# taz.de -- Eurogipfel in Brüssel: Ein Schritt vor und zwei zurück | |
> Weil sie erst den Bundestag konsultieren muss, blockiert Angela Merkel | |
> den neuen Eurorettungsplan. Ihre Amtskollegen verlieren langsam die | |
> Geduld. | |
Bild: Gruppenbild mit Bremserin: Merkel und die litauische Präsidentin Dalia G… | |
BRÜSSEL taz | Draußen demonstrierten rund 50 "Empörte" gegen die Herrschaft | |
der Banken und der Märkte. Drinnen, im hermetisch abgeriegelten | |
Justus-Lipsius-Gebäude im Europaviertel, wuchs die Empörung ebenfalls: Was | |
als ultimativer Gipfel zur Eurorettung geplant war, verkam am Sonntag wegen | |
einer deutschen Blockade zeitweise zur Farce. | |
"Heute fallen keine Entscheidungen", hatte Angela Merkel vor Beginn des | |
Treffens mit ihren 26 EU-Amtskollegen verkündet. Weil sie den Bundestag | |
konsultieren muss, soll erst ein zweiter Sondergipfel am Mittwoch | |
Beschlüsse fassen. Außerdem gehe es um "technisch zum Teil sehr | |
komplizierte Prozesse", rechtfertigte Merkel die Verzögerung. | |
Dabei stehen die Grundzüge des neuen Eurorettungsplans längst fest: Das | |
hoffnungslos überschuldete Griechenland soll durch einen Schuldenschnitt | |
von rund 50 Prozent entlastet werden. Zuvor wollen die 17 Euroländer ihre | |
Banken mit rund 100 Milliarden Euro rekapitalisieren, damit sie nicht unter | |
dem zu erwartenden Griechenland-Schock zusammenbrechen. Außerdem wollen sie | |
den Eurorettungsschirm EFSF mit einem Finanzhebel aufblasen, sodass er bis | |
zu eine Billion Euro ausleihen kann - genug, um zur Not auch Italien oder | |
Spanien unter die Arme zu greifen. | |
## Juncker kritisiert Tempo in Berlin | |
Seit Tagen feilen Experten an an dem Plan, der das gescheiterte | |
Hilfskonzept vom letzten Eurokrisengipfel am 21. Juli ersetzen und die seit | |
Wochen extrem nervösen Märkte beruhigen soll. Am Freitagabend hatten sich | |
schon die Finanzminister in Brüssel getroffen, am Samstag gab es einen | |
deutsch-französischen Minigipfel, am Sonntagmorgen zitierten Merkel und | |
Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy den italienischen | |
Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi zu einem Krisenfrühstück, um ihm neue | |
Reformen abzuringen. So einen Gipfelmarathon hatte Brüssel seit Beginn der | |
Schuldenkrise in Griechenland noch nicht erlebt. | |
Doch dann kam nichts, jedenfalls nichts Endgültiges. Zwar traten Merkel und | |
Sarkozy nach dem Ende des offiziellen EU-Gipfels gemeinsam vor die Presse. | |
Merkel warb für Änderungen am EU-Vertrag, um die "Haushaltsdisziplin | |
strenger zu fassen". Sarkozy lobte die deutsch-französische Zusammenarbeit, | |
obwohl es zuletzt heftig geknirscht hatte, und sah sogar schon Anzeichen | |
einer Entspannung der Eurokrise: Irland habe die Krise hinter sich, | |
Portugal sei auf dem richtigen Weg, Spanien gehe es besser. | |
Aber die Beschlüsse wurden auf Merkels Geheiß zurückgehalten. Und das | |
führte hinter den Kulissen zu Streit. "Das Organisationstempo in Berlin ist | |
langsamer als in den anderen Hauptstädten", kritisierte Eurogruppenchef | |
Jean-Claude Juncker ungewöhnlich offen. Er habe zwar Verständnis dafür, | |
dass der Bundestag auf seinem Budgetrecht bestehe, "aber das darf nicht | |
dazu führen, dass die EU nicht in der gebotenen Schnelligkeit reagieren | |
kann". | |
## "Finanzhebel" weiter strittig | |
Unzufrieden zeigte sich auch die Chefin der Grünen im Europaparlament, | |
Rebecca Harms: Merkel habe ein "desaströses Krisenmanagement" hingelegt. | |
Obwohl erst am Mittwoch Beschlüsse gefasst werden sollen, müssten bereits | |
am Sonntag wesentliche Entscheidungen fallen, sagte Harms. | |
Auf Unverständnis stieß auch, dass sich Merkel und Sarkozy offenbar immer | |
noch nicht auf den "Finanzhebel" für den Eurorettungsschirm EFSF geeinigt | |
haben. Sarkozy sagte zwar, dass sich eine "ziemlich breite Einigung" | |
abzeichne, und Merkel ergänzte, dass die Europäische Zentralbank nicht | |
angezapft werde, Details des neuen, "gehebelten" Rettungsschirms sind aber | |
weiter strittig. | |
Dabei warten die Märkte genau darauf mit Hochspannung. Und die EU-Politiker | |
starren gebannt auf die Märkte - was wiederum die "Empörten" aufregt. In | |
Brüssel wurden bereits weitere Proteste angekündigt - für den nächsten, | |
angeblich letzten Eurokrisengipfel am Mittwoch. | |
23 Oct 2011 | |
## AUTOREN | |
Eric Bonse | |
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