# taz.de -- Konjunktur in Deutschland: Experten voller Sorge, Schäuble nicht | |
> Wirtschaftsforschungsinstitute mahnen, dass die Euro-Krise lange noch | |
> nicht ausgestanden sei. Schäuble aber hält die Situation für | |
> "beherrschbar" und Rösler freut sich über die Prognose. | |
Bild: Beim Blick aufs Konto so gelassen wie Schäuble zu bleiben, wünschen sic… | |
BERLIN dapd/dpa | Führende Wirtschaftsforschungsinstitute warnen vor | |
weiteren Gefahren durch die Euro-Schuldenkrise. Der Direktor des | |
Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI), Thomas Straubhaar, mahnte, | |
die Krise sei "noch lange nicht ausgestanden". Vielmehr könne sie sogar | |
"weiter eskalieren". | |
Der Präsident des Rheinisch-Westfälischen Instituts für | |
Wirtschaftsforschung (RWI) in Essen, Christoph M. Schmidt, forderte eine | |
zügige Umsetzung der Beschlüsse des jüngsten EU-Gipfels. Man dürfe "aber | |
nicht übersehen, dass die beschlossenen Maßnahmen in erster Linie die | |
langfristigen Rahmenbedingungen verbessern". Dies könne zwar beruhigend auf | |
die aktuelle Lage wirken. Aber die akuten Probleme mancher Staaten seien | |
damit nicht gelöst. | |
Der RWI-Präsident und "Wirtschaftsweise" fügte hinzu: "Der | |
Sachverständigenrat hatte mit dem Schuldentilgungsfonds ein Instrument | |
vorgeschlagen, um auch dieses Problem in den Griff zu bekommen. Die Politik | |
ist dieser Idee leider - zumindest bisher - nicht gefolgt." | |
## RWI betont: "Strategie der Regierung war richtig" | |
Schmidt betonte, die Mehrheit der Ökonomen sei sich einig, "dass Euro-Bonds | |
aufgrund der mit ihnen verbundenen negativen Anreize schädlich wären". | |
Insofern sei die Strategie der Bundesregierung richtig gewesen, auf | |
vertragliche Regeln zu bestehen, die für eine bessere Kontrolle der | |
Finanzpolitik der einzelnen Euro-Länder sorgen. Euro-Bonds nicht verteufeln | |
Straubhaar mahnte, man sollte "in Deutschland Euro-Bonds nicht aus | |
ideologischen Gründen verteufeln". Denn es werde "auch in einer Fiskalunion | |
eine gemeinsame Kasse geben, um schwächeren und überschuldeten Ländern | |
Notkredite finanzieren zu können". Ob die gemeinsame Kasse "Rettungsfonds" | |
oder "Euro-Bond" genannt werde, sei "dabei dann nur eine nebensächliche und | |
eher technische Frage". | |
Nach Ansicht des HWWI-Direktors steht "die Politik vor dem Zielkonflikt, | |
gleichzeitig zu konsolidieren und die Konjunktur nicht abzuwürgen". | |
Straubhaar fügte hinzu: "Schon die bisherigen Sparanstrengungen haben die | |
von der Krise besonders betroffenen Länder in die Rezession geführt." | |
Notwendig seien nun "überzeugende Konsolidierungsstrategien", die das | |
Vertrauen in die Problemlösungsfähigkeit der Politik wieder herstellen und | |
die Finanzmärkte beruhigen. | |
## DIW kritisiert "Hysterie" auf den Finanzmärkten | |
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) erwartet zu Beginn des | |
neuen Jahres einen "leichten Rückgang der Wirtschaftsleistung" in der | |
Bundesrepublik. Danach dürfte sich die Lage "beruhigen", sagte der | |
DIW-Vorstandsvorsitzende Gert Wagner. Voraussetzung dafür sei jedoch, "dass | |
die Politik die Eurokrise schnell in den Griff bekommt". Wagner kritisierte | |
zugleich, auf den Finanzmärkten sei "nach wie vor sehr viel Irrationalität | |
und Hysterie im Spiel". Es bleibe "zu hoffen, dass alsbald mehr | |
Nüchternheit einkehrt". | |
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble sagte der Bild am Sonntag, er halte | |
die Situation auf den Finanzmärkten für beherrschbar. In der EU gebe es | |
eine große Entschlossenheit der Mitglieder, die Lage stabil zu halten. "Es | |
