# taz.de -- Handyüberwachung per Kurzmitteilung: Der Feind in deiner Tasche | |
> Polizei, Zoll und Verfassungsschutz lokalisieren Verdächtige per "stiller | |
> SMS". Die Methode ist umstritten, bringt aber genaue Daten und kann | |
> mehrmals täglich erfolgen. | |
Bild: In Nordrhein-Westfalen hat die Polizei vor zwei Jahren 255.874 "Ortungsim… | |
BERLIN taz | Mit einem Smartphone kann man heute längst nicht nur | |
telefonieren. Aber die technischen Möglichkeiten bieten nicht nur den | |
Nutzern Vorteile. Sicherheitsbehörden können Verdächtige leichter orten. | |
Und zwar ohne dass die etwas davon bermekten. Mit "stillen SMS" können | |
Polizei, Zoll und Verfassungsschutz herausfinden, in welcher Funkzelle sich | |
ein Mobiltelefon gerade befindet. | |
Die bisher wenig bekannte Technik wird hundertausendfach pro Jahr | |
eingesetzt. Eine "stille SMS" ist ein Signal an das Handy der Zielperson, | |
das dort keine für den Benutzer sicht- oder hörbare Reaktion auslöst. Das | |
Handy nimmt dabei mit der nächsten Funkzelle Kontakt auf, so dass der | |
Netzbetreiber den ungefähren Standort erfährt, die die Polizei dann vom | |
Provider verlangt. | |
Der Radius einer Funkzelle beträgt je nach Technik, Landschaft und | |
Bevölkerungsdichte etwa hundert Meter bis einige Kilometer. Die Polizei | |
nutzt "stille SMS" regelmäßig, um Verdächtige, deren Handynummer sie kennt, | |
aufzufinden und festzunehmen. Beim Verfassungsschutz werden mit diesem | |
Trick Bewegungsbilder einer Person erstellt oder Observationen unterstützt. | |
## Betroffene Mobiltelefone | |
Der Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko (die Linke) wollte nun von der | |
Bundesregierung genau wissen, wie oft ihre Sicherheitsbehörden "stille SMS" | |
an Verdächtige senden. Die Zahlen sind erstaunlich hoch. Im Jahr 2010 | |
verschickte das Bundeskriminalamt 96.314 "stille SMS", das Bundesamt für | |
Verfassungsschutz 107.852 und die Zollfahndungsbehörden sogar 236.617. | |
Bundespolizei und Militärischer Abschirmdienst haben angeblich keine | |
Statistik. Dazu kommen noch die Zahlen aus den Ländern. Bekannt sind diese | |
bisher nur aus Nordrhein-Westfalen, wo sie die Linken-Abgeordnete Anna | |
Conrads jüngst abgefragt hat (taz vom 23.11.). Im Jahr 2010 hat die Polizei | |
dort 255.874 "Ortungsimpulse" (so der Polizei-Jargon für "stille SMS") | |
abgesandt. | |
Die Zahl der betroffenen Handys liegt aber deutlich niedriger. In NRW waren | |
in 778 Ermittlungsverfahren 2.644 Mobiltelefone betroffen. Das heißt pro | |
Mobiltelefon verschickte die Polizei im Schnitt rund 100 "stille SMS". Beim | |
Bundesamt für Verfassungsschutz waren pro Jahr sogar nur 90-150 | |
Mobiltelefone betroffen, wie ein Sprecher auf Anfrage der taz mitteilte. | |
Wenige Handys wurden also wohl besonders intensiv überwacht. | |
## Neue Rechtslage | |
Bekannt wurde der Einsatz von "stillen SMS" durch die Polizei erstmals 2003 | |
in Berlin. In der Folge gab es einige wissenschaftliche Aufsätze, die die | |
Ermittlungsmethode mangels Rechtsgrundlage für unzulässig erklärten. | |
Entsprechende Gerichtsurteile sind aber nicht bekannt. | |
Seit 2008 gibt es ohnehin eine neue Rechtslage. Damals hat die große | |
Koalition in der so genannten "TKÜ-Novelle" die heimlichen | |
Ermittlungsmaßnahmen der Strafprozessordnung neu geregelt. Dabei wurde der | |
Polizei unter anderem erlaubt, dass sie beim Mobilfunkprovider nicht nur | |
"Verbindungsdaten", sondern auch "Verkehrsdaten" verlangen darf. | |
Sie muss also nicht darauf warten, bis der Verdächtige telefoniert oder | |
mittels "stiller SMS" in eine Verbindung getrickst wird, sondern sie kann | |
schon die Daten der regelmäßigen Kontaktaufnahme des Handys mit dem | |
Netzbetreiber abfragen. In der Begründung zur Neufassung von Paragraph 100g | |
hieß es hoffnungsfroh: "Die Neuregelung kann die - rechtlich umstrittene - | |
Übersendung einer ,stillen SMS' entbehrlich machen". | |
## Heimlich und beliebig oft | |
Wie die aktuellen Zahlen zeigen, ist die "stille SMS" aus Sicht der Polizei | |
aber keineswegs entbehrlich geworden. Denn sie bringt einfach genauere | |
Daten als die Kommunikation von Basisstation und Handy. Dort wird nur die | |
Location Area des Handys bekannt, also der Zusammenschluß mehrerer | |
Funkzellen, und die Kontaktaufnahme erfolgt in der Regel nur einmal am Tag. | |
Dagegen verrät ein Kontakt per "stiller SMS" die konkrete Funkzelle. Und je | |
nach Ermittlungsziel können die Behörden sogar alle paar Minuten einen | |
neuen Ortungsimpuls senden." Ausdrücklich geregelt ist die "stille SMS" | |
heute aber immer noch nicht. Das Problem dürfte nach der Neuregelung zwar | |
nicht mehr die Herausgabe der Standortdaten sein. | |
Aber darf die Polizei einem Verdächtigen ohne Rechtsgrundlage "stille SMS" | |
schicken? Polizeinahe Juristen verweisen darauf, dass die Ermittler einen | |
Verdächtigen ja auch zum Schein anrufen dürfen, um seine Anwesenheit zu | |
Hause zu kontrollieren. Der Vergleich hinkt jedoch. Denn so ein Anruf ist | |
für den Betroffenen hörbar, während die "stille SMS" heimlich erfolgt und | |
deshalb beliebig oft wiederholt werden kann. Es ist also eine ganz andere | |
Überwachungsdichte möglich. | |
Immerhin finden derzeit wohl alle polizeilichen SMS-Ortungen im Rahmen | |
einer richterlich genehmigten Handy-Überwachung statt (siehe Text unten). | |
Wenn bei Gefahr im Verzug zunächst die Staatsanwaltschaft entscheidet, muss | |
das Gericht spätestens nach drei Tagen zustimmen. Und der Einsatz durch den | |
Verfassungsschutz erfolgt nur, wenn eine Handy-Überwachung im so genannten | |
Kontrollgremium des Parlaments G 10 genehmigt wurde. | |
Auch die Betroffenen werden - nachträglich - oft über die Handy-Überwachung | |
unterrichtet. Der Einsatz von "stillen SMS" wird dabei aber nicht | |
thematisiert, wie das BKA auf Anfrage der taz erläuterte. So wird auch | |
klar, warum es nicht schon längst Klagen zur Zulässigkeit der Methode gibt. | |
Die Betroffenen wissen einfach nichts davon. Wer übrigens sicher gehen | |
will, dass er nicht per "stiller SMS" geortet werden kann, muss nicht nur | |
das Handy ausschalten, sondern auch SIM-Karte oder Akku entfernen. | |
2 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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