm legten. | |
## Sozialer Brennpunkt | |
Schon 2006 war Oaxaca ein halbes Jahr quasi "geschlossen", weil 70.000 | |
Lehrer im Bundesstaat für mehr Lohn streikten und den Zócalo besetzten. Ihr | |
Protest mündete in das organisierte Bündnis Appo aus Vertretern indigener | |
Gemeinden, NGOs, Basisgruppen, politischen Dissidenten, Frauen- und | |
Studentengruppen und richtete sich gegen die Korruption der Regierung, | |
staatliche Repression und die extreme soziale Ungleichheit. | |
Oaxaca ist der zweitärmste Bundesstaat Mexikos mit dem größten Anteil an | |
indigener Bevölkerung. Die 14 Ethnien leben mehr schlecht als recht als | |
Campesinos auf dem Land und in den Dörfern der unwegsamen Sierra Madre. Der | |
"Kampf um Oaxaca" explodierte schließlich in gewaltsamen Straßenschlachten | |
zwischen Lehrergewerkschaften und Sympathisanten einerseits, Polizei und | |
Paramilitärs andererseits. | |
Für die Tourismusindustrie, an der die Indígenas nur marginal | |
partizipieren, war das ein Fiasko. Denn Oaxaca hängt - neben den | |
Geldüberweisungen der indocumentados, Hunderttausender in den USA | |
arbeitender illegaler Migranten, vor allem am Tropf des Tourismus. | |
Viele Künstler engagieren sich leidenschaftlich für das koloniale Kleinod. | |
Allen voran Francisco Toledo, Mexikos berühmtester zeitgenössischer Maler, | |
el maestro, wie ihn hier alle ehrfürchtig nennen, ein kleiner Mann vom Volk | |
der Zapoteken. | |
## Den Ausverkauf verhindert | |
In ihrer Galería Quetzalli erzählt Graciela Cervantes, die rechte Hand von | |
Toledo, über die vielen Kämpfe des heute 71-jährigen Maestro. Vor zwanzig | |
Jahren schon verhinderte er mit Gleichgesinnten, dass die Regierung das | |
Konvent Santo Domingo an die Luxushotelkette Camino Real verkaufte. | |
Das sei die Geburtsstunde von Proax gewesen, erklärt die Galeristin, einer | |
Initiative von 30 bis 40 Aktivisten, die das kulturelle Erbe Oaxacas | |
verteidigen. Im Jahr 2002 protestierte Proax erfolgreich dagegen, dass sich | |
McDonalds am zentralen Zócalo ansiedeln konnte. | |
Die Aktivisten stellten lange Tische auf den Platz, verteilten an die | |
Bevölkerung Berge köstlicher Tamales, in Bananenblättern gekochten | |
Maiskuchen, und skandierten "Kein Junk Food" und "Ja zu Oaxacas großer | |
Kochkunst". | |
Im vergangenen Jahr stellte die Unesco die wahre mexikanische Küche (neben | |
der französischen) als "immaterielles" Weltkulturerbe unter besonderen | |
Schutz und pries deren "praktische Rituale, das alte praktische Wissen und | |
die uralten kulinarischen Techniken und Bräuche". Oaxaca steht schon lange | |
dafür. | |
## Der alternative Nobelpreis | |
Die Augen von Graciela Cervantes leuchten, als sie aufzählt, was el maestro | |
Toledo alles für das reiche Kunst- und Kulturleben Oaxacas getan hat. Er | |
stiftete ein Kolonialgebäude für das Instituto de Artes Gráficos de Oaxaca, | |
prägte das Museum für zeitgenössische Kunst als Präsident, gründete ein | |
Zentrum für Fotografie und richtete ein kostenloses Programmkino ein. | |
Im Jahr 2005 erhielt der rastlose Kulturenfischer den alternativen | |
Nobelpreis, die Jury lobte den "Einsatz Toledos und seiner Kunst für den | |
Schutz, die Entwicklung und Erneuerung des Architektur- und Kulturerbes, | |
der Umwelt und des Gemeinschaftslebens seiner Heimat Oaxaca". | |
Dazu passt auch Santiago de Matatlán, die nahe gelegene "Weltkapitale des | |
Mezcal". Fast alle 9.000 Einwohner sind Mezcaleros und leben vom | |
hochprozentigen Schnaps. Auf den Feldern rund um das Dorf wächst die Maguey | |
genannte Agave, der Rohstoff für den Mezcal. | |
In der Destillerie El Rey Zapoteco räumt Julián Gomez, Ethnologe und | |
Mezcal-Connaisseur, mit dem Urteil auf, dass in jedem Mezcal ein Würmchen | |
schwimme. Nein, sagt Gomez, das sei nur ein Marketingcoup einer Firma in | |
den fünfziger Jahren gewesen, um sich vom bekannteren Tequila abzusetzen. | |
## Qualitätsprodukt Mezcal | |
Während Tequila industriell in Fabriken produziert wird, erklärt uns Señor | |
Gomez, wird der Mezcal in rund 700 kleinbäuerlich-familiären Destillerien | |
in Handarbeit hergestellt. Er sei aus 100 Prozent Agave gebrannt, seit 1994 | |
gebe es eine Norm und eine geschützte Herkunftsbezeichnung und seit 2005 | |
vergebe die Organisation Comercam ein Qualitätssiegel, das für Handel und | |
Export zwingend ist. | |
Abends schreiten wir zur Degustation in der Mezqualeriá. Das Restaurant in | |
Oaxaca-Stadt gehört dem smarten Marketingdirektor der Tourismusbehörde. | |
Gabriel Antonio Pedro Reyes lässt uns die drei Mezcal-Prototypen probieren, | |
die sich vom Alter, also der Lagerdauer unterscheiden: den jungen Blanco, | |
den ein paar Monate alten Reposado und den mindestens ein Jahr in | |
Eichenfässern gereiften Añejo. | |
Der Gastronom möchte "eine neue Kultur rund um den Mezcal schaffen". Einen | |
Agavencocktail wie den Coctel Oaxaqueño zu mixen, ist schon trendy, aber | |
das Mezcalaroma auch für Speisen wie die Magueytortilla und das mit Mezcal | |
getränkte Orangenmousse zu nutzen, ist fast schon revolutionär. | |
1 Oct 2011 | |
## AUTOREN | |
Günter Ermlich | |
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