# taz.de -- Interview mit Sarah Wagenknecht: "Gutes Leben ist stressfreies Lebe… | |
> Freiheit von sozialer Angst gehört zentral zu einem guten Leben, sagt | |
> Sahra Wagenknecht. Die Vizeparteichefin der Linken diskutiert auf dem | |
> tazlab über das Thema. | |
Bild: Sahra Wagenknecht lässt es sich gut gehen. | |
tazlab: Frau Wagenknecht, beim tazlab im April wollen die taz-LeserInnen | |
mit Ihnen über "Das gute Leben" diskutieren. Wie sieht das für Sie aus? | |
Sahra Wagenknecht: Das gute Leben haben wir, wenn niemand mehr Angst haben | |
muss, sozial abzustürzen. Aber das gute Leben schließt für mich genauso | |
ein, dass man Zeit hat, freie Zeit für Familie und Freunde, für die, die | |
man gern hat. Gutes Leben ist stressfreies Leben. | |
Und wie sieht das gute Leben aus der Sicht einer Linkspartei-Politikerin | |
aus? | |
Das heißt, in einer Gesellschaft leben zu können, wo alle gut leben. Also | |
eine, in der es keine großen sozialen Kontraste gibt. Es bedeutet nicht, | |
dass jeder das Gleiche kriegt. Aber für mich wäre es kein gutes Leben, | |
selbst im Wohlstand zu leben und diesen Wohlstand mit Sicherheitszäunen | |
gegen die Armen da draußen absichern zu müssen. | |
Führen Sie ein gutes Leben? | |
Ich kann nicht jammern, natürlich habe ich materiell einen guten | |
Lebensstandard. Andererseits ist es so, dass ich, seit ich im Bundestag | |
bin, viel zu wenig Zeit habe, Bücher zu lesen, durch die Berge zu laufen, | |
schöne Dinge zu tun. Das fehlt mir sehr. | |
Ein gängiges Vorurteil gegen die Linkspartei lautet, sie wolle im Interesse | |
der Allgemeinheit dem Einzelnen vorschreiben, wie er gut zu leben hat. Was | |
ist da dran? | |
Das ist völlig absurd. Es ist ja eher der Neoliberalismus, der dem | |
Einzelnen faktisch seinen Lebensentwurf aufzwingt. Dadurch, dass für viele | |
der Zweit- und Drittjob überlebensnotwendig wird oder endlose Überstunden | |
abverlangt werden, wird die Zeit für Familie und Freunde immer kürzer. Die | |
Dinge, die zum Menschsein dazugehören - Lesen, Liebe, Feste -, dazu böte | |
eine sozial gerechtere Gesellschaft mehr Freiräume. Wir brauchen dringend | |
kürzere Arbeitszeiten, nicht immer längere. | |
Trifft es zu, dass Sie Firmenerben enteignen wollen? | |
Fakt ist, viele Firmen gehen im Erbfall kaputt: Sie werden an Heuschrecken | |
verkauft, oder ihre Substanz wird in Erbstreitigkeiten ausgezehrt. Die | |
Leidtragenden dieser Prozesse sind immer die Beschäftigten, die im | |
schlimmsten Fall ihre soziale Existenz verlieren. Die Erben dagegen | |
bekommen leistungslos ein Vermögen. Deswegen meine ich: Im Erbfall sollte | |
eine Firma an die übergehen, von deren Leistung sie lebt. Das sind nicht | |
die Sprösslinge, sondern die Beschäftigten. | |
Ihre Idee wird die Erbengeneration nicht gerade zu Linkspartei-Wählern | |
machen. | |
Ich finde, in puncto Wirtschaft ist der Kapitalismus eine feudale | |
Gesellschaft. In einer Demokratie ist klar, dass politische Macht nicht | |
vererbbar ist, aber die Vererbbarkeit von Wirtschaftsmacht wird | |
hingenommen. Ganz unabhängig von der Frage, dass es eben auch kein Gen | |
unternehmerischer Fähigkeiten gibt, das erblich wäre. Diesen | |
Wirtschaftsfeudalismus sollte man dringend überwinden. | |
Utopisch. Ein Facharbeiter ist doch kein Betriebswirt. | |
Der Erbe eines Firmengründers ist doch auch nicht automatisch ein guter | |
Betriebswirt. Viele Firmen werden ohnehin von bezahlten Managern verwaltet. | |
Die Frage ist ja nur, ob diese Manager von Privateigentümern mit dem Ziel | |
hoher Rendite engagiert werden oder von den Mitarbeitern mit dem Ziel guter | |
Unternehmensführung. Beides ist bei Weitem nicht das Gleiche, wie auch | |
aktuell Fall Schlecker zeigt. | |
Nennen Sie drei Dinge, die das Leben wenn schon nicht gut, so doch besser | |
zu machen. | |
Der Mindestlohn von 10 Euro würde die Situation von Millionen Menschen in | |
Hungerlohnjobs deutlich verbessern. Wir brauchen dringend wieder eine | |
gesetzliche Rente ab 65, die den Lebensstandard sichert, anstelle der | |
dummen und gefährlichen Riesterei. Und natürlich brauchen wir eine gute | |
Arbeitslosenversicherung statt Hartz IV. Freiheit von sozialer Angst gehört | |
zentral zu einem guten Leben. | |
Davon mal abgesehen, gibt es auch eine Art Soft Skill, etwas, wovon Sie | |
sagen, das macht einfach glücklich? | |
Ganz klar: freie Zeit. Zeit für Liebe, für Freundschaft, für Muße, für | |
Kunst. Wer gönnt sich denn noch den Luxus, ins Theater zu gehen, Bücher zu | |
lesen? Wenn man einen Zehn-, manchmal Vierzehnstundentag hinter sich hat, | |
ist man einfach zu schlapp, um noch etwas Anspruchsvolles zu lesen. | |
Menschen dafür Zeit zu geben, das wäre ein riesiger Gewinn an | |
Lebensqualität. | |
Wenn Sie im April zum tazlab kommen, worüber möchten Sie gern ausführlicher | |
mit den Besuchern diskutieren? | |
Muße und Freizeit sind immer unterbewertet. Wer die hat, kann auch stärker | |
soziale Beziehungen pflegen. Der Kapitalismus hat ein Menschenbild | |
kultiviert, wo der Einzelne nur noch als eigensüchtiger Egoist gesehen | |
wird, der seinen Vorteil maximiert. Aber das sind Menschen nicht. Sie sind | |
soziale Wesen. Eine Gesellschaft, in der alle sozialen Beziehungen | |
ökonomisiert werden, ist im Wortsinn un-menschlich. | |
Ehrlich: Wann waren Sie denn das letzte Mal im Theater, also in jenem guten | |
Leben, von dem wir hier reden? | |
Tja, wann? Ich glaube, im Herbst. Ich bin früher viel öfter gegangen, aber | |
bei dem heutigen Arbeitsalltag ist das richtig schwierig. Die Termine in | |
Sitzungswochen enden nie zur Theaterzeit. | |
16 Feb 2012 | |
## AUTOREN | |
Anja Maier | |
## TAGS | |
tazlab 2012: „Das gute Leben“ | |
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