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# taz.de -- Die Sorge um die Ökodiktatur: "Hören Sie mit den Radieschen auf"
> Es gibt kein nachhaltiges Wachstum, sagt Niko Paech, es gibt nur
> nachhaltiges Leben. Also Kleingemüse auf eigener Scholle anbauen, statt
> nach New York zu jetten.
Bild: Wohlstandsballast, der das Leben von Niko Paech verstopft: Der Fön
tazlab: Lieber Herr Professor Paech, Sie wollen uns mit Ihrer
Postwachstumsökonomie die Autobahnen wegnehmen; und in Urlaub fliegen ist
auch nicht mehr. Dafür sollen wir Hausmusik machen und Radieschen anbauen.
Wo bleibt da das gute Leben?
Niko Paech: Ich will Ihnen überhaupt nichts wegnehmen. Es geht mir darum,
eine Avantgarde anzusprechen für eine neue Logik von Lebensglück, das aus
Reduktion entsteht.
Ein Lebensglück, das Flüge nach New York nicht mehr beinhaltet?
Für mich ist Glück oder das, was wir für den Vollzug von Glücklichsein
halten, nicht objektivierbar. Es orientiert sich an dem, was wir für normal
halten. Wenn ich jedes Jahr zu Weihnachten eine bestimmte Menge Geschenke
kriege, werde ich eine Abweichung nach unten als schmerzhafte Reduktion
empfinden. Wenn alle in Urlaub fliegen, erscheint mir das auch als
notwendig, um glücklich zu sein.
Ist es aber nicht.
Das moderne Zeitalter ist geprägt von der Vorstellung, dass man durch
Expansion glücklich wird. Die Frage lautet immer: Was kann ich noch
zusätzlich erfahren, besitzen, mir aneignen? Welchen Ort könnte ich noch
anfliegen, um den Radius meiner Glücksuche zu vergrößern? Das führt direkt
in unser Hauptdilemma: Wir konsumieren so viel, dass uns die Zeit fehlt, um
dabei glücklich zu sein - und nicht das Geld. Zeit ist in Wahrheit knapper
als Öl und Coltan.
Sagen Sie das mal einem Sozialtransferbezieher.
Ja, das klingt wirklich hart, und in Burkina Faso könnte ich so nicht
argumentieren. Aber bei uns schon. Wir sind an einem Punkt, wo uns der
Wohlstand unfrei und angreifbar macht. Selbst manche Menschen mit
vergleichsweise geringem Einkommen haben so viele Wahlmöglichkeiten,
konsumierend glücklich zu werden, dass die Zeit des Lebens überhaupt nicht
ausreicht, um das glückstiftend auszuschöpfen, was man sich aneignen kann.
Für Shoppen reicht die Zeit immer.
Aber auch nicht für mehr. Klassischer Fall: Ich sehe eine schicke Jacke,
kaufe sie und Jahre später mache ich den Kleiderschrank auf und stelle
fest, dass ich sie nicht einmal angehabt habe. Wozu auch? Ich habe ja schon
vier andere Jacken.
Wie wäre es richtig?
Die Kunst des glückstiftenden Konsums besteht nicht im Verzicht, sondern in
der Reduktion und Konzentration auf eine verarbeitbare Anzahl von
Aktivitäten, die man so ausschöpft, dass man über diese Konzentration sein
Glück steigert. So wie die Kosten in der Industrie sinken, wenn ich mich
auf eine bestimmte Sache spezialisiere, so kann das Glück überproportional
steigen, wenn ich einer einzelnen Sache mehr Zeit widme.
Geht es etwas konkreter?
Nehmen Sie Jazz: Sie gehen auf Konzerte, Sie spielen selbst, Sie haben Ihre
Peergroup, Sie kommunizieren darüber. Das wird zu einem dynamischen
Prozess. Diese Form der Konzentration und Reduktion macht Sie glücklicher
als alles andere.
