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# taz.de -- Rot-schwarze Koalitionsverhandlungen: Alles eine Frage der Sprache
> Sozial- und Christdemokraten kommen miteinander klar, trotz aller
> Differenzen. Warum eigentlich?
Bild: Nein, es ist nicht wie gemeinhin vermutet, die zum Verwechseln ähnliche …
Es war ein sonniger Vormittag im August. Michael Müller, Landesvorsitzender
der SPD, sagte in einem taz-Interview wie in Stein gemeißelt: "Bei der SPD
ist es so, dass von der Basis bis zur Spitze alle riesige Probleme haben,
mit der CDU zusammenzuarbeiten." Zehn Wochen später huschen die sich ach so
fremden Parteien durch ihre Koalitionsverhandlungen, als wären sie
füreinander gemacht. Längst sind die Tagungshotels für die Parteitage
gebucht, die am 21. November dem Koalitionsvertrag zustimmen sollen.
Inneres, Migration und jetzt Bildung - auch wenn es dabei etwas länger
gedauert hat: selbst die zentralen Streitthemen haben den Zeitplan nicht
durcheinanderbringen können.
Genau im Takt sprechen SPD und CDU seit über vier Wochen. Müller selbst,
der so große Probleme gesehen hatte, verhandelte das Thema Wirtschaft mit
der Union in einer Atmosphäre, die beide Seiten als gut und konstruktiv
beschrieben. Zur Erinnerung: Die Koalitionsgespräche über ein Bündnis mit
den Grünen, für das sich Müller im erwähnten Interview stark gemacht hatte,
endeten nach eine Stunde - endgültig.
Wie kann das sein? Hieß es nicht, eine große Mehrheit in der Stadt wolle
Rot-Grün? Parteilinke der Grünen, aber auch der SPD beriefen sich auf eine
Umfrage, nach der 35 Prozent der BerlinerInnen ein solches Bündnis
bevorzugten, aber nur 18 Prozent Rot-Schwarz. Die CDU, das war angeblich
immer noch "die Partei von Diepgen und Landowsky", die bis 2001 als
Regierender Bürgermeister und Fraktionschef die Partei prägten. Und
angeblich waren sich doch SPD und Grüne so nah, hatten eine gemeinsame
Vision vom sozial-ökologischen Umbau, während es mit der CDU gar keine
gemeinsame Sprache gab.
Tatsächlich war es so: Sozialdemokraten und Grüne haben die gemeinsame
Sprache nicht gefunden. Als beide es in den Sondierungen geschafft hatten,
eine Vier-Sätze-Kompromissformel zum strittigen Thema "Verlängerung der A
100" aufzuschreiben, legten dieselben Verhandler kurz darauf ebendiese vier
Sätze unterschiedlich aus. Beim zweiten Anlauf wurde es noch schlimmer: Da
stand am Ende der erneuten Versuche, Klarheit in Sachen A 100 zu erzielen,
ein Wortungetüm namens "qualifizierter Abschluss", in das wieder jeder
seine Sicht hineindeutelte. Es stimme schon, sagt ein führendes
Grünen-Mitglied: Bei aller inhaltlichen Nähe habe man aneinander
vorbeigeredet.
Was Grüne wie linke Kommentatoren schlicht vergessen hatten: Der
entscheidende Mann in der ganzen Sache ist eben kein Linker, keiner mit
großen Visionen und auch keiner, dem es auf ein rot-grünes
Zusammengehörigkeitsgefühl ankommt. Klaus Wowereit, der in der
Abgeordnetenhaussitzung am 24. November zum vierten Mal zum Regierenden
Bürgermeister gewählt werden soll, will erstmal eins: die Dinge gebacken
kriegen, die er für wichtig hält. Es mit den Grünen zu erreichen, wäre ein
"nice to have" gewesen - mehr nicht.
Um das zu wissen, müsste man Wowereit nicht mal selbst erlebt haben: Dazu
reicht ein Blick in seine vier Jahre alte Autobiografie. Da steht dann
etwa, dass ihm die Linken in der der SPD "entschieden zu dogmatisch" waren,
weshalb er eine Gruppe zwischen den Flügeln gründete, die "Kuschellinken".
"Dogmen-Huberei" sei ihm fremd, so Wowereit, der im Zweifelsfall nicht
Parteiströmungen, sondern seinen Überzeugungen folgt: "Wer mit einer hart
schuftenden Mutter aufgewachsen ist, die jeden Pfennig umdrehte, um ihr
kleines Häuschen abzustottern, der braucht kein Grundsatzprogramm, um seine
politischen Koordinaten zu finden." Daran ändert auch nichts, dass
Wowereits enger Berater Björn Böhning Bundessprecher der SPD-Linken ist -
Wowereit nutzt ihn im Roten Rathaus als klugen Kopf, trifft aber letztlich
seine Entscheidungen selbst.
