| # taz.de -- Debatte Euro-Krise: Kalter Putsch der Experten | |
| > Als die Banken pleitegingen, wollte die Politik die Finanzmärkte | |
| > regulieren. Stattdessen kontrollieren heute ihre Vertreter sogar die | |
| > Parlamente. | |
| Bild: Regieren Bulle und Bär in den Parlamenten mit? | |
| Es fiel kein Schuss, keine Soldaten marschierten, kein Parlament wurde von | |
| Panzern belagert. Für den weichen Staatsstreich, der jüngst in Griechenland | |
| und Italien stattgefunden hat, war nichts dergleichen notwendig. Die | |
| Finanzmärkte haben mithilfe der Parlamente geputscht. | |
| Es fing damit an, dass der griechische Premier Giorgos Papandreou die | |
| seinem Land aufgezwungenen Sparmaßnahmen zur Abstimmung stellen wollte. Die | |
| Börsenkurse stürzten, blankes Entsetzen machte sich bei den führenden | |
| politischen Eliten breit. Papandreou konnte seinen Vorschlag keine 24 | |
| Stunden aufrechthalten, unter dem internationalen Druck zerbrach seine | |
| Regierung, er musste zurücktreten. Nur kurze Zeit später wurde Silvio | |
| Berlusconi aus dem Amt gedrängt. | |
| Den italienischen Ministerpräsidenten konnten keine Oppositionsbewegung, | |
| kein Skandal, keine Anklage aus dem Amt bringen. Seine Regierung hatte sich | |
| zuvor schon der Überwachung durch den IWF unterworfen, aber erst der | |
| dramatische Zinsanstieg auf italienische Staatstitel und der Druck der | |
| Finanzmärkte zwangen ihn zum Rückzug. Man braucht Berlusconi keine Träne | |
| nachzuweinen. Gleichwohl verdeckt die Erleichterung über den Abgang des | |
| italienischen Hasardeurs, welchen Schaden die Demokratie und ihre Prozesse | |
| genommen haben. | |
| ## Statthalter der Finanzbranche | |
| De facto übernahm die nicht gewählte "Frankfurt Group" in beiden Ländern | |
| das Ruder. Neben Angela Merkel und dem französischen Präsidenten Sarkozy | |
| gehören ihr der neue Präsident der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, | |
| die IWF-Direktorin Christine Lagarde, der Präsident der EU-Kommission José | |
| Manuel Barroso, der Vorsitzende der Eurogruppe Jean-Claude Juncker, der | |
| Vorsitzende des Europäischen Rats und der europäische Wirtschaftskommissar | |
| Olli Rehn an. | |
| Die schnell installierten Regierungen der nationalen Einheit in | |
| Griechenland und in Italien sind deshalb ein weicher Staatsstreich, weil in | |
| der Hülle der Experten und Technokraten jetzt Statthalter der | |
| Euro-Finanzmärkte, des Bank- und Industriekapitals direkt die Macht | |
| übernommen haben. Der neue konservative griechische Premier Lucas Papademos | |
| war Chef der griechischen Zentralbank und später Vizepräsident der | |
| Europäischen Zentralbank. | |
| Italiens neuer Premier Mario Monti ist ein ehemaliger EU-Kommissar und | |
| Berater von Goldman Sachs. Seine Regierungsmannschaft stellt er als | |
| Kabinett aus Experten dar, doch vor allem ist es ein Kabinett der Banker: | |
| Der Minister für wirtschaftliche Entwicklung, Corrado Passera, war zuvor | |
| Chef der zweitgrößten Bank Italiens und hat seine Karriere bei der | |
| Unternehmensberatung McKinsey begonnen. Die Ministerin für Arbeit und | |
| Soziales, Elsa Fornero, sitzt im Aufsichtsrat der gleichen Bank. Der neue | |
| Tourismusminister, Piero Gnudi, gehört zum Vorstand des | |
| Arbeitgeberverbands. | |
| ## Postsouveräne Parlamente | |
| Es ist befremdlich: Nach der Finanzkrise 2008 hatte man erwartet, dass die | |
| Banken reguliert und ihre Macht eingeschränkt würden. Keine drei Jahre | |
