| # taz.de -- Geldkritikerin Kennedy über Zinsen: „Das ist eine Zerstörungsma… | |
| > Zinsen sorgen für einen Geldfluss von den Fleißigen zu den Reichen, sagte | |
| > die verstorbene Geldkritikerin Margrit Kennedy. Sie forderte eine neue | |
| > Geldordnung. | |
| Bild: Gibt's auch als Kreditkarte: die Regionalwährung Chiemgauer. | |
| taz: Frau Kennedy, wie viel Euro haben Sie gerade in Ihrem Portemonnaie? | |
| Margrit Kennedy: Keine Ahnung. Das muss ich nachsehen. 90 Euro plus | |
| Kleingeld. | |
| Und wie viele Regionalwährungen wie der Chiemgauer oder die Kirschblüten | |
| sind drin? | |
| Ich habe sogar eine Kreditkarte vom Chiemgauer. Regionalgeld ist also kein | |
| Märchen. Es ist auf dem neuesten technischen Niveau. | |
| Sie sind in Deutschland das bekannteste Gesicht einer Bewegung, die eine | |
| neue Geldordnung will. Wie viele Vorträge halten Sie pro Jahr? | |
| Seit der Finanzkrise 2008 steigt das Interesse ständig. Jetzt ist es etwa | |
| ein Vortrag pro Woche. Dazu kommen noch viele Medieninterviews. | |
| Wer lädt Sie ein? | |
| Kirchliche Gruppen, Lehrer, Anthroposophen, Regionalgeldinitiativen, die | |
| Occupy-Bewegung, Studierende, Nichtregierungsorganisationen und | |
| Vollgeld-Initiativen. Auch die Linken und die Piraten interessieren sich | |
| für eine neue Geldordnung. Demnächst spreche ich vor einer Gruppe | |
| internationaler Managerinnen. Selbst Finanzberater interessieren sich für | |
| das Thema und erklären ihren Kunden, dass sie in reale Werte investieren | |
| müssen statt in spekulative Bankprodukte. | |
| Sie sind Architektin und waren Professorin für ressourcensparendes Bauen. | |
| Warum haben Sie sich im Selbststudium ausgerechnet mit Geld befasst? | |
| Ich war nicht nur Architektin. In den USA habe ich im Fach „öffentliche und | |
| internationale Angelegenheiten“ promoviert, dazu gehörten zahlreiche | |
| Prüfungen in Soziologie, Ökonomie, Systemanalyse und anderen | |
| sozialwissenschaftlichen Fächern. | |
| Trotzdem: Wie sind Sie von der Architektur auf das Thema Geldordnung | |
| gekommen? | |
| 1982 habe ich bei der Internationalen Bauausstellung in Berlin ökologische | |
| Projekte geplant, und immer wurde mir gesagt: „Das rechnet sich nicht.“ Da | |
| habe ich den Zins und Zinseszins als eine unsichtbare Zerstörungsmaschine | |
| entdeckt, die die Realwirtschaft zu exponentiellem Wachstum zwingt. Denn | |
| jedes Projekt muss mindestens die Kreditzinsen erwirtschaften. Das war bei | |
| den meisten ökologischen Vorhaben nicht möglich und ist auch heute noch | |
| schwierig. | |
| Es liegt doch nicht am Zins, dass viele Ökoprojekte nicht konkurrenzfähig | |
| sind. Die Umwelt darf immer noch gratis verschmutzt werden, also sind | |
| konventionelle Lösungen meistens billiger. Bei strengeren Umweltgesetzen | |
| würden auch Ökoprojekte rentabel. Warum muss man die ganze Geldordnung | |
| umstürzen? | |
| Auch ich bin für strengere Umweltauflagen. Aber das reicht nicht. Bei einem | |
| Zinssatz von 6 Prozent, zum Beispiel, verdoppelt sich ein Vermögen in zwölf | |
| Jahren. Dies führt zu einem Wachstumszwang. Denn das eingesetzte Kapital | |
| muss die Kreditzinsen erbringen und darüber hinaus noch eine Rendite. | |
| Die Explosion der Geldvermögen ließe sich sehr einfach verhindern, indem | |
| man von den Banken mehr Eigenkapital verlangt. Dann könnten sie nicht so | |
