# taz.de -- Protest in Kairo: Alle vereint gegen das Militär | |
> Kurz vor den geplanten Wahlen demonstrieren zehntausende Ägypter gegen | |
> die ausufernde Macht des Militärs. Darin sind sich fast alle einig. | |
Bild: Aufbau einer Demokratie: Demonstration auf dem Tahrir-Platz in Kairo. | |
KAIRO taz | "Hier herrscht wieder der Geist der Revolution", sagt der junge | |
Ingenieurstudent Mohammed Fathi begeistert, während er ein selbstgemaltes | |
Schild hochhält mit der Aufschrift "Baustelle Ägypten". | |
Wie er sind an diesem Freitag zehntausende Ägypter erneut auf dem | |
Tahrirplatz in Kairo zusammengekommen, um vor allem zwei Forderungen | |
durchzusetzen: dass die Militärführung als Übergangsverwalter des Landes | |
abtritt und so bald wie möglich Präsidentschaftswahlen zulässt. Und dass | |
ein sogenanntes Superverfassungsdokument zurückgezogen wird, in dem sich | |
die Militärführung auch langfristig das Recht festschreiben möchte, in | |
strategischen Fragen das letzte Wort zu haben. | |
Zwei Forderungen, die weite Teile des politischen Landschaft | |
unterschreiben, wenngleich zu den Mittagsstunden mehrheitlich Islamisten | |
auf dem Platz zu sehen waren, die aber dann gegen Nachmittag von den | |
Liberalen abgelöst wurden. Nach dem neuen ägyptischen Politmotto: Der | |
Islamist steht freitags früh auf und stellt seine Forderung gleich nach dem | |
Freitagsgebet, während der liberale und säkulare Ägypter lieber ausschläft | |
und seine Aktivitäten auf den Nachmittag verlegt. | |
"Wir bauen gerade am Fundament des neuen Hauses, alle zusammen, egal ob | |
Islamisten, Säkularisten, Liberale oder Linke", meint der Ingenieurstudent | |
Mohammed und deutet auf den Platz, wo die verschiedenen politischen | |
Gruppierungen Flugblätter für ihre Kandidaten verteilen, die bei den | |
Parlamentswahlen am 28. November antreten werden, aber auf den aufgebauten | |
Podien nur die Forderungen gegen die Militärführung vorbringen. | |
## Liberale Gruppen boykottieren Protest | |
"Das ist unsere neue Demokratie, wir streiten uns über verschiedene | |
Standpunkte, aber am Ende einigen wir uns über die zwei wichtigsten | |
Forderungen und gehen auf die Straße", sagt Mohammed. | |
Mazhar Schaheen, der Imam der dem Platz angrenzenden Moschee, hat seit | |
Revolutionszeiten das Privileg, die Freitagspredigt auf dem Tahrir zu | |
halten. "Wir wollen einen zivilen, demokratischen Staat unter islamischer | |
Aufsicht, unter der alle ihre Freiheiten haben", lautet seine heutige | |
Predigtformel, mit der er bereits der zukünftigen Verfassungsdiskussion | |
vorgreift. | |
Einige der liberalen Gruppierungen haben die Demonstration boykottiert. Sie | |
fürchten, dass die Islamisten als stärkste Gruppierung der ersten | |
Verfassung ihren Stempel aufdrücken werden, und fragen sich, ob das Militär | |
nicht doch, ähnlich wie einst in der Türkei, als Bollwerk gegen die | |
Islamisten fungieren sollte. | |
Wael Khalil, Tahrir-Aktivist der ersten Stunde und heute Mitglied einer neu | |
entstandenen sozialistischen Partei, winkt ab. "Mein Schutz ist die Straße | |
und nicht das Militär", meint er. Auch er ist davon angetan, dass sich an | |
diesem Tag der größte Teil der neuen politischen Landschaft gegenüber dem | |
Militär einig ist. "Wenn wir uns spalten lassen, nutzt das dem Militär", | |
glaubt er. "Jetzt stehen wir zusammen, bis sich das Militär wieder in die | |
Kasernen zurückzieht. Danach können wir uns wieder streiten". | |
18 Nov 2011 | |
## AUTOREN | |
Karim Gawhary | |
Karim El-Gawhary | |
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