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# taz.de -- Ökonom über das Geldmachen: "Geld entsteht aus dem Nichts"
> Muscheln, Münzen oder Papier: Alles kann Geld sein. Aber wie funktioniert
> das? Der Ökonom Joseph Huber erklärt, warum Banken ungehemmt Geld
> schaffen können.
Bild: Alles kann Geld sein, wenn man es dazu macht.
sonntaz: Herr Huber, was ist eigentlich Geld?
Joseph Huber: Geld ist komplizierter, als mancher denkt. Jeder gebraucht
es, kaum jemand versteht es. Denn Geld gibt es ja nicht von Natur aus,
sondern durch Gesetz. Das hat schon Aristoteles so gesagt. Damit wird Geld
zur Definitionssache. Bis heute ist sich die Finanzwissenschaft uneinig,
was als Geld gilt. Dahinter verbergen sich Interessen. Wer das Privileg
hat, Geld zu schöpfen, hat davon großen Gewinn.
Aber einen kleinsten gemeinsamen Nenner muss es doch geben.
Geld ist, was als allgemeines Zahlungsmittel genutzt wird. Heute sind das:
Bargeld - also Münzen und Banknoten - sowie das Giralgeld. Das sind die
Guthaben auf den Girokonten, die für den bargeldlosen Zahlungsverkehr
genutzt werden. Das Bargeld macht 20 Prozent der umlaufenden Geldmenge aus,
das Giralgeld 80 Prozent.
Bei den Münzen ist noch klar, wie sie entstehen: Sie werden in der
staatlichen Münzanstalt geprägt. Die Banknoten werden von der Zentralbank
ausgegeben. Doch wie entstehen die Guthaben auf den Girokonten?
Geld entsteht buchstäblich aus dem Nichts, was viele Leute sehr wundert.
Die Guthaben auf den Girokonten werden von den Banken frei geschöpft, und
zwar in dem Moment, in dem sie Kredite vergeben.
Das klingt sehr abstrakt. Hätten Sie ein anschauliches Beispiel?
Was jeder kennt, ist der Überziehungskredit. Das Geld entsteht in der
Sekunde, in der ich den Kredit bei meiner Bank in Anspruch nehme. In diesem
Moment habe ich, mit der Einwilligung der Bank, neues Geld geschöpft und
die Geldmenge erweitert. Sobald ich den Kredit zurückzahle, schrumpft die
Geldmenge wieder.
Aber wenn die Banken das Geld schöpfen - wie wird die Geldmenge
kontrolliert?
Niemand hat heute die Geldmenge unter Kontrolle. Sie ergibt sich aus den
Krediten, die die einzelnen Banken vergeben. In wirtschaftlich guten Zeiten
schöpfen die Banken oft viel zu viel Geld, in schlechten Zeiten weniger bis
nichts mehr.
Die Geldmenge steigt also. Können Sie das beziffern?
Nehmen Sie die Jahre vor der Finanzkrise. Es gab kein starkes
Wirtschaftswachstum, aber trotzdem explodierte die Geldmenge in fast allen
Industrieländern. Wie die Statistik der Bundesbank ausweist, nahm die
umlaufende Geldmenge zwischen 1992 und 2008 um 189 Prozent zu. Das
Bruttoinlandsprodukt zu Marktpreisen - also mit Inflation - legte aber nur
um 51 Prozent zu. Ohne Inflation betrug das reale Wachstum sogar nur 24
Prozent.
Ein großer Teil des zusätzlichen Geldes wurde demnach nicht benutzt, um
reale Güter zu kaufen. Wo ist es dann geblieben?
Es wurden Spekulationsblasen rund um den Globus finanziert. Ob Wertpapiere
oder Immobilien - immer neue Kredite haben die Nachfrage danach angeheizt.
Das trieb die Preise nach oben. Es kam also zu einer Inflation von
Vermögenstiteln oder Vermögenspreisen. Das globale Kasino beruht auf Pump.
Wenn eine solche Blase platzt, reißt sie auch die Realwirtschaft und die
Bevölkerung in den Strudel.
Kann man die Bildung von Blasen messen?
Ja. Zum Beispiel zeigen die Statistiken der US-Notenbank Fed, dass bis in
die 1980er Jahre hinein die US-Finanzvermögen stabil bei etwa dem
4,5-fachen des Bruttoinlandsprodukts (BIP) lagen. Doch plötzlich stiegen
diese Finanzvermögen bis 2008 steil an - auf das 10,5-fache des BIP.
Dahinter verbargen sich die Dotcom-Blase, die Subprime-Immobilienblase und
die momentan platzende Kapitalblase der Staatsanleihen.
Nun machen sich ja sämtliche Staaten daran, neue Spekulationsblasen zu
verhindern, indem die Banken schärfer reguliert werden.
Es spricht nichts dagegen, Börsenumsatzsteuern wieder einzuführen oder die
Eigenkapitalquote der Banken zu erhöhen, sodass sie einen größeren
Verlustpuffer besitzen. Aber solche Maßnahmen werden letztlich kaum etwas
bewirken. Man verkennt, dass es für die Banken- und Finanzmarktprobleme
eine gemeinsame Ursache gibt: eben die inflationär überschießende
Giralgeldschöpfung der Banken.
Wie wollen Sie diese Explosion der Geldmenge verhindern?