Sie sprechen von sich?
Ja, ich bin so einer. Ich habe meine beiden Saxofone, meine beiden Bands,
alles in Oldenburg. Das beschäftigt mich und ist so glückstiftend, dass es
die Flugreise ersetzt oder die SUV-Fahrt, die ich haben könnte, wenn ich so
ein Auto besäße.
Sie haben kein Auto, keinen Fernseher, keinen Fön, kein Handy und sind
bisher nur einmal in Ihrem Leben geflogen?
Diese und viele andere Dinge empfinde ich als Wohlstandsballast, der mein
Leben verstopfen würde. Es geht also um die Logik einer Reduktion, die
befreit und nichts mit Verzicht zu tun hat.
Warum machen Sie es nicht wie die Grünen und propagieren das nachhaltige
Wachstum? Will heißen: Wir ändern nicht die Lebensstile, sondern die
Maschinen.
Der Green New Deal ist eine Schimäre: Es gibt keine nachhaltigen Produkte,
es gibt nur nachhaltige Lebensstile. Die Technik kann keine Naturgesetze
aushebeln, sie kann sie nur anwenden. Technik verbraucht immer Energie,
Fläche und Substanzen. Selbst erneuerbare Energien sind längst an der
Schwelle, wo nicht mehr klar ist, ob sie Teil der Lösung oder Teil des
Problems sind.
Ohne erneuerbare Energien keine Zukunft.
Warten Sie: Eine Postwachstumsökonomie, die ich vorschlage, schließt nicht
aus, dass bei einer insgesamt schrumpfenden Wertschöpfung punktuell
einzelne Branchen wachsen. Worauf ich hinauswill: Selbst erneuerbare
Energien sind nur vertretbar, wenn sie nicht additiv sind, sondern dafür
bereits verbaute Flächen oder Infrastrukturelemente genutzt werden.
Autobahnen? Industriegebiete? Die wollen Sie ja auch abschaffen.
Ja, ich bin dafür, Autobahnen und Flughäfen zu 50 oder 75 Prozent
stillzulegen, und teilweise auch Industriegebiete. Das wäre nicht nur der
beste Klimaschutz, sondern ließe Flächen für erneuerbare Energien frei
werden, ohne die Natur zu zerstören.
Damit katapultieren Sie sich wohl sogar jenseits allen Verständnisses der
meisten taz-Leser und in eine Höhle im Wald.
Ich sage Ihnen was: Ich hab das schon oft vor größerem Publikum gesagt. Es
gab tosenden Applaus.
Auf einem Attac-Kongress vermutlich.
Unter anderem, aber trotzdem. Wir dürfen für den Ausbau der erneuerbaren
Energien keine weiteren Flächen opfern. Wir müssen ihn mit Reduzierung
klimaschädlicher Branchen wie Kohle, Atom, Flugverkehr und Autoindustrie
koppeln sowie einer Reduktion der Energieverbräuche. Dann erst macht alles
Sinn. Komplementär geht es nicht.
Sie stoßen nun mal selbst in aufgeklärten politisierten Milieus immer
sofort auf den Verzichtzumutungsverdacht.
Seit 30 Jahren will man die Leute nicht verschrecken, sondern da abholen,
wo sie sind, und hat daher vorhandene Strukturen doch nicht infrage
gestellt, sondern nur Veränderungen innerhalb dieser Strukturen propagiert.
Das ist komplett gescheitert.
Das ökologische Bewusstsein ist gewachsen.
Wenn Umweltbewusstsein allein durch Beteuerungen und symbolische Akte, die
obendrein additiv sind, zum Ausdruck kommt, bringt das nichts. Letztlich
wachsen dank Hybridautos oder Passivhäusern jene Strukturen, die auch in
optimierter Form nicht ökologisch werden können.
Und nun soll es eine Avantgarde richten, die ihre Erwerbsarbeit auf 20
Stunden reduziert und den Rest der Zeit Fahrrad fährt und Radieschen
anbaut.
