# taz.de -- Autobrandstiftung in Berlin: Polizei sammelte Handydaten | |
> Um Autobrandstifter zu fassen, schöpfte die Berliner Polizei seit 2008 | |
> 4,2 Millionen Verbindungsdaten von Handys ab. Gefasst hat sie damit | |
> keinen. | |
Bild: Auch Funkzellen-Überwachung konnte da nicht helfen: Autobrandstiftung in… | |
BERLIN taz | 4,2 Millionen Verbindungsdaten. In diesem Umfang hat die | |
Berliner Polizei in den vergangenen Jahren Handydaten von Providern | |
abgefragt, um Autobrandstifter in der Hauptstadt zu fassen. Insgesamt 410 | |
sogenannte Funkzellenabfragen wurden dafür gestellt, wie | |
Interim-Polizeipräsidentin Margerte Koppers am Montag im Innenausschuss des | |
Berliner Abgeordnetenhaus einräumte. | |
Allein: Kein einziger Tatverdächtiger konnte damit ermittelt werden. Nach | |
einem ähnlichen Datenschutzskandal in Dresden vor knapp einem Jahr hat | |
jetzt auch die Berliner Polizei ihre Funkzellenaffäre. | |
Die Opposition, bestehend aus den Grünen/Bündnis 90, der Linkspartei und | |
den Piraten, hatte Koppers und Innensenator Frank Henkel (CDU) im | |
Innenausschuss zum Rapport geladen. Am letzten Donnerstag waren | |
Ermittlungsakten bekannt geworden, die aufzeigten, dass die Polizei im | |
Oktober 2009 nach einem Autobrand in Berlin, Friedrichshain mit einer | |
Funkzellenabfrage tausende Handydaten angefordert hatte. Bei den Abfragen | |
liefern Provider für einen festgelegten Zeitraum Daten, wann wer mit wem | |
telefoniert oder gesimst hat. Inhalte werden nicht erfasst. | |
Doch die Funkzellenabfrage in Friedrichshain war kein Einzelfall. In Berlin | |
brannten in den letzten Jahren serienweise Autos. 2011 waren es 757, in den | |
Vorjahren 300 bzw. 476. Alle Aufklärungsmaßnahmen seien "nach Recht und | |
Gesetz" erfolgt, versicherte Koppers. Die Polizei habe sich nichts | |
vorzuwerfen. | |
Dann lieferte Koppers Zahlen: 410 Funkzellenabfragen habe der Staatsschutz | |
seit 2008 in Berlin gestellt, fast alle nach Autobränden. Dabei hätten die | |
Mobilfunkbetreiber T-Mobile, Vodaphone, O2 und e-Plus 4,2 Millionen | |
Verbindungsdaten geliefert. Kam es zu Häufungen von Telefonnummern an | |
Tatorten der Autobrände, seien daraus Namen und Adresse ermittelt worden - | |
das erfolgte 960-mal. Von den erhobenen Daten seien heute die meisten | |
gelöscht, so Koppers. 1,7 Millionen Verbindungsdaten lägen aber wegen | |
offener Verfahren noch vor. | |
## Erinnerungen an Dresden | |
Die ungeheure Dimension des Datenabfischens weckt Erinnerung an einen | |
Skandal 2011 in Dresden: Da [1][hatte die taz aufgedeckt], dass Ermittler | |
nach Anti-Nazi-Protesten 2011 und einem Brandanschlag auf | |
Bundeswehrfahrzeuge 2009 mit Funkzellenabfragen hunderttausende Datensätze | |
angefordert hatten, auch von Anwohnern, Politikern und Journalisten. | |
Nicht anders am Montag im Berliner Innenausschuss. "Das übersteigt meine | |
Vorstellungskraft", stöhnte Linken-Fraktionschef Udo Wolf. | |
Piraten-Innenexperte Christopher Lauer sprach von einem Skandal, der jede | |
Verhältnismäßigkeit vermissen lasse. "Es macht fassungslos, mit welcher | |
Leichtigkeit das hier dargestellt wird", so Lauer. Auch die Grünen | |
kritisierten, dass hunderttausendfach die Daten unverdächtiger Anwohner | |
erfasst wurden. | |
Die rot-schwarze Koalition stellte sich hinter die Behörde. "Die Maßnahme | |
war nicht willkürlich, sondern rechtsstaatlich gedeckt", so | |
CDU-Innensenator Frank Henkel. Die Autobrandstiftungen stellten schwere | |
Straftaten dar, die nicht bagatellisiert werden dürften. SPD-Innenexperte | |
Thomas Kleineidam sagte, die Polizei müsse "alle rechtsstaatlichen Mittel | |
gegen Autobrandstifter einsetzen". | |
Das mochte weder die Opposition einsehen noch der Berliner | |
Datenschutzbeauftragten Alexander Dix. "Offenbar ist die Funkzellenabfrage | |
von der Ausnahme zur Regel geworden", monierte Dix. Berlin sei dringend | |
geraten, eine Bundesratsinitiative Sachsens zu unterstützen, die die | |
Abfragen eingrenzen will. | |
Polizeipräsidentin Koppers hielt die Initiative immerhin "einer Prüfung | |
wert". CDU-Innensenator Henkel wollte sich diese "mit Blick auf die bekannt | |
gewordene Datenmenge" immerhin mal "anschauen". | |
23 Jan 2012 | |
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## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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