Mit dem Giralgeld muss man heute etwas Vergleichbares tun wie vor 100 bis
150 Jahren mit den Banknoten. Damals gaben private Banken das Papiergeld
aus - und oft zu viel davon. Dies verursachte dann ähnliche Banken- und
Finanzkrisen wie heute. Deshalb hat man die privaten Banknoten durch das
Banknotenmonopol der Zentralbank ersetzt. Damit wurde das Geld de facto
verstaatlicht, während die Banken weiterhin privat blieben. In ähnlicher
Weise muss heute das Giralgeld zu Vollgeld werden.
Das müssen Sie erklären. Die Wenigsten dürften schon mal etwas vom Konzept
des Vollgeldes gehört haben.
Vollgeld ist die Kurzform für "vollwertiges gesetzliches Zahlungsmittel".
Vollgeld wird von der Zentralbank in Umlauf gebracht. Unser Bargeld ist
also Vollgeld. Aber Giroguthaben bei der Bank sind bisher kein Vollgeld,
sondern bloß ein Versprechen, das betreffende Guthaben auf Verlangen in
Bargeld auszuzahlen. Wenn viele Bankkunden gleichzeitig Bargeld wollen,
brechen Banken zusammen. Denn es gibt gar nicht so viel Vollgeld, wie die
Banken an Giralgeld geschaffen haben. Die Kernidee des Vollgeld-Konzepts
ist deshalb: Auf den laufenden Konten soll sich kein Vollgeldersatz mehr
befinden, sondern Vollgeld der Zentralbank. Dadurch hätte diese die volle
Kontrolle über die Geldmenge.
Nun suchen ja die meisten Wirtschaftsexperten nach einer Möglichkeit, die
Finanzmärkte möglichst effektiv zu regulieren. Wie erklären Sie sich, dass
fast niemand Ihren Vollgeld-Ansatz aufgreift?
Jede Neuerung beginnt in den Köpfen. Die heute vorherrschenden Geldlehren
dienen vor allem den Interessen der Banken. Diese Theorien halten starr an
gewissen Fiktionen fest wie zum Beispiel der Efficient Market Hypothese.
Sie behauptet, dass Finanzmärkte effizient und im Gleichgewicht seien,
während eine öffentliche Geldschöpfung angeblich sofort zur Inflation
führen würde. Dabei ist in Wahrheit die Geldschöpfung der Banken
inflationär. In den vergangenen Jahrzehnten haben vor allem Banken und
Börsen schwerste Blasen und Zusammenbrüche produziert - und mussten dann
vom Staat gerettet werden.
Wie profitabel ist es denn für die Banken, dass sie das Geld mit ihren
Krediten einfach so schöpfen können?
Für die Banken ist es ein gutes Geschäft. Denn sie schaffen das Geld aus
dem Nichts und verleihen es dann zum vollen Zinssatz. Ihre eigenen Kosten
sind dabei sehr gering. Dadurch ergibt sich ein hoher Extragewinn. Vor der
Finanzkrise betrug er für den deutsche Bankensektor etwa 16 bis 23
Milliarden Euro pro Jahr.
Und diese schönen Milliardengewinne soll künftig der Staat einstreichen?
Ohne jetzt in die Einzelheiten zu gehen: In einem Vollgeldsystem könnten
die öffentlichen Haushalte in Deutschland etwa 25 Milliarden Euro pro
Prozentpunkt des Wirtschaftswachstums kassieren. Außerdem würde ein
Vollgeldsystem die Finanzmärkte stabilisieren und dabei helfen, die
Staatsschuldenkrise zu bereinigen.
Warum stürzen sich die Politiker dann nicht begeistert auf Ihr Modell?
Das Giralgeldregime der Banken ist seit Jahrzehnten kein Thema mehr
gewesen. Es wird nicht gesehen, dass es wiederholt schwere Finanzkrisen
verursacht hat.
Der Bremer Ökonom Rudolf Hickel kritisiert, dass Ihr Vollgeld-Modell nicht
auf Krisen reagieren kann. Es sei viel zu starr. Was antworten Sie?
Für mich ist der Einwand absolut nicht nachvollziehbar. Die Zentralbanken
können in einem Vollgeld-System viel souveräner und effektiver handeln als
heute. Bei Bedarf können sie schnell und flexibel Geld in Umlauf bringen
oder dem Umlauf entziehen.
Es bleibt also bei der Sprachlosigkeit zwischen den verschiedenen Theorien?
Hickel spricht eine interessante Frage an: War die Explosion der Geldmenge
oder die Deregulierung schuld, dass es zu Spekulationsblasen kam? Ich würde
sagen, dass es diesen Gegensatz so nicht gibt: Die unbegrenzte
Geldschöpfung durch die Banken war der wichtigste Teil der jahrzehntelangen
Deregulierung. Ansonsten aber sehe ich nicht, woher Hickel seine Einwände
nimmt. Sie haben nichts mit dem Vollgeld-Konzept zu tun, wie es von einer
wachsenden Zahl von Reforminitiativen vertreten wird. Dazu zählen zum
Beispiel die Monetative in Deutschland und der Schweiz, das American
Monetary Institute in den USA, die Positive Money Campaign in England und
Neuseeland oder Moneta@Proprietà in Italien.
Warum der Ökonom Rudolf Hickel die Idee vom Vollgeld für "hundsgefährlich"
hält, lesen Sie [1][hier].
3 Feb 2012
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## AUTOREN
Ulrike Herrmann
Ulrike Herrmann
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Zinsen
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