| # taz.de -- Debatte Postwachstum: Schöpferische Zerstörer | |
| > Die Diskussion über eine Postwachstums-Ökonomie ist wichtig, aber sie | |
| > blendet entscheidende Akteure des Wandels aus: Die Unternehmer und das | |
| > Unternehmertum. | |
| Es gibt nicht viele Debatten, in denen es um größere Herausforderungen | |
| geht: Was kann Wachstum zum Wohlstand noch leisten, wenn das "ökonomische | |
| Mehr" zugleich immer stärker Umwelt, Klima und Gerechtigkeit bedroht? | |
| In dieser Kontroverse nimmt die Idee einer Postwachstums-Ökonomie breiten | |
| Raum ein – einer Wirtschaftsweise, die nicht mehr alternativlos eine | |
| Steigerung des Bruttoinlandsproduktes anstrebt und von der Fiktion ablässt, | |
| Wirtschaftswachstum könne von seinen ökologischen Folgen entkoppelt werden. | |
| Wirklich erfolgreich kann dieser Ansatz aber erst werden, wenn seine | |
| Anhänger einen entscheidenden blinden Fleck überwinden. | |
| Die meisten Verfechter einer Postwachstums-Ökonomie blenden Fragen der | |
| Betriebswirtschaft nahezu komplett aus. Allenfalls der kleine Sektor der | |
| Sozialbetriebe wird nicht als Teil des Problems gesehen – jede andere | |
| unternehmerische Tätigkeit gilt als dem Kapitalismus eigene, maßlose | |
| Ausbeutung von Ressourcen. | |
| Die Akzeptanz des Ansatzes unter Wissenschaftlern und vor allem in der | |
| wirtschaftlichen Praxis selbst kann nur steigen, wenn auf die dort | |
| herrschenden, zentralen Ideen positiv Bezug genommen wird: die Unternehmer | |
| und das Unternehmertum. | |
| Allein auf der Basis einer kleinteilig organisierten Ökonomie mit wenig | |
| kapitalstarken Firmen, Sozialunternehmen und Genossenschaften wird man | |
| weder ökonomisch noch ökologisch effizient eine hochtechnologische | |
| Gesellschaft wie die unsrige "am Leben" halten können. Auch in einer | |
| Postwachstums-Ökonomie wird es ohne globale Produktionsnetzwerke und | |
| Logistikketten nicht gehen. Sicher: Es wird vermutlich weniger davon geben. | |
| Aber nötig bleiben kapitalstarke Unternehmen einer gewissen Größenordnung | |
| trotzdem. Das ist nicht nur eine Frage der empirischen Erfahrung, sondern | |
| auch eine der Strategie. | |
| Noch nirgends konnte ein solch gravierendes Umbauprojekt über einen | |
| Top-down-Ansatz sein Ziel erreichen – und schon gar nicht den Erfolg | |
| dauerhaft sichern. Die Welt ist zu komplex für allein von oben verordnete | |
| Veränderungen, Forderungen, die immer gleich auf die Ebene des "Systems" | |
| zielen, dieser ominösen Grundstruktur von allem, sind hoch riskant. | |
| Es war John Stuart Mill, der vielleicht letzte wirklich umfassend | |
| ausgebildete Sozialökonom, der schon im 19. Jahrhundert die Fähigkeit von | |
| Gesellschaften, sich zu entwickeln, vor allem in der Bereitschaft | |
| gewährleistet sah, vielfältige, lokal begrenzte soziale Experimente | |
| zuzulassen. Ein solcher "verteilter Ansatz" ist fehlerfreundlicher als ein | |
| "systemischer", man lernt die nächsten Schritte gewissermaßen beim Gehen – | |
| und muss nicht erst einmal alles abreißen, bevor man startet. | |
| ## Unternehmer statt Manager | |
| Für eine Erneuerung der Debatte um die Postwachstums-Ökonomie sollte eine | |
| erweiterte Strategie "von unten" verfolgt werden. In dieser müssten | |
| ausdrücklich auch "normale" kapitalistischen Unternehmen und, mehr noch, | |
| deren Unternehmer einbezogen werden. Über sie würde sich auch die | |