| später haben die Banker in Italien und Griechenland die politische Macht | |
| übernommen. Griechenland und Italien sind nun ein finanzpolitisches | |
| Protektorat der "Frankfurt Group". Ihre Statthalter Monti und Papademos | |
| wurden erzwungen, sie sind keine gewählten Abgeordneten, haben sich keinen | |
| allgemeinen Wahlen ausgesetzt, ihr Programm wird der Bevölkerung nicht zur | |
| Abstimmung gestellt. Monti will das auch in der nahen Zukunft nicht tun. | |
| Bis 2013 plant er im Amt zu bleiben. In ihren ersten Amtshandlungen | |
| verantworten sie sich vor den eigentlichen Herren: der EU-Kommission, | |
| Merkel und Sarkozy. | |
| Bereits vor einigen Wochen hatte ein Autor des Wirtschaftsmagazins Forbes | |
| einen militärischen Staatsstreich als Lösungsmöglichkeit für Griechenland | |
| in Betracht gezogen, in der Financial Times war ein Wirtschaftsprofessor | |
| mit der nun gefundenen Lösung hochzufrieden: "Weniger Demokratie tut | |
| Pleitestaaten gut", lautete die Überschrift seines Artikels. Wir haben die | |
| nächste Stufe der Postdemokratie, einen Strukturwandel der repräsentativen | |
| Demokratie, erreicht. | |
| ## Staatsstreiche auf Zeit | |
| Nicht nur Staaten, sondern auch die Parlamente sind postsouverän geworden. | |
| Es handelt sich nicht um Diktaturen, sondern um Finanzmarkt-Staatsstreiche | |
| auf Zeit. Statt Gewalt herrschen Sachzwang, Haushaltsdisziplin und | |
| Expertentum. Parlamente und Parteien haben sich gänzlich der Logik der | |
| Märkte unterworfen und ihnen ihre hoheitlichen Kompetenzen überlassen. Das | |
| Kriterium für gutes Regieren lautet nun: Wie reagieren die Märkte? | |
| In den Krisenstaaten, aber auch sonst in Europa erleben wir einen | |
| Strukturwandel des Parlamentarismus. Es gibt keine relevante Opposition | |
| mehr, die Parteien der linken Mitte stemmen sich nicht gegen die Entleerung | |
| der Demokratie, sie gestalten sie mit. Die Allparteienregierung in | |
| Griechenland und die Regierung der Experten werden von einer großen | |
| Mehrheit der Parlamentarier getragen, die aber nicht mehr nach den | |
| Interessen der Bevölkerung fragen. | |
| Die Weimarer Republik ging unter anderem deshalb unter, weil sie der | |
| Wirtschaftskrise nicht Herr werden konnte, aber vor allem wegen ihrer | |
| eigenen demokratischen Degeneration. Die Kabinette der Experten sind kein | |
| Weg aus der Krise, sondern ihr Kennzeichen. Bereits im Jahr 1925 bildete | |
| Hans Luther eine Regierung der Fachleute. Luther stand rechts, sein | |
| explizite Parteilosigkeit wertete der Historiker Heinrich-August Winkler | |
| bereits als "Symptom der Krise" des Parteienstaats. | |
| Heute fehlt es nicht an parlamentarischen Mehrheiten wie zu Weimarer | |
| Zeiten. Die Notverordnungen, mit denen später Heinrich Brüning die Republik | |
| zu seinen drastischen Sparprogrammen zwang, wird heute über die | |
| postdemokratische Finanzkratie, die Herrschaft der Banken und der | |
| Euro-Elite, durchgesetzt. Aber die zentrifugalen Kräfte fehlender | |
| Legitimation für die Regierungspolitik haben Europa bereits jetzt an den | |
| Abgrund geführt. In Krisenzeiten werden die wahren Machtverhältnisse | |
| offengelegt. Die Kabinette der Technokraten sind die Regierungen der 1 | |
| Prozent. | |
| 5 Dec 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| Oliver Nachtwey | |
| ## TAGS | |
| Demokratie | |
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