wird noch ein paar Überraschungen und Aufgeregtheiten geben, aber wir sind | |
in der Lage, das zu managen. Ich rate zu etwas mehr Gelassenheit", sagte | |
der CDU-Politiker. | |
Er fügte hinzu, dass er weiter "unverdrossen" für eine | |
Finanztransaktionssteuer kämpfe, "die aberwitzige Entwicklungen an den | |
Finanzmärkten vielleicht nicht stoppen aber zumindest abbremsen würde". | |
Wenn das weltweit zunächst nicht zu realisieren sei, "dann müssen wir die | |
Abgabe EU-weit oder auch nur in der Euro-Zone einführen". | |
## Schäuble rät zu mehr Gelassenheit | |
Trotz Schulden-Krise und erwarteter Abkühlung der Konjunktur sieht | |
Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) dem kommenden Jahr | |
optimistisch entgegen. "Unsere Wirtschaft zeigt sich ausgesprochen robust, | |
auch wenn das wirtschaftliche Umfeld sowohl auf internationaler als auch | |
auf europäischer Ebene schwieriger geworden ist", sagte Rösler dem | |
Handelsblatt. Die Binnenwirtschaft stütze mehr und mehr das Wachstum. | |
Es komme jetzt auch darauf an, die Wachstumskräfte im kommenden Jahr weiter | |
zu stärken. "Hierbei kommt zum Beispiel der Sicherung des Fachkräftebedarfs | |
und der Konsolidierung des Staatshaushalts eine wichtige Rolle zu", sagte | |
er. Als Grund für die Entwicklung nannte Rösler die strukturellen Reformen | |
in der Vergangenheit, denen der damit ausgelöste Aufschwung am Arbeitsmarkt | |
zu verdanken sei. Rösler hält die deutschen Unternehmen für robust. "Wir | |
sind bestens gerüstet, um die zu erwartende wirtschaftliche Eintrübung im | |
Winterhalbjahr zu bewältigen", sagte er. | |
Unterstützung kommt vom Chef des Sachverständigenrates zur Begutachtung der | |
gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Wolfgang Franz. Die deutsche Wirtschaft | |
werde 2012 zwar wohl nur um 0,5 Prozent wachsen, sagte Franz. In dem im | |
November vorgelegten Jahresgutachten gingen die Wirtschaftsweisen noch von | |
einer fast doppelt so hohen Zuwachsrate aus. "Aber eine Rezession befürchte | |
ich nicht - erst recht nicht eine so starke wie 2009, als das | |
Bruttoinlandsprodukt um rund fünf Prozent absackte", sagte er. | |
Die Zahl der Beschäftigten sei so hoch wie nie, die Kapazitäten der | |
Industrie seien besser ausgelastet als im langjährigen Durchschnitt, die | |
Unternehmen seien gesund und zuversichtlich. "Deutschland geht es gut, noch | |
jedenfalls", sagte der Chef der fünf Wirtschaftsweisen. | |
## Aufschwung am Arbeitsmarkt | |
Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Horst Seehofer fordert eine | |
rasche Umsetzung der EU-Beschlüsse zur Euro-Schuldenkrise. Seehofer sagte, | |
bei den "Schuldensündern" müsse die Haushaltskonsolidierung "spürbar und | |
sichtbar voranschreiten". Er fügte hinzu: "Nur so fassen die Märkte | |
Vertrauen." Die Weichen müssten so gestellt werden, "dass das Problem der | |
Überschuldung in Europa jetzt endlich ernsthaft angegangen wird". | |
Siemens-Chef Peter Löscher sagte dem Tagesspiegel, Europa dürfe nicht | |
abgeschrieben werden. "Wir erleben in Europa eine Strukturkrise, aber vor | |
allem eine vorübergehende Vertrauenskrise." Bundeskanzlerin Angela Merkel | |
habe bei den Verhandlungen eine "wichtige und richtige Rolle" eingenommen. | |
"Ich glaube nicht an eine Bazooka, sondern auf die Abfolge vieler Schritte | |
und hoffe auf die zügige Umsetzung dessen, was zuletzt beschlossen worden | |
ist", sagte Löscher. | |
27 Dec 2011 | |
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Statistisches Bundesamt | |
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