| viele Kredite vergeben, was zur letzten Finanzkrise geführt hat. Wieder die | |
| Frage: Warum muss man die ganze Geldordnung verändern? | |
| Ich habe nicht gesagt, dass alles am Zins und Zinseszins hängt. Ich bin | |
| sehr dafür, den Banken mehr Eigenkapital vorzuschreiben. Aber dies würde | |
| den Prozess nur verlangsamen, das exponentielle Wachstum jedoch nicht | |
| aufhalten. Wollen Sie wissen, wie ich meine Theorie in einer Minute | |
| erkläre? Zum Beispiel einem Taxifahrer? | |
| Ja bitte. | |
| Wir haben ein Geldsystem, das nur ein Ziel hat: aus Geld mehr Geld zu | |
| machen. Ökologische, kulturelle oder soziale Ziele haben es daher sehr | |
| schwer, an Kredite zu kommen. Wir brauchen also ein Geldsystem ohne | |
| Wachstumszwang – und verschiedene ergänzende Währungen für solche Zwecke. | |
| Ein Mischwald ist auch stabiler als eine reine Fichtenschonung. Eine | |
| regionale Wirtschaft braucht eine regionale Währung. | |
| Beim Regiogeld gibt es keine Zinsen. Aber Gewinne sind erlaubt? | |
| Natürlich. Wenn ein Buchhändler den Chiemgauer akzeptiert, macht er beim | |
| Buchverkauf wie alle anderen Ladenbesitzer einen Profit. | |
| Aber auch Gewinne können exponentiell wachsen. Warum konzentrieren Sie sich | |
| nur auf den Zins? | |
| Weil der normale Gewinn einer natürlichen Sättigungsgrenze zustrebt. | |
| Irgendwann hat jeder einen Kühlschrank oder genügend Möbel. | |
| Und dann wollen die Leute ein Eigenheim, zwei Autos und regelmäßige | |
| Fernreisen. | |
| Trotzdem gibt es da eher Grenzen als beim Geld – weil man dafür arbeiten | |
| muss. Der Zins hingegen ist ein leistungsloses Einkommen, das beliebig | |
| gesteigert werden kann. Der Zins ist in allen Preisen versteckt, sodass es | |
| zu einer Umverteilung von unten nach oben kommt. Davon profitiert die | |
| Minderheit der Vermögenden, die höchstens 10 Prozent der Bevölkerung | |
| umfasst. Unser Geldsystem sorgt also für einen ständigen Geldfluss von den | |
| Fleißigen zu den Reichen. | |
| Man könnte das Vermögen der Reichen stärker besteuern. Wäre das nicht viel | |
| einfacher? | |
| Ich bin durchaus für höhere Vermögensteuern, aber sie sind kaum | |
| durchzusetzen. Die globalisierte Finanzwirtschaft und die internationalen | |
| Märkte haben sich als sehr viel mächtiger erwiesen als die nationale | |
| Politik. Das Publikum in meinen Vorträgen ist entsetzt, weil Banken | |
| Regierungen erpressen und die Märkte die Politik vor sich hertreiben. Mein | |
| Traum ist eine Ordnung ohne Verordnung. Eine Welt, in der man nicht ständig | |
| umverteilen muss, weil die Rahmenbedingungen ein Leben in Freiheit und | |
| Selbstbestimmung ermöglichen. | |
| Haben Sie nicht Angst, dass Ihre Bewegung ohne Einfluss bleibt, weil sie | |
| sich auf das Maximalziel einer neuen Geldordnung versteift? | |
| Die meisten Menschen glauben, dass sich Veränderungen nur herbeiführen | |
| lassen, wenn sich eine Mehrheit dafür einsetzt. Doch Studien zeigen: Wenn | |
| nur 10 Prozent der Bevölkerung etwas versteht und sich deshalb anders | |
| verhält, folgen die anderen nach. | |
| Was aber auffällt: Der Zinseszins bewegt vor allem Leute, die nicht | |
| Volkswirtschaft studiert haben. Die meisten Ökonomen halten das Thema für | |
| uninteressant. Wie kommt das? | |
| Wer das Fach Wirtschaft studieren will, muss den Zins und Zinseszins als | |
| Eingangsparadigma akzeptieren. In dieser Geldwelt sind ja vorwiegend | |
