# taz.de -- Debatte Finanzkrise: Rettung mit Schirmen | |
> In der Krise kommen Gefahr und Schutz von oben. Doch Schulden prasseln | |
> nicht vom Himmel auf Banken herab - die Banker wollen Hilfe, weil sie | |
> sich verzockt haben. | |
Bild: Der Schirm hilft wenig, wenn die Gefahr woanders lauert. | |
Die Krise gebiert auch laufend neue Wörter: Rettungsmilliarden, | |
Rettungsschirm, Rettungspaket, Rettungsgipfel, Bankenrettung, | |
Staatsrettung. Diesen Wörtern ist zweierlei gemeinsam - sie beziehen sich | |
irgendwie auf die Krise des Kapitalismus, und sie haben einen theologischen | |
Hintergrund. Für die ultimative Rettung war im christlich-jüdisch geprägten | |
Weltbild bisher Gott zuständig. | |
Sein Jüngstes Gericht hatte das letzte Wort, jetzt soll es die Europäische | |
Zentralbank (EZB) richten und zwar als "Lender of last resort" - der | |
Kreditgeber in letzter Instanz druckt Geld, kauft den überschuldeten | |
Staaten ihre Schuldtitel ab, um Banken und Anleger zu retten. Aus dem | |
Jüngsten Gericht wird ein Endspiel um "alles oder nichts" im Kasino. Dass | |
der Kapitalismus mit Schuld und Schulden und Religion zu tun hat, ist seit | |
Max Weber und Walter Benjamin ein Gemeinplatz. Benjamin nannte den | |
Kapitalismus einen sich "verschuldenden Kultus". | |
Insbesondere die alles beherrschende Metapher "Rettung" hat religiöse | |
Bezüge, "Schirm" dagegen weltliche. Im Mittelalter gewährte der Grundherr | |
seinen Untertanen "Schutz und Schirm". Deren Gegenleistung war "Treue und | |
Hilfe". Vom modernen Verhältnis zwischen Schuldner und Gläubiger | |
unterscheidet sich das feudale Untertanenverhältnis fundamental: Dort | |
stehen sich zwei Freie gegenüber, deren Beziehung auf dem Vertrauen beruht, | |
dass der Schuldner seine Schulden bezahlt, der mittelalterliche Untertan | |
dagegen war ein vom Grundherrn restlos Abhängiger und dessen Zwangsgewalt | |
unterworfen. | |
## Der weltliche Schutz | |
Darauf kann sich die heute gebräuchliche Rettungsschirmmetapher nicht | |
beziehen. Freilich auch nicht auf die Alltagssprache, denn dieser zufolge | |
schützt ein Schirm vor Regen, Sonne und sonst Unerwünschtem, das von oben | |
herabfällt. Was aber prasselt denn von oben auf Banken, Anleger und | |
Staaten, wogegen sie so dringend einen Schirm benötigen? Die Schulden aller | |
fallen so wenig vom Himmel wie wertlose spekulative Papiere und anderes | |
toxisches Material in den Banktresoren. | |
Die Banken machten aus der Staatsverschuldung ein lukratives Geschäft, und | |
die Staaten verschuldeten sich, um ihre Wählerklientel steuerlich zu | |
entlasten und - in geringerem Maße - sozialstaatliche Leistungen zu | |
finanzieren. Und wenn Banken heute einen Schirm brauchen, so nicht, weil | |
irgendetwas auf ihr Haupt zu fallen droht, sondern weil sie sich verzockt | |
haben - und die Steuerzahler nun von oben schröpfen. | |
Gefahr wie Rettung sollen von oben kommen. In dieser Hinsicht gleicht die | |
Rettungsschirmmetapher von heute dem "Atomschirm" in den 50er Jahren. | |
Damals flüchteten sich fast alle Staaten ohne eigene Atomwaffen unter die | |
Atomschirme der sowjetischen oder der amerikanischen Supermacht. Das | |
nukleare Gleichgewicht des Schreckens erzeugte eine Situation wie beim | |
Duell in Westernfilmen, in denen sich nur eine Frage stellt: Wer zieht | |
schneller? | |