Jetzt hören Sie doch mal auf mit den Radieschen! Selbstversorgung ist eine
Möglichkeit. Aber es geht auch darum, Dinge länger zu nutzen, zu
reparieren, mit anderen zu teilen, sich im Stadtteil für Selbstversorgung
zu engagieren. Sie brauchen Downsizing und lokale Strukturen, um sich
widerstandsfähig zu machen. Und das müssen Sie auch angesichts der Wand,
auf die wir zurasen. Jetzt kann ich noch entscheiden, ob ich den Wandel
selbst initiiere: by design. Sonst kommt er by desaster, also unter Zwang,
kurzfristig und schmerzhaft.
Was nützen wenige Pioniere?
Für gesellschaftlichen Wandel brauchen Sie zunächst Pioniere, die geringe
Risikoaversion haben und keine Angst, sich lächerlich zu machen. Dann
kommen die, bei denen die Beobachtung der Pioniere ausreicht, um auch
mitzumachen. Dann die, die ein Netzwerk brauchen. Dann werden jene
stimuliert, die sich erst kuschlig genug fühlen, wenn das Neue von genug
Leuten gemacht wird. Und irgendwann sind wir am Punkt angekommen, wo eine
soziale Dynamik ausgelöst wird. Diese Diffusionslogik zeigt, dass es gar
nicht funktionieren kann, gleich in den Mainstream zu gehen.
Sie wollen nicht viele Gründenkende, sondern wenige radikal Grünagierende?
Es geht jetzt darum, einer nonkonformistischen Ökoavantgarde eine Logik zu
liefern, die sie davon befreit, als Verzichtprediger dazustehen. Und da
hilft eine verständliche Begründung, wie elegant es ist, durch Reduktion
und Konzentration glücklich zu werden.
Sie sind aber nicht der elegante Held der Party, wenn Sie sagen, dass Sie
nicht fliegen.
Abwarten. Es kommt auf die Party an.
Ein Hauptkritikpunkt an Ihren Thesen lautet: Niko Paech will den Menschen
ändern. Das wissen wir doch, wo das endet.
Wieso denn? Erstens hat jeder die freie Wahl. Zweitens will ich niemanden
ändern, sondern denen, die das selbst wollen, die besten Argumente liefern.
Auch der Philosoph Peter Sloterdijk sagt, den Wandel müsste Technologie
schaffen. Die Menschen würden sich nicht ändern, oder wenn, werde es erst
richtig furchtbar.
Vielleicht hat Sloterdijk mehr Humor, als wir denken.
Das meinen Sie ganz bestimmt ironisch?
Nein, todernst. Der hat als Wissenschaftler oder Publizist alles erreicht
und kann jetzt auch spielerisch sein oder subversive Taktiken anwenden.
Was ist mit all den geäußerten Ökodiktatursorgen und
Freiheitsberaubungsszenarien?
Es ist die Logik einer Bild, zu sagen: Expansion ist Freiheit und Reduktion
ist Unfreiheit. Bei unvoreingenommener Betrachtung lassen beide Richtungen
keine Assoziation auf freiheitseinschränkende Politik zu. Es ist eine
Erhöhung der Freiheit, wenn Menschen nicht mehr nur die Option haben, in
die Karibik zu fliegen …
… sondern auch die Freiheit, nicht in die Karibik zu fliegen?
Ja, indem sie gelebte Praktiken sehen, die mindestens so glückverheißend
sind und nicht auf dieser zerstörerischen Mobilität beruhen. Andersherum
wird ein Schuh draus: Derzeit herrscht eine Diktatur der expansiven
Glücksuche. Diese Diktatur will ich überwinden.
6 Feb 2012
## AUTOREN
Peter Unfried
## TAGS
tazlab 2012: „Das gute Leben“
Umweltbewusstsein
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