| Experten damit beschäftigt, den Gewinn von Investitionen zu berechnen. Wenn | |
| sie auf einmal den Zinseszins infrage stellen würden, könnten sie in dieser | |
| lukrativen Branche nicht mehr arbeiten. Fachleute profitieren am meisten | |
| von dem Chaos, das sie anrichten. | |
| Also sind Sie eine Bewegung von Laien? | |
| Nein. Im deutschsprachigen Raum gibt es etwa 50 Hochschullehrer, die sich | |
| offen für dieses Thema engagieren. Doch für Beschäftigte in der | |
| Finanzwirtschaft ist dies gefährlich. So hat ein Bankdirektor mein Buch | |
| gelesen, aber er stieß in seiner Bank auf erheblichen Widerstand und musste | |
| sie letztlich verlassen. Jetzt ist er unabhängiger Schuldnerberater und | |
| übernimmt Vorträge für mich. | |
| Wird Ihnen das Thema manchmal zu viel? | |
| Mir wäre viele Jahre lang nichts lieber gewesen, als dass mir jemand hätte | |
| nachweisen können, dass ich einen wirklichen Denkfehler begangen habe. Dann | |
| wäre ich zum ökologischen Bauen zurückgekehrt. Aber heute treiben so viele | |
| Laien und Experten dieses Thema voran, dass ich es viel spannender finde, | |
| neue Währungen zu entwerfen als neue Häuser. | |
| 30 Dec 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Ulrike Herrmann | |
| Ute Scheub | |
| ## TAGS | |
| Wachstumszwang | |
| Zinsen | |
| Inflation | |
| Schweiß | |
| Geld | |
| Wachstum | |
| Schwerpunkt Occupy-Bewegung | |
| Schwerpunkt Occupy-Bewegung | |
| Zinsen | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Vollgeld-Initiative in der Schweiz: Keine Lust auf Vollgeld | |
| Die Schweizer lehnten am Sonntag einen Wechsel des Geldsystems ab. Nur ein | |
| Viertel stimmte für ein Konzept, das Finanzkrisen verhindern könnte. | |
| Vollgeld-Initiative in der Schweiz: Die Banken entmachten | |
| Eine Vollgeld-Reform würde Geld- und Finanzsystem trennen. Der Gewinn aus | |
| der Geldschöpfung ginge an die Allgemeinheit. Die Schweiz entscheidet. | |
| Konferenz „Degrowth“ in Leipzig: Wachstum an den richtigen Stellen | |
| Im September soll die Frage nach dem wahren Fortschritt diskutiert werden. | |
| Ein Gastbeitrag über ein schon in sich innovatives Treffen. | |
| Kapitalismuskritik nach dem Ende der Camps: Der Geist von Occupy | |
| Im Januar wurde das letzte Occupy Camp Deutschlands in der Hamburger | |
| Innenstadt geräumt. Unsere Autorin wollte wissen, was von der | |
| Protestbewegung geblieben ist. | |
| Hamburger Protestcamp geräumt: Ältestes Occupy-Camp ist Geschichte | |
| Über zwei Jahren harrten Demonstranten in der Hamburger Innenstadt im | |
| Occupy-Camp aus. Die Räumung verlief friedlich. Der Protest soll | |
| fortgesetzt werden. | |
| Geldkritikerin Margrit Kennedy ist tot: Eine charismatische Vordenkerin | |
| Margrit Kennedy war Architektin, Ökologin und energische Kämpferin gegen | |
| den Wachstumszwang. Jetzt ist sie 74-jährig gestorben. | |
| Ökonom über das Geldmachen: "Geld entsteht aus dem Nichts" | |
| Muscheln, Münzen oder Papier: Alles kann Geld sein. Aber wie funktioniert | |
| das? Der Ökonom Joseph Huber erklärt, warum Banken ungehemmt Geld schaffen | |
| können. | |
| Geldtheoretiker über die Rezession: "1,8 Prozent Wachstum reichen" | |
| Ohne Spekulation kein Wachstum und ohne Wachstum kein Kapitalismus, meint | |
| der Geldtheoretiker Hans Christoph Binswanger und schlägt eine Reform des | |
| Geldsystems vor. |