| Betriebswirtschaft als Wissenschaftsdisziplin stärker an der Debatte über | |
| eine bessere Welt nach dem Wachstumszwang beteiligen. Gleichzeitig setzt | |
| damit eine Postwachstums-Ökonomie das Bild des Unternehmers gegen das des | |
| Managers – langfristiger Aufbau von Werten gegen kurzfristige Optimierung | |
| des Bestehenden bei größtmöglichem Gewinn. Und vor allem würde die Zukunft | |
| in der Praxis schon einmal beginnen können. | |
| Es gibt im Grunde kein Unternehmen, das die Idee des Postwachstums nicht | |
| auch in den Kern seines Geschäftsmodells integrieren könnte. Die Frage ist | |
| natürlich immer: zu welchem "Preis" geschieht das, wie wirkt es sich auf | |
| Kosten und Wertschöpfung aus, wie auf die Beschäftigten. | |
| In einer Untersuchung zu den ökologischen Auswirkungen verschiedener | |
| Geschäftsmodelle in der Automobilindustrie konnten meine Kollegin Barbara | |
| Seeberg und ich zeigen, wie sich der ökologische Fußabdruck und die | |
| Wertschöpfung verändern. Die Ergebnisse geben dabei Anlass zu vorsichtigem | |
| Optimismus. | |
| Ein Umschwenken auf einen Mix aus klassischem Autoverkauf und Carsharing | |
| führt, über den Rückgang der Verkaufs- und Bestandszahlen sowie technischen | |
| Fortschritt bei den Fahrzeugen, zu einer Minderung der Umweltbelastung. | |
| Gleichzeitig kann durch den Ausbau des Servicegeschäfts um | |
| Carsharing-Fahrzeuge ein Preisaufschlag erfolgen. Ein grüner Erfolg, der | |
| betriebswirtschaftlich mehr als verkraftbar war. Die Kombination von | |
| klassischer Autoproduktion, neuen Mobilitätsdienstleistungen und den mit | |
| diesen einhergehenden Service-Angeboten ließen die Wertschöpfung nur | |
| geringfügig schrumpfen – im einstelligen Prozentbereich. | |
| ## Es geht nicht nur um Gewinn | |
| Ein Postwachstums-Kapitalismus ist machbar, er erfordert aber gewaltige | |
| Transformationen in den heute vorherrschenden Geschäfts- und damit auch in | |
| den Denkmodellen von Unternehmen und Unternehmern. Sie sind das zentrale | |
| Element dieses Wandels, sie versorgen ihn mit Ideen und Innovationen. Der | |
| österreichisch-ungarische Ökonom Joseph Schumpeter hat einmal von | |
| "schöpferischer Zerstörung" gesprochen, ohne die alte Strukturen nicht | |
| erfolgreich durch neue verdrängt werden können. | |
| Einen Unternehmer treibt nicht die Aussicht auf Gewinn allein an, obschon | |
| es ohne Gewinn nicht gehen wird. Ein Unternehmer ist begeistert von seiner | |
| Idee, die zum Gewinn führen kann; am Neuen, das noch keiner versucht hat, | |
| er strebt nach Erfolg, pflegt Freude und Leidenschaft am Risiko und | |
| verfolgt einen unbedingten Glauben an die eigenen Fähigkeiten. Ohne all das | |
| kann der Wandel hin zu einer Postwachstums-Gesellschaft nicht gelingen. | |
| Mehr noch: Wir können uns nicht einmal eine richtige Vorstellung von ihr | |
| machen, gebe es nicht Unternehmer, die mit neuen Produkten und | |
| Technologien, neuen Geschäftsmodellen und sozialen Innovationen das | |
| Grundgerüst einer veränderten Gesellschaft schaffen. | |
| Wie würde die Welt aussehen, wenn Steve Jobs von der Idee des Postwachstums | |
| als einem Geschäftsmodell besessen gewesen wäre? Wir wären auf dem Weg | |
| dorthin schon deutlich weiter. | |
| 27 Feb 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| André Reichel | |
| ## TAGS | |
| Antisemitismus | |
| tazlab 2012: „Das gute Leben“ | |
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