Das gleiche gilt für das geflügelte Wort von Rot-Grün als linkem Projekt,
mit dem sich die Stadt sozial und ökologisch umbauen lasse. "Mit Visionen
tue ich mich schwer", ist bei Wowereit nachzulesen, " ich bin kein
Jongleur, der bunte Seifenblasen durch die Luft wirbelt." Wowereit hat ein
paar Grundüberzeugungen, die mit der grünen Sicht der Dinge nicht
kompatibel sind. Zum einen setzt er auf Infrastruktur als Basis für mehr
Arbeitsplätze - A 100, Flughafenausbau, Tangentialverbindung Ost (TVO),
Mediaspree. Zum anderen hat er eine ganz andere Definition als die Grünen
von der Gentrifizierung, dem zentralen Schlagwort in der Mietpolitik. Sie
ist für ihn kein Teufelszeug, wie er der taz vor der Wahl sagte, sondern
sorge für Durchmischung und Aufbrechen starrer Strukturen. Da war absehbar,
dass das nicht kompatibel ist mit einer Partei, die in ihrem Kreuzberger
Wahlprogramm dazu aufruft, Vermieter zu melden, die Parkettböden verlegen
oder Bäder verkacheln lassen, um ihre Wohnungen attraktiver zu machen.
Und was das persönliche Verhältnis zur CDU angeht: Selbst mit deren
Exfraktionschef Landowsky, Unperson seit dem Bankenskandal, hat sich
Wowereit nach eigenen Worten gut verstanden und ließ schon mal mit ihm
einen Arbeitstag im noblen Restaurant "Borchardt" ausklingen. Nicht
unsympathisch sei ihm ein angeblicher Standardsatz von Landowsky gewesen:
"Erst ein Bier gegen den Durst und dann ein Fläschchen Wein." Deshalb war
es auch nicht überraschend, dass Wowereit und der heutige CDU-Fraktionschef
Frank Henkel wie für einander gemacht schienen, als sie nach Beginn der
Koalitionsgespräche die erste Pressekonferenz gaben. Henkel ist wie
Wowereit pragmatisch. Er streitet zwar für Dinge, will aber eine Lösung.
## Das Schwierigste zuletzt
Bleibt die Frage, wieso selbst in Bereichen, in denen sich SPD und CDU im
Wahlkampf fetzten, am Ende ein Ergebnis stand. Das liegt einerseits an der
Methode, die schwierigsten Themen in die Schlussrunde der
Koalitionsverhandlungen zu packen: Namensschilder für Polizisten,
kommunales Wahlrecht für alle Ausländer, Mindestlohn. Zum anderen aber auch
an der Einsicht der CDU, dass mehr nicht drin war, vor allem beim Thema
Bildung, wo sich fast alle Parteien schon vor der Wahl auf einen
inoffiziellen Schulfrieden geeinigt hatten.
Natürlich mussten CDU-Verhandler, schon auf innerparteilichem Druck hin,
erneut Religion als Alternative zum Ethik-Unterricht fordern. Natürlich
wussten sie aber auch: Die SPD kann nicht von einem Projekt abrücken, bei
dem sie sogar einen Volksentscheid im Rücken hat. Ähnlich ist die Situation
bei den Gemeinschaftsschulen: Die Modellschulen nicht weiter zu führen,
wäre Schülern, Lehrern und Eltern gegenüber unvertretbar. Hier
Zugeständnisse zu machen, kann die Union gut rechtfertigen. Das
Bildungsressort hätte die SPD ohnehin nicht abgegeben. Wieso sich also
verkämpfen in einem Bereich, in dem die andere Seite das Sagen hat?
Inneres, Arbeit und Soziales, Gesundheit sowie Wissenschaft und Kultur sind
die Verwaltungen, die die CDU absehbar anstreben wird.
Bei allen Streitthemen ist bislang eins ausgeblieben: Ein
Aneinandervorbeireden wie mit den Grünen. Sieben Mal saßen die
Spitzenverhandler von Sozial- und Christdemokraten schon zusammen, hinzu
kommen ungezählte Treffen der Arbeitsgruppen. Viele Sätze sind bereits zu
Papier gebracht. Und doch ist danach kein wichtiger SPDler oder CDUler vor
die Presse getreten, um zu sagen: "Das haben wir anders gemeint." Bei allen
inhaltlichen Differenzen ist das die Grundlage von Rot-Schwarz: Die
Koalitionäre sprechen eine gemeinsame Sprache.
7 Nov 2011
## AUTOREN
Stefan Alberti
## TAGS
Schwerpunkt Wahlen in Berlin
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