## Vordenker des millionenfachen Todes | |
In dieser Situation entwickelten militärische Analytiker mathematische | |
Modelle, in denen sie Auswege aus dem Duell-Dilemma skizzierten. Sie | |
blieben aber in mathematischen Kalkülen befangen und blendeten die | |
moralischen, politischen, gesundheitlichen und psychologischen Folgen eines | |
Atomkriegs strikt aus. | |
Die Vordenker des millionenfachen Todes dachten - wie heute die Ökonomen - | |
nur in den formalen Kategorien von Maximierung und Minimierung und | |
spekulierten über die "Verlusttoleranz des Gegners" (Bernd Greiner) wie | |
heute die Ökonomen über "Verlustpotenziale" (Patrick Raaflaub von der | |
Schweizer Finanzmarktaufsicht), um die Risiken der Akteure an den | |
Finanzmärkten zu beurteilen. | |
Empirisch belastbare Argumente spielen in beiden Modellen keine Rolle, denn | |
diese Modelle dienen nur als Feigenblätter für fragwürdige Annahmen: "Wer | |
zuerst schießt, stirbt als Zweiter". | |
Der spekulative Hokuspokus von Banken und Ratingagenturen lässt die Staaten | |
nach ihrer Pfeife tanzen und funktioniert wie die Atomkriegskalküle aus den | |
amerikanischen Denkfabriken. Beide verkaufen Scheinwissen über die Zukunft | |
mit der Anmaßung, Bescheid zu wissen über die sprichwörtlich letzten Mittel | |
zur Rettung sowie darüber, wie alles mit allem zusammenhängt. | |
Wie das Heilsversprechen der Theologen verkünden sie Ratschläge. Die EZB | |
soll demnach unbeschränkt Staatsanleihen aufkaufen und so in die Rolle | |
Gottes schlüpfen, der sich - notorisch aus Liebe - seinen Schuldnern opfert | |
und die Kosten dieser Rettung - die Inflation - als Kollateralschaden | |
verbucht. | |
## Gold aus Lehm gemacht | |
Die Aussichten einer Selbstrettung des Kapitalismus durch Hebelung, wie es | |
heute heißt, hat Marx 1867 bereits beschrieben: "Der einzige Teil des | |
sogenannten Nationalreichtums, der wirklich in den Gesamtbesitz der | |
modernen Völker eingeht, ist - ihre Staatsschuld. Daher ganz konsequent die | |
moderne Doktrin, dass ein Volk um so reicher wird, je tiefer es sich | |
verschuldet. Der öffentliche Kredit wird zum Credo des Kapitals." | |
Und hier rückte Marx eine Bemerkung ein, die die theologische Dimension des | |
heutigen Rettungsdiskurses beleuchtet: "Und mit dem Entstehen der | |
Staatsverschuldung tritt an die Stelle der Sünde gegen den heiligen Geist, | |
für die keine Verzeihung ist, der Treubruch an der Staatsschuld." An | |
Schuldenschnitten kommt man nicht vorbei. Es fragt sich nur, wer die Kosten | |
trägt. | |
Der Begriff "Autopoiesis" (Selbsterzeugung) stammt aus der Neurobiologie | |
und meint die Fähigkeit lebender Systeme, Elemente aus denen es besteht, | |
selbst zu produzieren und zu reproduzieren. Dass das auch mit Geld | |
beziehungsweise Kapital funktioniert, glauben nur noch wenige. | |
Mittelalterliche Philosophen bestritten, dass Geld Geld zeugt (nummus | |
nummum non parit) mit theologischen Argumenten, Aristoteles hielt den | |
Gedanken für abgeschmackt. | |
Der Glaube, dass man durch Gelddrucken bei den Zentralbanken die Krise | |
langfristig beherrschen könnte, ist eine Wette auf die Zukunft - also eine | |
Chimäre wie die Herstellung von Gold aus Lehm oder die Konstruktion eines | |
Perpetuum mobile. | |
9 Dec 2011 | |
## AUTOREN | |
Rudolf Walther | |
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