# taz.de -- Ökonom zur Eurokrise: "Der Euro wird die Krise überstehen" | |
> Der französische Ökonom Charles Wyplosz kritisiert die deutsche Strategie | |
> zur Eurosanierung. Er ist für Haushaltsdisziplin und eine Verkleinerung | |
> des öffentlichen Sektors. | |
Bild: Die Europäische Zentralbank – und ihr Chef Mario Draghi (im Bild) – … | |
taz: Herr Wyplosz, im Gegensatz zu vielen linken Ökonomen halten Sie | |
finanzielle Disziplin für unbedingt notwendig, um die Krise zu überwinden. | |
Liegt Bundeskanzlerin Angela Merkel also richtig mit ihrer Betonung des | |
Sparens? | |
Charles Wyplosz: Teils, teils. Richtig ist, dass die Währungsunion ohne | |
fiskalische Disziplin nicht funktioniert. Die Frage ist allerdings, wie | |
diese Disziplin am besten hergestellt werden kann. Merkel und auch die | |
Bundesbank vertreten dabei das deutsche Modell. Dieses zeichnete sich aus | |
durch die Herrschaft des Zentrums über die Peripherie. Das Vorbild ist die | |
finanzielle Dominanz des Bundes über die Bundesländer im deutschen | |
Föderalismus. Dieses Modell der Hegemonie jedoch wird Europa nicht gerecht. | |
Was schlagen Sie vor? | |
Wir sollten uns am US-Modell orientieren. Dort haben die Bundesstaaten mehr | |
Autonomie vor Washington. Diese Struktur ist besser geeignet. Denn den | |
Mitgliedern der EU liegt ihre nationale Souveränität sehr am Herzen. Diese | |
Bedürfnisse ignorierend, will Merkel fiskalische Disziplin mithilfe einer | |
Verschärfung der Europäischen Verträge durchsetzen, wodurch die | |
Souveränität der Staaten im Krisenfall außer Kraft gesetzt würde. | |
Wie soll man Haushaltsdisziplin in den Mitgliedstaaten durchsetzen, ohne | |
die Selbstbestimmung einzuschränken? | |
Indem die Europäische Zentralbank eine neue Rolle einnähme. Sie könnte für | |
Haushaltsdisziplin in den Ländern der Eurozone sorgen - ohne | |
Vertragsänderung. Die EZB würde ein Kommuniqué veröffentlichen, das aus | |
zwei Absätzen bestünde. | |
Welche? | |
Erstens: Die Zentralbank akzeptiert als Sicherheiten im normalen | |
Geschäftsverkehr nur noch Staatspapiere aus Ländern, die Disziplin üben. | |
Zweitens: Ob die Staaten dieser Voraussetzung gerecht werden, stellt ein | |
unabhängiges Gremium fest, dessen Einschätzung die EZB akzeptiert. | |
Verletzte ein Staat also die Haushaltsdisziplin, würde er von der | |
Refinanzierung durch die EZB ausgeschlossen und könnte sich deshalb bald | |
auch keine Kredite mehr auf dem privaten Markt besorgen. Dies sollte als | |
Sanktionsdrohung ausreichen. | |
Auch dieses Verfahren stellt die Souveränität der Einzelstaaten infrage. | |
Der Unterschied ist beträchtlich. Die Mitglieder der Eurozone könnten ihre | |
jeweils eigenen Mechanismen wählen, um Haushaltsdisziplin umzusetzen. Es | |
gäbe keine zentralen Vorgaben des Rates, der Kommission oder aus Verträgen. | |
Die Regierungen und Bürger hätten weniger den Eindruck, einem übermächtigen | |
Hegemon ausgeliefert zu sein. | |
Ihr Kollege Barry Eichengreen meint, dass der US-Dollar seine beherrschende | |
Stellung verlieren und sich ein multipolares Weltwährungssystem entwickeln | |
werde, in dem der Euro eine wichtige Rolle spielte. Teilen Sie diesen | |
Optimismus? | |
Ja. Ich glaube, der Euro wird die Krise überstehen. Denn eigentlich gibt es | |
ja kein vernünftiges Argument, das ein Auseinanderbrechen der Eurozone | |
ratsam erscheinen lässt. Allerdings mache ich mir Sorgen über eine mögliche | |
lange Rezession und ihre Folgen. Wenn die Menschen verzweifelt sind, neigen | |
sie dazu, Rechtspopulisten wie den Wahren Finnen oder der französischen | |
Front National zuzuhören, die Europa den Rücken zuwenden wollen. Auch | |
deshalb hoffe ich, dass die Regierungen schnell eine Lösung finden. | |
Wir erleben momentan auf der einen Seite sehr hohe private Profite, | |
andererseits öffentliche Verschuldung. Brauchen wir da nicht Umverteilung? | |
Diese Diagnose teile ich nicht. In vielen Staaten beansprucht der | |
öffentliche Sektor die Hälfte der Wirtschaftsleistung. Angesichts der | |
Schuldenkrise Europas muss die Zukunft darin liegen, die öffentlichen | |
Dienste zu verkleinern und effektiver zu machen. Unsere bisherige | |
Mentalität stößt an ihre Grenzen. | |
Wird der europäische Sozialstaat unter diesen Voraussetzungen überleben? | |
Die Mehrheit der Bevölkerung will ihn ja behalten. Wir sollten aber zur | |
Kenntnis nehmen, dass der Sozialstaat oft sehr schlecht funktioniert. Ein | |
Beispiel: Wenn Beschäftigte in Frankreich arbeitslos werden, erhalten sie | |
für zwei Jahre automatisch 60 Prozent Arbeitslosengeld. Als Gegenleistung | |
müssen sie nur den Eindruck erwecken, als suchten sie eine neue Stelle. Das | |
ist eine totale Verschwendung öffentlichen Geldes. In Skandinavien dagegen | |
werden die Erwerbslosen weniger lange unterstützt und müssen mehr eigene | |
Anstrengungen unternehmen, um sich wieder in den Arbeitsprozess zu | |
integrieren. Auch Deutschland hat Reformen eingeführt, um die | |
Privatinitiative zu belohnen. Ein Wohlfahrtsstaat wie Frankreich wird sich | |
seine Ineffektivität nicht mehr lange leisten können. | |
3 Feb 2012 | |
## AUTOREN | |
Hannes Koch | |
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